Die CDU und das Gleichgewicht

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Mit der Verfassungsklage der CDU gegen den rot-grünen Haushalt in NRW hat diese ein gefährliches Spiel mit der Demokratie betrieben: Es geht jetzt um nichts weniger als um die Aushebelung der Gewaltenteilung und die Erosion einer gemeinsamen politischen Basis.

Von Robert Zion

Wie auch immer die Interpretation des Urteils nun auch ausfallen wird, das politische Spiel, das die CDU hier treibt, hinterläuft die Grundlagen der parlamentarischen Demokratie aus einem rein machtpolitischen, staatspolitisch jedoch weitestgehend unüberlegtem Kalkül.

Im Ganzen geht es darum, dass die parlamentarische Demokratie nicht zur Beute einer Parteiung gemacht werden darf. Denn diese Demokratie beruht, wie es die staatsrechtliche Tradition aus der europäischen Aufklärung etwa bei Montesquieu, Locke, Harrington und Hume nahezu unisono eingefordert hat, auf dem Prinzip der Gewaltenteilung, der „seperate and coordinate powers“ und der „checks and balances“.

Aus dieser Tradition ist unser heutiges Prinzip der Gewaltenteilung hervorgegangen, der Legislative, Exekutive und Judikative. Die Exekutive wird von den gewählten Volksvertretern der Legislative bestimmt und kontrolliert, die Judikative überwacht die Einhaltung der gemeinsamen verfassungsrechtlichen Basis der Demokratie, in der die Parteien agieren.

Gerade das Haushaltsrecht des Parlaments ist dabei seit jeher der Garant für die Souveränität des Volkes in der parlamentarischen Demokratie, in ihm bündelt sich sozusagen die Gesamtheit des politischen Programms der gewählten Parteiungen. Dass dieses Programm je nach Partei divergieren kann, gehört zum Wesen der Politik, stellt aber, solange sich diese Parteiprogramme auf der verfassungsrechtlichen Basis bewegen, kein wirkliches Problem dar.

Tatsächlich ist es so, dass die eben auch aus politischen Traditionen hervorgegangen Verfassungen einen Rahmen bilden, in dem gesellschafts-, finanz- und wirtschaftspolitische Konzepte sowohl von CDU/FDP als auch von SPD/Grünen prinzipiell möglich sind, möglich sein müssen. Allein die Tatsache, dass in der NRW-Verfassung der Term „gesamtwirtschaftliches Gleichgewicht“ vorkommt, zeigt z.B., dass das implizit dahinterstehende keynesianische Prinzip mit zu den historischen Grundlagen unserer Demokratie gehört. Gleiches ließe sich übrigens auch vom Monetarismus behaupten.

Welches Prinzip sich aber in der jeweiligen Regierungskonstellation durchsetzt, ist eine explizit politische und keine verfassungsrechtliche Frage. Dabei steht für NRW außer Zweifel, dass Rot-Grün mit der Vorlage des Haushalts bewusst einen keynesianischen Weg gewählt hat. Hannelore Krafts Bekenntnis zu einer präventiven Politik im Sozialen, im Bildungsbereich oder in der Kinderbetreuung etwa, ließe sich dabei ebenso schlüssig auf keynesianische Nachfragepolitik („deficit spending“) zurückführen, wie das sozial-ökologische Konzept des „Green New Deal“ der Grünen auf wesentliche Elemente des New Deals Roosevelts. Auf der anderen Seite steht der Monetarismus mit seinen Prinzipien der Angebotspolitik und der reinen Geldmengensteuerung, den CDU/FDP in ihrer Regierungszeit in NRW betrieben (etwa „Privat vor Staat“), für den sie aber auch abgewählt wurden.

Dies alles wäre kaum der Rede wert, die Auseinandersetzung über die Schulden NRWs eben eine dezidiert politische Auseinandersetzung, wenn die CDU nicht derzeit mit ihrer Klage gegen das keynesianische Programm von Rot-Grün eine a-politische Strategie zu Lasten der Basis der parlamentarischen Demokratie betreiben würde. Diese Klage stellt sich so als der Versuch dar, die Judikative zu einer Art Prärogative zu erheben und somit das Prinzip der Gewaltenteilung massiv zu verletzen.

Die Prärogative bezeichnet ursprünglich das Vorrecht der Monarchen gegenüber der Legislative, diese konnten aufgrund ihrer prärogativen Vorrechte sogar das Parlament vor Ablauf der gesetzlichen Legislaturperiode auflösen und eine Neuwahl veranlassen. Doch ist die Judikative eben nicht die Prärogative, sie zu einer solchen machen zu wollen, würde vielmehr das System der „Checks and Balances“ aus dem Gleichgewicht bringen, in dem es die eigentlich politische Frage der Feststellung, ob das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht noch gewahrt ist oder nicht, zu einer richterlichen machen würde.

Politisch, heißt das, versucht die CDU in NRW derzeit den gescheiterten Monetarismus mit seinen Spar- und Privatisierungsprogrammen richterlich durchzusetzen. Damit verhöhnt sie die Souveränität des Parlaments, dem es allein obliegt, zu entscheiden, welche politischen Programme für das Allgemeinwohl die Angemessensten sind. Denn Rot-Grün hat auch nach der Wahl nichts getan, was nicht vor der Wahl gesagt worden wäre. Insofern hat diese Regierung ein Mandat für diese Politik. Auf Druck der CDU jetzt in Neuwahlen zu gehen, käme einer Niederlage eben der politischen Programme gleich, für die Rot-Grün steht, es wäre das Eingeständnis, dass eine keynesianisch orientierte, sozial-ökologische Nachfragepolitik nicht von der Verfassung NRWs abgedeckt ist.

Damit hätte die CDU gewonnen – vermeintlich. Denn dabei hätte sie nicht nur das System der „Checks and Balances“ schwer beschädigt, sondern eine lange Verfassungstradition, die dieser Demokratie eine gemeinsame Basis für höchst unterschiedliche politische Konzepte garantiert hat, zerstört. Die politische Kultur in diesem Land geriete endgültig aus dem Gleichgewicht.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Robert Zion

Gruenen-Politiker, Publizist

Robert Zion

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