Lügenmaschine Theater

Wütend Jürgen Goschs "Sommernachtstraum"-Inszenierung am Deutschen Theater zeigt die Liebesbeziehung als Gewaltverhältnis

Jedes Jahr im Mai stellt das Berliner Theatertreffen den Bühnenalltag der Hauptstadt in den Schatten. Wer irgend kann (und das sind außer dem Berliner Ensemble eigentlich alle), legt seine Premieren deshalb nicht in diese Zeit. Mitunter aber erzwingen Vorkommnisse, die nicht besonders sein müssen, eine Spielplanänderung: William Shakespeares Ein Sommernachtstraum sollte schon seit Ende Februar im Deutschen Theater zu sehen sein. Doch diverse Krankheiten und schließlich Probenrückstand erzwangen die dreimalige Verschiebung, so dass die Premiere mitten ins Theatertreffen fiel. Die direkte Konkurrenz muss sie weniger fürchten als manche Inszenierung, die zeitgleich auf dem "Gipfeltreffen" läuft.

Kaum ein Stück ist so missverstanden wie der Sommernachtstraum. Ein Gutteil Schuld daran trägt das Deutsche Theater, auf dessen Drehbühne Max Reinhardt über 300 Mal den Athener Wald kreisen und die Elfen in luftigen Kostümen auftreten ließ. Als Film ging die verkitschte Lesart um den Globus. Die gehört inzwischen zwar der Vergangenheit an, nicht jedoch der Missbrauch des Theaters als Lügenmaschine, mit deren Hilfe neunmalkluge Spielleiter den Lauf der Welt erklären, nachstellen, was sie für Leben halten, oder sich mühsam ans Niveau des Unterhaltungsfernsehens heranarbeiten - von unten.

Gegen diesen Missbrauch der Bühne setzt die Inszenierung von Jürgen Gosch eine dreistündige pausenlose Wut - eine Wut allerdings, die nicht behauptet, etwas besser zu wissen, sondern schlicht etwas anderes macht: Ein riesiger Scheinwerfer steht im Parkett und leuchtet in einen geschlossenen Holzquader (Bühne Johannes Schütz), den die 13 (!) Akteure vor Beginn betreten, um ihre Arbeit zu tun - was heißt, dass sie auch dann auf der Bühne bleiben, wenn die Rolle es nicht verlangt. Zu erleben, wie sie den Abend von der Rückwand aus schweigend mitgestalten, ist ein Hochgenuss ganz eigener Art. Doch weil sie dort nur von den Mittelplätzen aus zu sehen sind, sind sie bei ihren Auftritten zum verpönten Rampenspiel genötigt.

Solche "Fehler" sind das Hauptmerkmal des Abends - und für jeden findet sich ein Beleg im Stück, das mit dem Rüpelspiel der Handwerker die Situation "Theater" reflektiert. Schon die Rollenvergabe im ersten Akt wird bei Gosch zur detailgetreuen Darstellung realer "Künstler"-Eitelkeiten. Die abschließende Aufführung, im Stück kurz und bündig, dauert eine halbe Stunde und ist ebenso virtuos wie entlarvend, wenn der avisierte Löwe zu jenem hünenhaften Bären mutiert, den uns das Theater sonst so gern aufbindet. Zum Beispiel den, dass es im Stück um Liebe ginge.

Doch das würde allenfalls ein solcher Esel behaupten, in den der Elfe Puck (Ernst Stötzner) auf Oberons Geheiß (Bernd Stempel) den Weber Klaus Zettel (Markus John) verwandelt. An die Rampe tritt statt des Grautiers ein nackter Waldschrat mit hölzernem Geweih und blutigem Riesengemächt. Wie dieses Bild belegt, greift der Abend gelegentlich auch zur Drastik, um in den "Liebesbeziehungen" des Stücks die Gewaltverhältnisse aufzuzeigen. Dass diese Zuspitzung unbedingt im Sinne der Vorlage ist, belegen die luzide Übersetzung des Regisseurs und Corinna Harfouch in der Doppelrolle Hippolyta / Titania, die durch den Mut zu körperlichem Ausdruck sämtliche (Rollen-)Klischees sprengt.

Der Erfolg ist ein doppelter: eine bis ins Detail schlüssige Lesart des Sommernachtstraums und eine Aufführung, die dank intellektueller Durchdringung und schauspielerischer Brillanz Sand ins Getriebe der Lügenmaschine Theater wirft.


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