We LOVE Bio

Grüner Kapitalismus Wer sich heutzutage fit für die Zukunft machen will, setzt auf Bio: Steigende Profite, gesunde Etikette und erbauliche Message - so kann Kapitalismus wieder Spaß machen

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Da will uns einer oder eine nochmal weismachen, der Kapitalismus bringe nichts moralisch Anständiges hervor: Die Bio-Branche wächst schnell wie Löwenzahn, macht eifrig Profite, was wiederum der Wirtschaft dient, und auch Verbraucher_innen zeigen sich immer zufriedender. Bio ist Pop, wer hätte sich das vorstellen können in Zeiten, als die Grünen noch offener über die sexuelle Befreiung von Pädophilen diskutieren durften.

Das Gute am Bio: Es ist einfach gut. Schonendere Ressourcenverwendung, bewussteres Shopping, gesündere Ernährung, coolere Verpackungen. Außerdem: Wer geht nicht lieber im Alnatura einkaufen als beispielsweise im Aldi? Wohltuende Gerüche, ambiente Klänge, die gesund wirkenden und fröhlichen Gesichter der Angestellten und die viel netteren Miteinkäufer_innen – die Vorteile liegen auf der Hand und überzeugen ehemalige und aktuelle Revolutionäre gleichermaßen vom Gang zum Bio-Tempel um die Ecke. Die Öko-Industrie als gesellschaftlicher Kitt in nicht enden wollenden Krisenzeiten.

Um den ewigen Nörglern gleich den Wind aus den Segeln zu nehmen: Natürlich geht es beim Kauf von Bio-Produkten auch um die Vermittlung eines positiven Gefühls. In der Finsternis der kapitalistischen Wirklichkeit kommt es eben auch darauf an, den Menschen eine Botschaft der Stärke und Behaglichkeit zu signalisieren. Darüber hinaus: Solange das Kapital noch unser Kreuz ist, müssen wir uns mit ihm arrangieren und können nur unter den Voraussetzungen operieren, die uns zur Verfügung stehen. Und da jede_r jeden Tag konsumiert, stellt Konsum das breitestmögliche entry gate für eine widerständige Praxis dar, an der sich alle beteiligen können. Um es mit einem Bild zu verdeutlichen: Mit jedem Schluck Bio-Mate fließt ein Molekül Industriekritik in unseren Geist, mit jedem Bissen biologisch angebauter Pastinake einverleiben wir uns ein Häppchen Kritik am Wachstumsirrsinn und jede Schicht Bio-Aloe-Vera-Creme auf unserer Haut bildet einen Schutzmantel gegen den kapitalistischen Terror, der vor unserer Haustür wütet.

Natürlich gibt es Probleme: Beispielsweise führt die steigende Nachfrage dazu, dass Bio-Bauernhöfe und -Supermärkte verstärkt aus Ländern wie China und Indien importieren müssen, wo ein kontrollierter Anbau (geschweige denn angemessene Löhne) alles andere als garantiert ist. Auch das Klischee, Lebensmittel mit Bio-Siegel seien gesünder, wurde in einer umfassenden Studie der Stanford University kassiert. Schließlich werfen Kritiker_innen ein, dass der Bio-Hype dazu führe, die soziale Frage zu vernachlässigen, was sich unter anderem daran messen ließe, dass in Bio-Märkten Lohndumping an der Tagesordnung sei. Das mag alles richtig sein, aber reicht dies schon aus für eine fundierte Kritik? Nicht unbedingt. Denn irgendwo muss man immer Abstriche machen, gesellschaftliche Verhältnisse lassen sich nicht auf einen Schlag verändern. Überhaupt: Sind die natürlichen Grundlagen nicht die Essenz jeder gesellschaftlichen Einheit und müssen – vor allem anderen – geschützt werden? Außerdem hat die Öko-Industrie – im Gegensatz zur sozialen Industrie – das Potential, die Kritik am Kapitalismus mit ökonomischen Vorteilen für alle zu verknüpfen: Der green capitalism sorgt nicht nur für ökologische Nachhaltigkeit und gute Gefühle, sondern auch für die Schaffung neuer Arbeitsplätze.

Ob das den Kapitalismus stabilisiert? Zunächst sicherlich, aber wir denken langfristig: Unser Anliegen ist es, kapitalistische Verhältnisse qua Konsum zu transformieren sowie die positiven Aspekte im Hier und Jetzt zu stärken. Wenn das auch zugleich “der Wirtschaft dient”, können wir nichts falsches daran entdecken. Mit Konsum das Schlechte im Kapitalismus überwinden. Alle gewinnen.

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Geschrieben von

RLF

Mission: Kapitalismus aufbrechen.

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