„Trouble on Big Beat Street“ von Pere Ubu: Hurra, sie leben noch!
Musik Bands, die um 1980 herum erfolgreich waren, werden meist nur auf jene Zeit reduziert. Ein großer Fehler! Das zeigt nicht nur das neue Album „Trouble on Big Beat Street“ von Pere Ubu
Diese Bildauswahl ist keine Altersdiskriminierung, die Aufnahme ist einfach gut: David Thomas 1988 in Antwerpen
Foto: Gie Knaeps/Getty Images
Sitzend, den Text von einem Blatt ablesend, singt David Thomas im Video den Worried Man Blues. Er ist das einzige seit der Gründung vor bald einem halben Jahrhundert dauerhaft beteiligte Mitglied von Pere Ubu. Seine Stimme ist ungebrochen, oder eher: so gebrochen wie eh und je, inzwischen vielleicht mit etwas mehr tiefen Tönen, wie sie zu seinem kräftigen Körper zu passen scheinen, aber immer noch mit den für ihn so charakteristischen nasal-gepressten Höhen.
Die neue Platte Trouble on Big Beat Street, die mit diesem Stück einsetzt, markiere, wie es auf der Homepage der Band heißt, das Ende des Songs. Denn hier wie in den meisten anderen Stücken der Platte wird der Gesang nicht in ein Gerüst von Text und Refrain auf der Grundlage wiederkehren
ein Gerüst von Text und Refrain auf der Grundlage wiederkehrender Akkorde eingestellt, sondern entfaltet sich im Wechselspiel mit einzelnen harten Akkorden, eingestreuten Fragmenten eines Gitarrensolos und anderen versprengten Tönen. Immerhin behauptet Thomas in diesem Nicht-Song dann doch, er habe diesen Song geschrieben.Man kann das wohl als Zerlegung und Wiederzusammensetzung des Blues beschreiben, in dessen Tradition sich David Thomas diesmal so ausdrücklich wie selten zuvor stellt. In einem lustigen gesprochenen Intro, das sich nur auf der Plattenversion des (Nicht-)Songs befindet, versetzt er sich an die Kreuzung der Highways 49 und 61, die „Crossroad of Blues Legends“, wo logischerweise Muddy Waters als Manager in einem Imbiss arbeitet, hinter dessen Theke Robert Zimmermann steht. Straßen gibt es in den USA übrigens nur, damit man auf ihnen fahren kann, um zu fahren, und Nummern haben sie, damit man diese besingen kann. Im letzten Stück des Albums St Arkansas von 2002, dessen Cover bereits die genannte Kreuzung ziert, heißt es vom acht Minuten lang Radio-hörend-fahrend-singenden Ich: „Und jede Geisterstadt, die dem Staub entsteigt, fühlt sich mir wie ein Zuhause an.“ Für eine spektakuläre Autofahrt mit Geistererscheinung aus dem berühmten B-Movie Carnival of Souls haben Pere Ubu auf einer ebenso betitelten Platte (von 2014) und einem zugehörigen Video eine Neuvertonung vorgelegt.Aber selbstverständlich stellen sich Pere Ubu nicht bruchlos in die Blues-Tradition. In dem genannten Intro spricht Thomas etwa auch den, sozusagen vollkommen unpassenden, Satz: „Pablo Picasso never sold his soul to the Devil“, der eine leicht erkennbare Referenz an Jonathan Richmans viel gecoverten Reim „Pablo Picasso never got called an asshole“ ist. Aufgerufen wird damit ein ganz anderer musikalischer Kontext: die weiße Musik der Velvet-Underground-Lineage – man nenne sie „Proto-Punk“ oder wie auch immer –, zu der Pere Ubu entscheidend beigetragen haben, wenngleich die Gruppe nicht aus New York, sondern aus jenem Cleveland kommt, in dem sie unverständlicherweise noch nicht in die Rock and Roll Hall of Fame aufgenommen wurde.Inzwischen sterben ja so einige Protagonisten der Musik vom Ende der 70er, also aus jener für die Popmusik so entscheidenden Phase des Proto-, Post-, Para- und Einfach-nur-Punk, in schon halbwegs gesetztem Alter. Gefühlt begann es gleichzeitig mit Corona, als kurz hintereinander Genesis P-Orridge von Throbbing Gristle und Psychic TV und Gabi Delgado-López, Mitgründer von Deutsch Amerikanische Freundschaft (DAF), starben; zu Beginn dieses Jahres folgte etwa Tom Verlaine, Frontmann von Television.Da erscheint nicht nur der Hinweis darauf geboten, dass einige noch leben, sondern vor allem auch derjenige, dass einige von ihnen noch wirklich Neues machen. Denn bei aller Glorifizierung der Zeit um 1980, an der ich mitstricken könnte, weil ich drei der im Verlauf dieses Artikels genannten Akteure in jenem Jahr (oder in dem darauf) bei jeweils einem Konzert im SO 36 in Berlin gesehen habe: Es ist schlicht Ageism, diese Musiker in der Retrospektive auf ihre Produktion aus jener Zeit zu reduzieren – wenn etwa Brian Eno zum 75. Geburtstag im Bayerischen Rundfunk mit einer Sendung gratuliert wurde, die nicht nur schon zum 70. gesendet worden war, sondern in der, schlimmer noch, ausschließlich Musik gespielt wurde, die er bis zu seinem 35. Geburtstag gemacht hatte.Darum sei hier zwar eingeräumt: Man kann außerhalb einer kleinen Fan-Community nicht über Pere Ubu schreiben, ohne das Erstlingsalbum The Modern Dance (1978) zu nennen, das die Gruppe übrigens schon in einer Art Selbsthistorisierung dreißig Jahre später erneut auf die Bühne brachte. Und Pophistoriker werden bei den Quiek-, Fiep- und Brabbelgeräuschen, die nach wie vor fast jeden Song der Gruppe immer zugleich gliedern und zersetzen, anmerken, für diese sorge inzwischen „ein Nachfolger des legendären Allen Ravenstine“ (der übrigens seit seiner Pensionierung als Pilot – der Beruf, für den er die Band einst verlassen hatte – wieder Musik macht und für ein Konzert von Pere Ubu in diesem Juni als Gast angekündigt ist).Ich will auch weder behaupten, die Gruppe habe inzwischen etwas völlig Neues erfunden, noch, sie entwickle sich konsequent weiter. Aber sie verfolgt in immer wieder neuen Varianten das Projekt, Pathosformeln der Rockmusik – vereinzelte Gitarren-Riffs, Bläser-Phrasen, 13 gequengelte Yeahs hintereinander, Theremin-Parabeln – herauszuschälen und zu rekombinieren. Und dies nicht im Modus des ironischen Zitats, sondern so, dass die Affektgehalte dieser Elemente überhaupt erst richtig zur Geltung kommen.Placeholder infobox-1