Spielplatz der Symbolik

Das Deutsche Theater in Berlin zeigt eine Inszenierung des Briefromans "Gefährliche Liebschaften". Er hätte eine bessere Regie verdient

„Spielen wir weiter?“ Mit dieser Frage endet Gefährliche Liebschaften, jene Inszenierung, mit der das Deutsche Theater in Berlin nach ungeplant langen Bauarbeiten am vergangenen Sonnabend wiedereröffnet wurde. Ein besserer Ort für diese Frage ist kaum vorstellbar, schließlich ist das Wort Theater fast ein Synonym für Spiel. Trotzdem ist die Frage in dieser Inszenierung falsch gestellt, weil die Regisseurin Katrin Henkel dem Spielerischen keine Chance gibt.

Eine Ausnahme und deshalb ein Fingerzeig ist der Beginn: Als Hasen verkleidet, betreten Constanze Becker und Wolfram Koch die Vorbühne, auf die gefüllte Leinensäckchen fallen. Neugierig probieren die beiden das Spiel-Zeug an sich aus, bis sie dort haften bleiben, wo, menschlich ausgedrückt, die primären Geschlechtsorgane sind. Kostüme und „Hasen“-Sprache mögen putzig wirken, doch erstens sind diese fünf Minuten bravourös gespielt und zweitens relativiert sich der Eindruck in den folgenden knapp zwei Stunden, in denen so viel mit Bedeutung aufgeladene Symbolik steckt, dass sie putzig nicht nur wirken, sondern es tatsächlich sind.

Gefährliche Liebschaften ist die Melange aus einem Briefroman von Choderlos de Laclos, einer Komödie von Christopher Hampton und Heiner Müllers Stück Quartett, aus dem auch die Frage nach dem Weiterspielen stammt. Das Spiel, um das es geht, heißt Sexualität, und der Gewinn, der lockt, ist Macht. Dieses Scheiß-Spiel nimmt die Regisseurin derart ernst, dass sie aus dem Blick verliert, welche Mittel ihr das Theater zur Verfügung stellt.

Das zeigt sich schon im Bühnenbild von Stefan Mayer, der das Geschehen fast vollständig auf die Vorbühne verlegt, die dank eines Konferenztisches zu einer Art Schaltzentrale der Ohnmacht wird, in der sich die menschlichen Wetteinsätze der Marquise de Merteuil und des Vicomte de Valmont versammeln. Der nahezu unbespielte riesige Zylinder auf der Drehbühne dahinter dient derweil als emotionaler „Hohlraum“.

Schlicht gestrickt ist auch die Musik, die, obschon Tobias Vethake als Komponist genannt wird, in weiten Teilen (bei Beth Gibbons) geklaut ist und der sentimentalen Grundstimmung einen schreierischen Techno-Klang entgegensetzt, der immer dann erklingt, wenn der Rammler Valmont „Beutestücke“ wie die junge Cécile (Angelika Richter) oder deren Mutter (Heidi Ecks) besteigt. Dass die Häsin Merteuil in diesen Szenen selbst den Plattenspieler bedient, macht die Plattheit des Arrangements perfekt.

Denn vor allem zeigt sich der Hang zur falschen Bedeutsamkeit in der Schauspielführung, die so gut wie keine Zwischentöne kennt. Meike Droste nimmt sich immerhin das Recht, die Madame Tourvel nicht allein durch Einsatz der Stimmbänder zu formen. Wolfram Koch hat schon in vielen Arbeiten am DT brilliert, doch als Valmont entströmt ihm der Text mit einer befremdlichen, weil durch nichts unterfütterten Inbrunst. Und Constanze Becker, obschon sie die leisen, scharfen Töne unbedingt beherrscht, schreit sich ausgerechnet in jener Szene die Seele aus dem Leib, in der die Merteuil Valmont ihre unbedingte Souveränität beweist. Der Vorwurf geht an die Regisseurin, deren Unsouveränität sich in solchen Szenen zeigt: Die deutsche Bezeichnung für Regie heißt nicht Vermittlung einer Absicht durch Symbolik, sondern Spielleitung.

Gefährliche Liebschaften Regie: Karin Henkel, wieder am 7. und 8. März im DT Berlin

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