Den Frieden führen

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Jenseits der außenpolitischen Kreuzfahrten eines Landes in der Welt.

Von Robert Zion

Im Mai 2011 hat der Freitag-Herausgeber Jakob Augstein anlässlich der Tötung Osama Bin Ladens sehr eindringlich beschrieben, in welch fatalen Prozesse sich dieses Land in den vergangen zehn Jahren Schritt für Schritt hat hineinziehen lassen: „Eine 21-jährige Frau geht auf Krücken gestützt auf einen Militärposten zu, sie humpelt. Als die Soldaten sie überprüfen wollen, zündet sie den Sprengstoffgürtel, den sie am Leib trägt. Am Abend zuvor hat sie ein Video aufgenommen, in der einen Hand ein Gewehr, in der anderen ihr Baby, das sie noch stillte. Fünf Menschen starben so im Januar 2003 am Grenzübergang Erez. Osama Bin Laden hat diese Form des Mordens nicht erfunden. Aber er hat sie verkörpert. Dagegen lässt sich kein Krieg führen. Nur Frieden. Darin hat der Westen versagt.“

In der Tat leistet sich der Westen hier die Absurdität, gegen etwas Krieg zu führen, dass im Grunde nur als komplexes gesellschaftliches Phänomen begriffen und eben auch eingehegt werden kann. Und mittendrin, aufgrund der vielbeschworenen „wachsenden Verantwortung Deutschlands in der Welt“, unser Land mit seiner unheilvollen Geschichte des Militarismus, der Angriffskriege und des Völkermordes. Dennoch gibt es heute zunehmend wieder fortwährende Verstrickungen in fragwürdige Bündnisautomatismen, nicht selten einfach nur aus Prestigeinteressen. Dazu kommen ein ideologisch aufgeladener, heillos überdehnter Sicherheitsbegriff, rechtliche Grauzonen und mangelnde Parlamentskontrolle bei Auslandseinsätzen, eine um sich greifende Verwischung innerer und äußerer Sicherheit. Schleichend führt dies zu einer Vernachlässigung präventiver und einer zunehmenden Vorrangigkeit militärischer Maßnahmen. Verdeckte Agenden der militärischen Sicherung von Rohstoff- und Marktzugängen sind schon zu erahnen.

Die hohe außen-, sicherheits- und friedenspolitische Bedeutung einer ernstzunehmenden EU-Beitrittsperspektive der Türkei wurde schlicht verkannt und den Chauvinismen eines vermeintlich einheitlichen christlichen Kulturraumes geopfert. Die Durchsetzung des internationalen Rechts und der Menschenrechte in Afghanistan scheint immer weniger durch rechtliche Strukturen geregelt. Stattdessen wird dieser „Krieg gegen den Terror“ immer mehr selbst regelnd, indem er sein eigenes Rechtsgefüge ein- und durchzusetzen beginnt. Nachweislich mit Folter, extralegalen Tötungen, geheimen Kommandounternehmen und Drohnenkriegen – auch wenn es für Deutschland hierbei wohl nicht vollständig heißt: „Mittendrin statt nur dabei“ – noch nicht.

Denn plötzlich beginnen auch in Deutschland Gedanken hoffähig zu werden, die früher eigentlich nur US-Neokonservativen zugeschrieben wurden: eine Akzeptanz für kriegerischen Regime-Change, ein außenpolitischer „Toolbox-Ansatz“ mit Ad-hoc-Entscheidungen, der je nach Einzelfall und jeweiliger Krisen- und Interessenlage die verschiedenen außen- und sicherheitspolitischen Werkzeuge ohne klare Leitlinien und Prinzipien zum Einsatz bringt. Es ist ganz so, als ob sich unser Land auf eine außenpolitische Kreuzfahrt ohne Kompass begeben hätte. Denn was sind eigentlichen die tragenden außenpolitischen Leitlinien, was ist die deutsche Friedenspolitik? Kollektive Verteidigung im NATO-Bündnis und transatlantische Partnerschaft? Selbstbehauptung der EU in der Globalisierung? Die Verteidigung und Weiterentwicklung des internationalen Rechts in den Vereinten Nationen? Oder - von Fall zu Fall - von jedem ein bisschen?

Ist denn beispielsweise die Dauerbewerbung Deutschlands für einen ständigen Sitz im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen tatsächlich als Zeichen dafür zu deuten, dass hier ein Land vehement auf die Gewaltfreiheit und die Verrechtlichung in den internationalen drängt, oder geht es da um etwas ganz anderes? Vielleicht um eine endgültige Anerkennung als ökonomische Großmacht und Zahlmeister der Vereinten Nationen, der diesen gleichzeitig weniger Soldatinnen und Soldaten zur Verfügung stellt als das kleine Benin? Geht es darum, dass die internationale Staatengemeinschaft in Fällen wie Ruanda – oder heute Somalia – nicht mehr so kläglich versagt, nicht mehr nur bestenfalls noch militärische Symptombekämpfung betreibt und die Vereinten Nationen darüber hinaus nicht endgültig zu einem Stichwortgeber und Resolutionslieferanten für ein interessengeleitetes Militärbündnis werden? Sollte es doch – eigentlich.

Es ist daher dringend an der Zeit, dass die Bundesrepublik Deutschland klare Kriterien für Auslandseinsätze seiner Parlamentsarmee definiert, um sich dauerhaft als verlässliche und berechenbare Friedensmacht innerhalb der Vereinten Nationen und auch als deren Anwalt zu etablieren. Es muss dann klar sein, dass der Einsatz militärischer Gewalt als Interventionismus zur nationalen oder bündnispolitischen Interessendurchsetzung hegemonialer, machtpolitischer oder ökonomischer Art und deren Vorbereitung von uns grundsätzlich abgelehnt wird. Dem Übel einer tendenziell ins Uferlose gehenden Entgrenzung unseres Sicherheits- und Verteidigungsbegriffs darf dieses Land daher nicht weiter verfallen.

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Der Einsatz robuster militärischer Gewalt darf auch nicht zur Regel werden, der Ausnahmezustand nicht zum Normalzustand. Er muss eindeutig begrenzt werden auf Fälle von Völkermord und schwersten Verbrechen gegen die Menschlichkeit und dann strikt an die Charta der Vereinten Nationen und das humanitäre Völkerrecht gebunden. Das Staatenbauen mit der NATO funktioniert jedenfalls nachweislich nicht. Die Möglichkeiten und Instrumente einer internationalen Sicherheits-, Menschenrechts- und Friedenspolitik unterhalb der militärischen Schwelle sind zudem sehr vielfältig und, konsequent angewandt und mit entsprechenden Ressourcen ausgestattet, auch wirkungsvoll. Hierbei war Deutschland schon einmal weiter, doch in den öffentlichen Diskursen heute spielen sie so gut wie überhaupt keine Rolle mehr. Auch die Folge einer Politik, die systematisch Instrumente mit Zielen verwechselt, damit nur noch auf Sicht fährt und folglich keine klaren Leitlinien mehr verfolgt.

Dabei ist Deutschland ein Land, das alle Gründe hätte, hierbei zwar keine Sonderrolle, aber eine besondere Rolle in den internationalen Beziehungen einzunehmen. Seine Verantwortung in der Welt vor dem Hintergrund der eigenen Geschichte ist eine, die die Stärke des Rechts statt das Recht des Stärkeren, die die Bindung an das Völkerrecht und die Menschenrechte, die das Gewaltverbot und die präventive Konfliktbearbeitung in den internationalen Beziehungen zu obersten Prämissen seines Tuns erheben sollte. Vom Völkerbund bis zu den Vereinten Nationen, von den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen bis zum Haager Gerichtshof – gerade aufgrund seiner oftmals negativen Rolle in der Weiterentwicklung des internationalen Rechts und des humanitären Völkerrechts, steht dieses Land in der Pflicht, dieses mehr als andere zu verteidigen und weiterzuentwickeln.

In den Parteizentralen hierzulande – bis hin zur Linken – gilt es hingegen als ausgemacht, dass mit Friedenspolitik keine Wahlen mehr gewonnen werden. Friedenspolitiker im Bundestag werden zur seltenen Spezies. Angesichts der abzusehenden Entwicklungen bei einer Fortsetzung der gegenwärtigen ziellosen Kreuzfahrt jedoch sollte in den Parteien zumindest darüber nachgedacht werden, ob nicht irgendwann einmal eine Regierung durch die Folgen dieser Politik ohne klaren friedenspolitischen Kompass seine Mehrheit auch wieder verlieren könnte. Denn gerade die gegenwärtige Finanzkrise führt uns eindringlich vor Augen, in welche Zwangslagen sich eine Politik treiben lassen kann, die nicht früh genug Fehlentwicklungen erkennt, sich klare Leitlinien gibt und ihren Kurs entschieden korrigiert. Die Welt ist zweifellos komplizierter geworden und eine schlichte Rückkehr zur Entspannungspolitik Willy Brandts ist sicherlich nicht die Lösung. Ein zeitgemäßes Äquivalent dafür ist aber notwendiger geworden den je. Darum sollte Deutschland wieder das Frieden führen lernen und den Irrtum eines vermeintlichen Erwachsenwerdens durch die erneute Gewöhnung an die Normalität des Krieg führens endlich erkennen.

Das mittlerweile ramponierte Ansehen Deutschlands in Welt hat genau hier seine tieferliegenden Gründe, in einer unglaubwürdig gewordenen Zwischenposition, irgendwo zwischen moralischer Besserwisserei und dem Irrglauben, nur ernst genommen zu werden, wenn wir dem altbekannten Ruf „Germans to the front!“ wieder gerecht würden.


Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Robert Zion

Gruenen-Politiker, Publizist

Robert Zion

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