Der schleichende Bruch

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Briefe an die Ethikkommission, Teil I.

In Fukushima hat die technologisch-ökonomische Basis unserer Kultur ein Leck aus dem die bisher so sicher scheinenden Gewissheiten unserer Politik entweichen.

Von Robert Zion

Das, was in und um die havarierten Reaktoren in Fukushima stattfindet, ist kein Ereignis, sondern ein Prozess, keine technologische Katastrophe, sondern eine schleichende Erosion elementarster Grundlagen unserer Kultur. Nichts zeigt dies deutlicher, als die öffentliche Atomausstiegsdebatte hierzulande, die sich vermeintlich zur Gänze um die „Lehren aus Fukushima“ dreht, allerdings ohne auch nur im Ansatz zur Kenntnis zu nehmen, welcher Prozess dort, am anderen Ende der Welt an der Ostküste Japans, gerade vonstatten geht.

Zuweilen ist es in einer der Dauersondersendungen zu erahnen, wenn einer der rasch in die Öffentlichkeit gezerrten Atomexperten seinen ratlosen, leeren Blick nicht mehr verbergen kann. Die fehlenden Antworten auf die Frage, wie und ob dieser Prozess noch beherrschbar ist, füllen da bereits stumm jenen leeren Raum, in den sich eine ganze Kultur zu verwandeln droht.

Die japanische Kultur ist der Deutschen dabei sehr ähnlich. Auch dort hat sich nach dem Zweiten Weltkrieg der bis zum bitteren Ende niedergekämpfte Expansionsdrang in einen ökonomischen Wachstumszwang verwandelt, wurde das Gemeinwesen einem ökonomischen Imperativ unterstellt, der beide zu „Exportweltmeistern“, zu Werkbänken für die Welt und „Hochtechnologieländern“ werden ließ. Gesellschaftlich gestützt auf eine an Kant gemahnende Pflichtethik und einem traditionell stark ausgeprägten Obrigkeitssinn.

Nahezu ideale Voraussetzungen für die Anwendung einer Technologie, die mit ihrer stetigen Energiezufuhr nicht nur das oberste Ziel ständig wachsender ökonomischer Prosperität zu garantieren verspricht, sondern die auch sehr viel Vertrauen in die technischen, ökonomischen und politischen Eliten voraussetzt. Doch, was ist eigentlich, wenn diese Eliten, wenn die Atomtechniker, wenn Tepco und die japanische Regierung nicht mehr Herr dieses Prozesses sind, sondern dessen Opfer werden? Was ist, wenn sich dieser Prozess als unbeherrschbar zeigt und damit nicht nur die radioaktiven Isotope, sondern auch die Herrschaftsparadigmen dieser Eliten zerfallen?

„Souverän“, so heißt es beim Deutschen Staatstheoretiker Carl Schmitt, sei am Ende immer noch derjenige, „der über den Ausnahmezustand regiert“. Doch was ist, wenn dieser Ausnahmezustand nicht mehr regiert werden kann? Schon zeigen sich erste Risse im gerade stattfindenden ganz großen Bruch, in Form nicht vorhandener Notfallpläne, in der Weigerung, das Territorium preiszugeben und zu evakuieren, in sinn- und hilflos wirkenden Opferungen. Hierzulande möchte Bundesumweltminister Röttgen über eine Neubewertung „ethischer Fragestellungen“ reden, wobei dies bereits darauf hinauszulaufen scheint, verzweifelt nach irgendwelchen objektiven Kriterien der noch tragbaren Verantwortung der Regierenden für die Regierten im Angesicht der äußersten Katastrophe zu finden.

Jeder Mensch weiß allerdings als solcher, also als ein mit dem common sense, dem gesunden Menschenverstand ausgestattetes denkendes und fühlendes Lebewesen, dass solcherlei Einpreisungen der drohenden massenhaften Zerstörung und genetischen Veränderung des Lebens über „Ethikkommissionen“ nur der blanke Zynismus sein werden. Der Zynismus der Herrschenden gegenüber den Beherrschten hat übrigens eine lange Tradition. „Welch eine Verachtung für das Leben!“ Dies rief Sigmar Gabriel noch bei seiner Bewerbungsrede zum SPD-Parteivorsitz gegenüber der CDU aus. Doch, wo ist eigentlich der Unterschied zwischen Merkel und Gabriel, wenn beide offensichtlich gewillt sind, der Bevölkerung dieses sogenannte Restrisiko noch für einige Jahre zuzumuten?Machen ein paar Jahre tatsächlich einen Unterschied?

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In der Tat hat keine Partei ihre Lehren aus Fukushima gezogen. Denn keine stellt die politischen, ökonomischen und kulturellen Gründe der massenhaften Anwendung dieser Technologie in Frage. Nicht deren Herrschaftscharakter und auch nicht den grotesken Vorgang, dass ein aus Fleisch und Blut, also ein aus Materie bestehendes Gattungswesen, eben diese Materie lebenszerstörend aufspaltet und dann glaubt, es könnte das, aus was es gemacht ist, auch noch beherrschen. Hybris ist der Name hierfür, deren hervorstechendstes Merkmal die verloren gegangene Achtung vor sich selbst ist und deren abzusehendes Ende das zu Grunde gehen an den eigenen Herrschaftsphantasien.

Endgültig zu Grunde gehen könnte auch die alte und großartige japanische Kultur, am Ende überantwortet an ein ökonomisches Zeitalter, in der die Selbstachtung vor dem eigenen Leben durch einen ständigen Fluss von Warenströmen als Ersatzbefriedigung abgelöst worden ist. Dem kollektiven Wahn verfallen, dass das Meiste auch das Gute ist, der logischen Absurdität aufgesessen, dass, weil alles per se knapp sei, wir ganz viel vom Knappen haben müssen. Wer das Leben als Überlebenskampf missversteht, der kämpft halt am Ende nur noch ums Überleben.

Es ist abzusehen, dass nicht so rasch aus dieser Technologie ausgestiegen wird – was wir doch eigentlich unmittelbar und endgültig tun sollten. Sofort! Es dürfe kein wirtschaftlicher Schaden entstehen, wird es heißen. Wir werden jetzt ganz viel über Grundlast, Versorgungssicherheit und Energiepriese vernehmen. Dabei ist diese Art des Wirtschaftens eigentlich schon der Schaden selbst. Sie hat den Bruch mit uns selbst hervorgebracht, bringt ihn fortwährend weiter hervor. So weitgehend mittlerweile, dass selbst unsere Kultur als unsere zweite Natur vor einem Bruch steht. Aus dem Drang nach Selbstbestimmung der Humanisten haben wir eine Art Frankenstein-Labor gemacht, aus der Aufklärung ein Ingenieursprojekt.

Dass alle jetzt „schnellstmöglich“ aussteigen wollen, heißt nichts anderes, als dass uns damit gesagt wird, dass es eben jetzt noch nicht möglich ist. Nicht aus technischen oder ökonomischen Gründen, sondern weil er eine bestimmte Art des Tuns, das wir für gewöhnlich „Wirtschaft“ nennen, nicht einfach so verändern kann. Denn aus ihm ist längst auch das Produkt dieses Tuns geworden. Herbert Marcuse nannte ihn einmal den „eindimensionalen Menschen“. Dieser steht heute als Atomexperte in der Dauersondersendung vor uns mit ratlosem Blick. Ohne Antworten. Weil die Fragen, die er bisher gestellt hat, nur einen eng umrissenen Bereich in einer zugewiesenen Funktion umfassen durften. Dass dies mittlerweile auch in der Politik zu beobachten ist, kann ein sehr schlechtes, aber vielleicht auch ein gutes Zeichen sein. In dieser Ungewissheit und im Zweifel keimt vielleicht noch Hoffnung.

Teil II und Teil III folgen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Robert Zion

Gruenen-Politiker, Publizist

Robert Zion

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