Legal? Illegal? Sch....egal!

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Drucksache 17/4402, heute am Freitag, den 28.01.2011 von den Abgeordneten des Deutschen Bundestages mit großer Mehrheit durchgewunken. Die Fortsetzung eines Krieges im NATO-Verbund in Afghanistan, der zwar mittlerweile auch so genannt wird, der aber immer noch keiner sein darf. Denn dann müsste man sich an das humanitäre Kriegsrecht halten. De facto ist es ein schwarzer Tag in der Geschichte des bundesrepublikanischen Parlamentarismus, der eben mal genau das über Bord wirft, was wir wirklich verteidigen müssten, statt die „Freiheit am Hindukusch“.

Vielleicht braucht es ja einer Gruppe von Kirchenleuten und Wissenschaftlern, die der oft verschleiernden Sprache der Berufspolitik nicht mächtig sind, um das hierzulande schwer Ansprechbare dann doch anzusprechen: „Selbstverständlich sollten leichtfertige Vergleiche mit früheren deutschen Kriegen vermieden werden, wohl aber sollten die Erfahrungen als Warnschilder dienen. Die deutsche Wehrmacht hatte im Zweiten Weltkrieg, obwohl sie und ihre Nachfolger bekanntlich bis heute für 'sauber' plädieren, den berüchtigten geheimen 'Kommissarsbefehl' zu verantworten. Der bestand in nichts anderem als in 'gezielten Tötungen' von tatsächlichen oder vermeintlichen aktiven Kommunisten hinter der Ostfront auf bloße Denunziation hin. Heute häufen sich in Afghanistan Meldungen über 'Vorfälle' mit internationalen Eliteeinheiten, die sehr ernste 'Rutschgefahren' signalisieren. Auch wenn die Bundeswehr selten direkt beteiligt sein sollte, sitzt sie im gleichen Boot.“

Oder zweier Grüner Abgeordneter, die nicht nur mit „nein“ stimmten, sondern dies auch noch begründeten: „Die US-Streitkräfte verstärken den Offensivkrieg im Rahmen der „Counter Insurgency“ durch extralegale Hinrichtungen in nie gekanntem Ausmaß. Hunderte von Zielpersonen werden Opfer von Kommandooperationen. Immer mehr unbemannte Drohnen werden in Afghanistan und im angrenzenden Pakistan eingesetzt. Die USA verweigern jede nähere Auskunft zu diesen Operationen. Aber nach Medienberichten soll nur etwa ein Drittel der Getöteten zu den Aufständischen gehört haben. Laut der New York Times gab es 2010 sechsmal mehr solcher Kommando-Operationen. Auch die Bundeswehr unterstützt dies, indem sie Zielpersonen für die Targeting-Listen von ISAF bzw. NATO benennt und nimmt so billigend in Kauf, dass die Gelisteten Opfer von extralegalen Tötungen werden.“

Ganz konkret geht es um schwere Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht. Gegen die Genfer Abkommen von 1949 über die Behandlung von Kriegsgefangenen und über den Schutz von Zivilpersonen in Kriegszeiten, gegen die Zusatzprotokolle von 1977 zu diesen Abkommen über den Schutz der Opfer in internationalen und in nicht-internationalen bewaffneten Konflikten. Es geht um schwere Verstöße gegen den Pakt über bürgerliche und politische Menschenrechte von 1966 und nicht zuletzt Verstöße gegen das Übereinkommen gegen Folter von 1984.

Und der gigantische Militärstützpunkt Bagram, in der Vorlage der Bundesregierung nicht mit einer Silbe erwähnt, wird wohl bleiben – inklusive Foltergefängnis. So deutet es das im im Bundestag verabschiedete Mandat an, in dem von einer “anschließenden langfristigen Partnerschaft der NATO mit Afghanistan“ die Rede ist. Alternative Anträge zur Entschließung gab es nicht, von keiner Fraktion. Wie wollen denn die Mehrheit unserer Volksvertreter diesen Krieg weiter mit der Durchsetzung von Rechtsprinzipien begründen, wenn er offensichtlich unter dem fortgesetzten Bruch dieser Prinzipien geführt wird? Wo gehobelt wird, da fallen Späne? Hier gelten diese Prinzipien nicht?

Was ist das eigentlich in Afghanistan? Was ist das jetzt genau? Es gibt einen klugen europäischen Philosophen, der dies vorhersah, genau analysiert hat: „Die imperiale Souveränität schafft Ordnung, (...) indem sie ein Regime aus Disziplinaradministration und politischer Kontrolle einsetzt, das direkt auf einer permanenten Kriegsführung basiert. (...) Der Krieg als Fundament der Politik muss selbst Rechtsformen einschließen, ja, er muss neue prozedurale Formen des Rechts schaffen. (...) Während er also früher durch rechtliche Strukturen geregelt war, wird der Krieg nun selbst regelnd, indem er sein eigenes Rechtsgefüge ein- und durchsetzt.“ In Afghanistan gibt es keine Verbrecher, es gibt keine Kombattanten – es gibt „Ziele“.

Und darum wird in Afghanistan nichts verteidigt, dort wird die globale „Sicherheitspolitik“ von morgen und ein neues Rechtsgefüge konstruiert. Die Rolle, die die Bundesrepublik Deutschland darin einnehmen wird, haben die Abgeordneten im Bundestag schon mal mit vorgezeichnet. Weitestgehend entpolitisiert in ihrer Wahrnehmung der Prozesse, in die dieses Land hineingerutscht ist, sich hat hineinziehen lassen. Und so sind sie unfähig gewesen, der Verantwortung der Deutschen gegenüber ihrer Geschichte überhaupt gerecht zu werden. Aber damit sind sie nicht allein. Auch das Versagen der Medien ist nüchtern festzustellen. Und so verlieren wir nicht nur absehbar einen Krieg, sondern auch noch uns selbst. Aber vielleicht ist dieses neue Selbst ja doch nicht so viel gewesen, wie es in unzähligen Sonntagsreden – von Politikern in diesen Medien – jahrzehntelang beschworen wurde.

Bravo, meine Damen und Herren Abgeordneten! Al Qaida, obwohl in Afghanistan nicht mehr von Bedeutung, hat gewonnen. Genau das wollten die! Unsere eigenen Grundsätze den Generälen überantwortet. Den Träger dieser Grundsätze, die Vereinten Nationen, zum Stichwortgeber für ein Militärbündnis degradiert. Wieder einen jener Despoten installiert, gegen die die Menschen in Tunesien und Ägypten gerade auf die Straße gehen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Robert Zion

Gruenen-Politiker, Publizist

Robert Zion

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