Theoretische Friedenspolitik

Die LINKE Augsburg-Nachlese: In ihrer Sucht nach Anerkennung im links-liberalen Mainstream beseitigt die Partei nicht nur entscheidende friedenspolitische Inhalte, sondern auch Analysefähigkeit und Diskussionskultur

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Die Kommunikation der Parteiführung auf und nach dem Europaparteitag der LINKEN in Augsburg hat gezeigt: Ihr fehlt völlig das Bewusstsein der eigenen Verantwortung für die Lage, in der sich die Partei aktuell befindet. Selbst für Dietmar Bartsch, den scheidenden Fraktionsvorsitzenden, der sich bislang im innerparteilichen Streit recht fair zurückgehalten hatte, waren diejenigen, die Sahra Wagenknecht folgen, nunmehr einfach nur Sünder, "ohne das Rückgrat, auf Parteitagen für Mehrheiten zu kämpfen." Dieses Nachtreten ist unter Bartschs Niveau. Vor allem aber ist dieser Vorwurf der Illoyalität blind für die politischen Inhalte, die sich damit verbinden: Natürlich weiß er auch, wie sich die Mehrheiten auf Parteitagen der LINKEN mittlerweile zusammensetzen, dass schätzungsweise weit über drei Viertel der Delegierten dort junge hauptamtliche Funktionäre sind, die auf Friedenspolitik und klassische Sozialpolitik herabblicken. Oder hat er wirklich nicht mitbekommen, welche Inhalte (nämlich genau die der Wagenknecht-Getreuen) in der Partei Stück für Stück ganz strategisch und absichtsvoll marginalisiert wurden und werden? Das ist doch die Realität: Eine ehrliche innerparteiliche Strategiedebatte über die großen inhaltlichen Themen dieser Tage - Migration, Corona, und Friedenspolitik - ist von den jungen Ahnungslosen im Parteivorstand in den letzten Jahren immer hintertrieben worden. Dies sicher auch in dem Wissen, dass sie in einer wirklich offenen Fachdebatte argumentativ komplett untergegangen wären. Den Willen zu einem strategischen Kompromiss, der aus der Erkenntnis entspringt, wie wichtig die Inhalte des Wagenknecht-Lagers für die Gesamtpartei und ihre Wahlergebnisse sind, hat die neu-linke Hälfte der Partei aus ideologischer Borniertheit nie aufgebracht.

Wie sich das mit dem "auf Parteitagen um Mehrheiten kämpfen" heutzutage so gestaltet, konnte man in Augsburg dann gleich besichtigen. Paradebeispiel dafür ist die Friedenspolitik. Trotz vieler gelungener Passagen im Europawahlprogramm: Immer wenns konkret wird, klemmts. Über die Urspünge des Ukraine-Konflikts z.B. hat die LINKE in ihrem Europawahlprogramm keinen Satz mehr zu verlieren. Der Programmabsatz zum dortigen Krieg erinnert in seiner grotesken Wirklichkeitsverweigerung an Monty Pythons 'Leben des Brian': Hat jemand NATO und EU in der Ukraine gesehen ? Nain, Nain, naaaaain, wir können die dort nirgends entdecken, nein oh nein! Dabei hätte ein Satz, ein Verweis gereicht, um EU-Einmischung und Scharfmacherei augenfällig zu machen: Z.B. zum Baroso-Ultimatum von 2013, mit dem die EU-Kommission die damalige ukrainische Regierung in die unmögliche Situation zwang, zwischen EU-Assoziation und russischer Zollgemeinschaft wählen zu müssen, was seitdem ukrainischsprachige und russischsprachige Bevölkerungsteile gegeneinander setzte. So etwas klar festzustellen, würde nichts wegnehmen an der Verurteilung von Putins Einmarsch im Februar 2022. Es aber zu verschweigen, ist Geschichtsklitterei. Zu möglichen Verhandungen wird martialisch formuliert, dass "Angreifer Russland an den Verhandlungstisch gezwungen" werden muss, aber weggelassen, dass der sogenannte 10-Punkte-Friedensplan der ukrainische Regierung seinerseits überhaupt keinen Raum für Verhandungen einräumt. Die Beschreibungskategorie 'Imperialismus' wird von den neuen Bewegungslinken gescheut wie der Teufel das Weihwasser. Aber um die eigenen moralischen Höhenflüge contra Russland zu untersetzen, wird das Wort extra dafür wieder aufgeputzt. Auch der Begriff des "Militärisch-Industriellen Komplexes" wurde in der Debatte in Augsburg nicht etwa gebraucht, um die letzten Milliardenvorhaben zwischen EU-Kommision, Mitgliedsstaaten und Airbus zu charakterisieren, sondern RosAtom in Russland. Schlechtes gibts nur beim andern. Kindischer gehts nimmer.

So weit geht man, um sich sein rosiges Bild der Europäischen Union zu erhalten. In einer internen Bilanz für die Progressive Linke, die dem Schreiber dieser Zeilen vorliegt, feiert Sabine Berninger, dass das Agieren der EU nicht mehr genannt wird als mitverantwortlich für den Ukraine-Krieg: Es steht nicht mehr drin, also ist es nicht mehr so. Ich schreib mir die Welt, widiwidiwitt, wie sie mir gefällt. Und auch wenn die Monstrosität der Anschläge der Hamas es emotional angelegen erscheinen lässt, von dort aus den Nahost-Konflikt plötzlich ganz neu betrachten zu wollen, muss doch erlaubt sein zu fragen, wie es dazu kommen konnte, dass eine solch menschenverachtende Terrorgruppe entstehen und in Gaza 'erfolgreich' sein konnte. Das alles ereignete sich also - wie UN-Generalsekretär Guterres zu Recht fragt - vollkommen im luftleeren Raum, und nicht etwa doch vor dem Hintergrund einer fast 50-jährigen Okkupations- und Vertreibungsgeschichte? Die wird im Nahost-Beschluss von Augsburg aber erst ganz unten erwähnt.

Kontext und Zusammenhänge braucht es nun offenbar nicht mehr, wenn die Linke sich internationale Politik erklärt: Bis auf zwei wurden alle oppositionellen Anträge im Rahmen der friedenspolitischen Debatte in Augsburg abgelehnt. Und friedenspolitisch engagierte Genosinnen und Genossen sollen nun weiter zahm zusehen, wie ihre Essentials in der Partei seit Jahren Stück für Stück zerschlagen werden, und sich trotzdem weiter der Tortur unterziehen, "auf Parteitagen für Mehrheiten zu werben", wenn dort weder der Sachverstand noch der Wille zum Kompromiss exisitert? Die Parteimitte bleibt leider stumm zu der Frage, ob nicht politische Inhalte verteidigt oder zumindest offen diskutiert werden müssen, damit man die Einheit der Partei sichern kann. Weder die Kommentare von Dietmar Bartsch, noch die drei Inhaber der Direktmandate beantworten diese Frage.

Das Resultat dieser Entwicklung ist nun eine Linke friedenspolitische Rhetorik, die nicht-militärische Konfliktlösung immer wieder schlagwortartig beschwört, aber diese nur selten praktisch ausfüllt. Immer schön theoretisch bleiben. Und keine zu konkreten Forderungen stellen oder gar (Gott behüte) unabhängige öffentliche Protestformen unterstützen - so wie es im Februar tausende Genossinnen und Genossen bei der bislang größten Antikriegs-Kundgebung 'Aufstand für Frieden' taten, auf eigene Rechnung. Denn die Parteiführung erklärte sich damals zwar theoretisch für Frieden in der Ukaine, aber eben praktisch nicht für die Demo, auf der über 30 000 Menschen genau das zum Ausdruck brachten. Spätestens dies war niemandem mehr zu erklären.

Die praktische Exekution dieser "theoretischen Politik" wird nun übernommen von Leuten wie Katina Schubert von der progressiven Linken. Schubert wurde für den Erfurter Parteitag zur Tagungsleiterin für die Debatte zum friedenspolitischen Teil des Leitantrags bestimmt, wonach sie - kaum war der Leitantrag mit der Positionierung gegen Waffenlieferungen an die Ukraine beschlossen - solche Waffenlieferungen für legitim erklärte. War das nicht ein Bruch des Parteitagsbeschlusses? Aber im Gegensatz zu bestimmten Stellungnahmen von Sahra Wagenknecht, über die sich monatelang das ganze Parteiestablishment ereiferte, qualifizierte sich Schubert mit diesesm Bruch erneut für den Job auf dem Augsburger Parteitag. Entsprechend 'effektiv' kujonierte, unterbrach, verhöhnte Schuberts Unteroffiziersstimme dann die friedenspolitischen Antragssteller in Augsburg: "Jetzt ist Schluss hier!!!" - ein Tonfall, oder besser: ein Krächzen, in dem stalinistischer Umgang und militaristischer Inhalt zu gleichen Teilen widerhallten. In Katina Schubert, dem progressiven preußischen Feldwebel der LINKEN, ist der Grad friedenspolitischer Glaubwürdigkeit der Partei nach Augsburg gut zusammengefasst. Das BSW wirds freuen.

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