Homerisches Gelächter

Sterben müssen andere Ohne die "Spiralblock-Affäre" hätte es die Inszenierung von "Mala Zementbaum" am Berliner Maxim-Gorki-Theater nie gegeben

Vergangene Woche fand im Berliner Maxim-Gorki-Theater eine Uraufführung statt. Wenn es lohnt, darüber zu berichten, liegt das vor allem an der Vorgeschichte. Denn vor einem Jahr gerieten während einer Premiere in Frankfurt am Main der Schauspieler Thomas Lawinky und der Theaterkritiker Gerhard Stadelmeier aneinander. Nach einer verbalen Auseinandersetzung entriss Lawinky dem Kritiker den Notizblock, woraufhin der Journalist die Vorstellung verließ und den Vorfall mit Hilfe seiner Zeitung in die Welt trug. Damit sorgte er erstens für die fristlose Entlassung des Kontrahenten und zweitens für eine bundesweite Debatte über das so genannte Ekeltheater.

Die Wogen hatten sich noch nicht geglättet, da geriet Lawinky erneut in die Schlagzeilen, weil er den frisch erworbenen Ruhm als Bösewicht für das öffentliche Bekenntnis nutzte, Informeller Mitarbeiter der Staatssicherheit gewesen zu sein. Verstörend an diesem Outing war, dass ein Täter zwar seine Schuld bekannte - während der Armeezeit hatte er einen Freund denunziert -, zugleich aber Opfermotive für sich geltend machte: Die Stasi hatte schon den Jugendlichen drangsaliert und sich die Mitarbeit des jungen Mannes durch einen perfiden Trick erkauft. Erst einmal im Netz, machte Lawinky jedoch aus Überzeugung mit - der Überzeugung nämlich, die Spitzeltätigkeit sei die beste Tarnung für die angestrebte "Republikflucht". Der Mauerfall hat ihm erspart, den Irrtum zu erkennen.

So weit die Biografie, ohne die es das Stück nicht gäbe, das nun uraufgeführt wurde und übergeordnete Fragen von Verrat und Schuld thematisieren will. Deshalb spielt die Handlung in der Gegenwart, aus der sich die Figuren ihrer Vergangenheit erinnern. Und als sei das der Zeiten und Motive nicht genug, wird das Ganze mit einer weiteren Biografie vermengt: der einer jüdischen Frau, der gemeinsam mit ihrem Geliebten die Flucht aus Auschwitz gelang, die dann jedoch verraten und hingerichtet wurde.

Mala Zementbaum heißt das Stück in Anlehnung an diese Frau, und wie ihr Name hat sich auch ihr Schicksal leicht verändert: Um den Preis der Trennung von ihrem Geliebten darf sie nämlich überleben. Sterben müssen dafür andere - darunter jene Frau, die die Flüchtenden erst versteckt und dann getrennt hatte.

Geschrieben hat das Stück Armin Petras, seines Zeichens Autor, Regisseur und Intendant des Gorki Theaters, der mit der Regie Milan Peschel beauftragt hat, einen Schauspieler ohne nennenswerte Regieerfahrung. Nicht weniger heikel war die Entscheidung, Thomas Lawinky zu besetzen - und zwar nicht in der Rolle des Spitzels, sondern als dessen Führungsoffizier Kevin. Der arbeitet inzwischen als Personenschützer und wartet in einem schäbigen Hotelzimmer auf Homer, den früheren IM. Ein Grund für die Verabredung ist nicht bekannt. Doch ehe es zum Treffen kommt, wäscht Kevin sich vorsorglich die Hände.

In Anbetracht des Themas ist das eine klare Kampfansage, erhärtet durch die Bühne, die wie ein Boxring mitten im Publikum steht. Zum Kampf kommt es aber schon deshalb nicht, weil die Gegner denkbar ungleich sind: Der stille, schmächtige Homer (Gunnar Teuber) ist dem wuchtigen und rabiaten Kevin in allen Belangen unterlegen. Für die Schauspieler gilt jedoch das Gegenteil: Leise, ironische oder sonstwie gebrochene Töne sind Lawinky fremd, und so wird sein Kevin sehr bald zur schwitzenden Karikatur, die en passant noch einen anonymen Mann und eine namenlose Frau (Iringó Réti und Robert Kuchenbuch) aufmischt.

Statt Lawinky in seinem Drang zu bremsen, gibt die Regie ihm Recht, indem sie die Konstellation des Kampfes karikiert und im Untergeschoss der Bühne eine zweite Handlungsebene eröffnet, die per Video nach oben übertragen wird. Doch weil das, was dort geschieht, allenfalls räumlich tiefer liegt, bleibt die Bedeutsamkeit bloß Behauptung. So krankt der Abend am falschen Ernst, mit dem er sich dem Thema nähert.

Dieser Ernst ist im Stück zwar angelegt, doch findet sich dort auch eine Spur der Leichtigkeit, und wie bei Petras üblich, steckt sie in den Namen: Homer heißt nicht nur der IM, sondern auch jener mytische Erzähler, der uns an den Ursprung von Wahrheit und Legende führt. Doch bei anderer Betonung wird daraus die Hauptfigur der Zeichentrickserie Die Simpsons. Und solcherart homerisches Gelächter täte dem Abend wie dem Thema gut.


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