Nach der Sommerpause verhandelt seit einer Woche das Landgericht Dessau weiter gegen zwei Polizeibeamte: Vor allem Andreas S. wird vorgeworfen, für den Tod des Asylbewerbers Oury Jalloh verantwortlich zu sein, der am 7. Januar 2005 in einer Arrestzelle der Polizei verbrannte.
Jalloh stammte aus Sierra Leone. Er flüchtete vor dem Bürgerkrieg und beantragte in Deutschland Asyl. Anfang 2005 griffen ihn Dessauer Polizisten auf. Jalloh war betrunken und wurde in Gewahrsam genommen, um seine Identität festzustellen. Weil er angeblich Widerstand leistete, fesselten sie ihn an Händen und Füßen, fixierten ihn auf einer Matratze der Arrestzelle Nummer 5 und ließen ihn unbeaufsichtigt. Die Matratze fing Feuer. Jalloh rief um Hilfe, aber niemand kam - Oury Jalloh
chtigt. Die Matratze fing Feuer. Jalloh rief um Hilfe, aber niemand kam - Oury Jalloh verbrannte.Dem Hauptangeklagten Andreas S. wirft die Staatsanwaltschaft vor, nicht rechtzeitig reagiert zu haben: Er habe die Gegensprechanlage wegen der starken Geräusche aus der Gewahrsamszelle leise gestellt, den Brandalarm zweimal weggedrückt und erst auf Drängen einer Kollegin die Zelle aufgesucht. Unklar ist bis heute, wie die Matratze, deren Material als schwer entflammbar gilt, überhaupt anfangen konnte zu brennen.Am zehnten Prozesstag wird es still im Gerichtssaal. Nur der Richter spricht und zerpflückt die Aussagen einiger Polizeizeugen: Zumindest einer, sagt der Vorsitzende Richter Manfred Steinhoff, müsse bewusst falsch ausgesagt haben, um den Hauptangeklagten Andreas S. zu schützen. "Nennen Sie uns den, der hier die Unwahrheit sagt", verlangt er vom Angeklagten. "Sie sind Beamter des Landes Sachsen-Anhalt, und wir leben in keiner Bananenrepublik", poltert der Richter, der sich längst als "sehr frustriert und erschüttert" bezeichnet. "Ich werde den Prozess in Grund und Boden verhandeln. Ich werde notfalls jeden Zeugen zehnmal vorladen. Irgendwann fällt jemand um."Die erneute Vernehmung des Polizeibeamten Gerhardt M. dreht sich um die letzte Phase des Verbrennungstodes von Oury Jalloh. Aufhorchen lässt seine erstmals gemachte Aussage, dass er nach Öffnen der Gewahrsamstür durch den Angeklagten - trotz des schwarzen Qualms - zwei Schritte in die Zelle gemacht habe und Jallohs festgeschnallten Körper gesehen habe. Er habe versucht, die Matratze zu löschen, was ihm aber nicht gelungen sei. "Das einzige, was geholfen hätte, wäre gewesen, Jalloh sofort loszumachen." Jalloh hätte von seinen Hand- und Fuß-Fesseln befreit werden müssen, aber er habe keine Schlüssel gehabt. Die hatte der Hauptangeklagte Andreas S., der stets bestritten hatte, dass es möglich gewesen sei, die Zelle überhaupt zu betreten, da es zu stark gequalmt habe.Schon jetzt erlauben die Aussagen der Zeugen einen erschreckenden Einblick in die Organisation, das Verhalten und die Mentalität im Dessauer Polizeirevier: Hier lernt man eine Sicherheits- und Ordnungsbehörde kennen, in der "Sicherheit" offenbar über Menschenwürde und Bürgerrecht gestellt wird. Man könnte auch von organisierter Verantwortungslosigkeit sprechen.Da wird ein hoch alkoholisierter Migrant angeblich nur zur Identitätsfeststellung für gewahrsamstauglich erklärt, an allen vier Gliedmaßen über Stunden fixiert und angeblich zur eigenen Sicherheit nahezu bewegungsunfähig gemacht; da wurden trotz gesteigerter Garantenpflicht gegenüber dem Fixierten Kontrollgänge höchst nachlässig absolviert und beunruhigende Auffälligkeiten ignoriert, da gab es kaum Schulungen der Polizei, geschweige denn ausreichende Brandschutzmaßnahmen.Am Ende geriet die angebliche Eigensicherung des "Delinquenten" zur ausweglosen Todesfalle und der Sicherheitsgewahrsam zur Todeszelle. Erst nach diesem unglaublichen Vorfall ist die Gewahrsamsordnung geändert worden: Heute wäre Oury Jalloh in seinem alkoholisierten Zustand nicht mehr festgenommen, sondern in ein Krankenhaus gebracht und dort medizinisch betreut worden.Die Anwälte der Nebenklage - Regina Götz, Ulrich von Klinggräff und Felix Isensee -, die Mutter, Vater und Bruder des Opfers vertreten, verbuchten bereits zu Beginn des Prozesses einen wichtigen Erfolg: Nun wird auch jener Todesfall in dem Verfahren verhandelt, der sich 2002 in derselben Zelle des Dessauer Polizeireviers ereignet hatte.Damals starb ein 36jähriger Obdachloser im Gewahrsam, wo er 15 Stunden verbringen musste, davon mehrere unkontrolliert. Als verantwortlich galten einer der jetzt angeklagten Polizeibeamten und der Arzt, der auch die "Gewahrsamstauglichkeit" von Oury Jalloh feststellte. Zwar wurde das Strafermittlungsverfahren damals eingestellt, aber die Frage nach einer möglichen Pflichtwidrigkeit des betreffenden Angeklagten in jenem Fall kann auch in diesem Verfahren von großer Bedeutung sein. Es drängen sich jedenfalls erstaunliche Parallelen auf.Der Prozess vor dem Landgericht Dessau, der mit großem Aufwand und mit Sorgfalt geführt wird, hat auch deshalb besondere Bedeutung, weil es immer wieder vorkommt, dass Obdachlose, Drogenabhängige, Flüchtlinge und Ausländer in Polizeigewahrsam schwer verletzt werden oder sogar ums Leben kommen; zu oft werden solche Fälle nicht aufgeklärt. Nach einer Studie der Universität Halle starben zwischen 1993 und 2003 bundesweit 128 Menschen im Polizeigewahrsam; dabei hätte jeder zweite Tod verhindert werden können.Der Prozess gegen Andreas S. läuft seit Ende März; nach bisher 24 Verhandlungstagen sollen noch weitere Zeugen befragt werden, spätestens bis zum 15. November. Ein Ende des Verfahrens ist allerdings nicht in Sicht.Dr. Rolf Gössner ist Rechtsanwalt und beobachtet den Prozess als Präsident der "Internationalen Liga für Menschenrechte" und im Auftrag der Flüchtlingsorganisation "Pro Asyl".