Über den Zustand eines Landes und seiner Armee

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Alle Jahre wieder... steht im Bundestag die Verlängerung des Afghanistan-Mandats an. Doch die deutsche Öffentlichkeit streitet sich lieber über Meutereien oder geöffnete Feldpost, statt über das Abrutschen Deutschlands in einen stetig eskalierenden, schmutzigen und völkerrechtlich unhaltbar gewordenen Krieg.

Von Robert Zion

Zunächst die nackten Zahlen. Seit Beginn des Krieges in 2001 sind bisher insgesamt 2.271 Nato-Soldaten ums Leben gekommen, darunter 46 Soldaten der Bundeswehr und drei deutsche Polizisten. In den von der Webseite WikiLeaks im Juli 2010 veröffentlichten Berichten des „Afghan War Diary“ aus den Jahren 2004 bis 2009 wurden insgesamt 24.155 Tote im Zusammenhang mit dem Krieg numerisch erfasst.

Das nun von der Bundesregierung vorgelegte Mandat – und das ist ein Novum – „verspricht“ nun noch weitere vier Jahre des „Tötens und töten Lassens“. Mindestens. Denn was von den Abzugsbekundungen bis 2014 tatsächlich zu halten ist, haben die Kanadier erfahren, deren Parlament den vollständigen Abzug in 2011 beschlossen hatte. Die konservative Regierung kassierte den Beschluss, wie es heißt, soll dieser „Kompromiss“ den Druck der Alliierten und hier vor allem der USA auf Ottawa mildern. Was zählt da noch der Bericht der unabhängigen Untersuchungskommission, deren Ergebnis dem kanadischen Parlament als Grundlage für seine Entscheidung diente?

Ob es sich nun um das illegale Gefängnis Bagram handelt, vom roten Kreuz als „Folterlager“ bezeichnet, den Einsatz von Streubomben, von Phosphormunition und schwerer Artillerie durch die Bundeswehr, oder um die Menschenjagden in Afghanistan - unter der Führung und dem Druck der USA rutschen die Bündnispartner weiter in einen eskalierenden Konflikt, der zur Folie eines postdemokratischen Krieges wird, der das humanitäre Völkerrecht missachtet, wie Caritas International feststellt, und zudem die Kontrollfunktion und demokratische Hoheit der Parlamente unterläuft.

„Lasst uns nicht zu dem Übel werden, das wir beklagen“, so die demokratische Kongressabgeordnete Barbara Lee, die als einzige von 421 Kongressabgeordneten gegen die Intervention in Afghanistan stimmte, in ihrer Rede am 14. September 2001 vor dem US-Kongress. Barbara Lee wurde von der konservativen deutschen Presse deshalb als „Mutter Courage“, „Hinterbänklerin“, „unverbesserlich“ und „stur“ denunziert. Dieselbe Presse übrigens, die heute Verteidigungsminister zu Guttenberg nach dem Munde schreibt. Nichtsdestotrotz hat Barbara Lee mit ihrer eindringlichen Mahnung vom September 2001 recht behalten: "Es muss doch jemanden geben, der jetzt sagt: Lasst uns einen Moment einhalten und gründlich die langfristigen Folgen unserer Aktionen überdenken, damit nichts außer Kontrolle gerät." Ja, es muss jemanden geben – und sei es nur eine einzige von 421 Parlamentariern.

Bleibt die Frage, wer von den bisherigen Befürwortern im Deutschen Bundestags bei der anstehenden Mandatsverlängerung endlich das Scheitern eingesteht und die Fraktionszwänge, Legitimations-Diskurs-Blasen und die die Urteilskraft der Bevölkerung zutiefst missachtenden Image-Kampagnen der Bundesregierung durchbricht. Denn gemäß der – zumindest diskursiv – gesetzten Zielen von Demokratie, Frauenemanzipation, Wohlstand etc., ist dieser Einsatz vollständig gescheitert. Schon länger hat in ihm und an ihm die Erosion der eigenen demokratischen und humanitären Prinzipien begonnen – und dies nicht erst seit dem von der Bundeswehr zu verantwortenden „Massaker“ (Jürgen Todenhöfer) von Yakob Baj nahe Kunduz am 04. September 2009.

Deutschland – ein Land im Krieg. Der aber aufgrund verfassungsrechtlicher Konsequenzen nicht so genannt werden darf. Auch dies trägt zum Verfall einer bundesrepublikanischen Tradition bei, die versucht hat die Lehren aus zwei Weltkriegen zu ziehen, und die ohne die Basis der historischen Redlichkeit, des Lernwillens und einer ehrlichen Auseinandersetzung mit dem deutschen Militärismus ernsthaft in Gefahr gerät. Nein, geraten ist. Ein neokonservativer deutscher Verteidigungsminister hat es in der Tat geschafft, über eine Boulevardisierung des Diskurses einer neuen, vermeintlich sanfteren Version des Militarismus Raum zu verschaffen. Erschreckend, dass und wie ein Großteil der deutschen Medien darauf anspringt. Deutschland, dein Wintermärchen in 2010/2011.

Das NATO-Großprojekt Afghanistan ist aber nun einmal weit weg vom deutschen „Wutbürger“. Auch, weil erstaunlich wenig Bilder aus Afghanistan ihren Weg in die demokratische Öffentlichkeit hierzulande finden. Die Bilder der zehntausende von Toten bleiben Verschlusssache. An jedem Fernsehabend werden den Menschen in Spielfilmen mehr Bilder von Toten zugemutet, als aus dem gesamten Afghanistan-Krieg seit 2001 bisher. Das sind die kommunikationsstrategischen Lehren aus Vietnam. Auch darum wird der Bundestag in der kommenden Woche einen Kriegseinsatz bis 2014 verlängern, der mittlerweile genauso falsch – und aussichtslos – geworden ist, wie der in Vietnam. Und er wird dies nahezu aus den gleichen Gründen tun, zur eigenen Gesichtswahrung, um sich das Scheitern nicht eingestehen zu müssen.

„Eine Kultur des Scheiterns ist nicht vorgesehen“, so der Kabarettist Georg Schramm. Doch dort am Hindukusch scheitert gegenwärtig nicht nur dieser Einsatz, es scheitert viel mehr: ein gutes Stück liberaler, friedenspolitischer und demokratischer Kultur der Bundesrepublik. In der Sprache der Militärstrategen gibt es den Begriff „mission creep", um die schleichende Ausweitung von Einsätzen zu bezeichnen. Dieser trifft mittlerweile auf die politische Verschiebung hin zum militärischen Paradigma in der Außenpolitik hierzulande ebenso zu.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Robert Zion

Gruenen-Politiker, Publizist

Robert Zion

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