Che statt Marx

Neue Linke Frankreichs Trotzkisten werden moderner, bleiben aber revolutionär. Die neugegründete antikapitalistische Partei baut auf griffige Slogans statt auf Bündnispartner

Der Titel eines Buches des Schweizer Historikers Herbert Lüthy lautete 1954 Frankreichs Uhren gehen anders. Das stimmt auch heute noch in mancher Hinsicht. Vor zwei Wochen antworteten alle Gewerkschaften auf Sarkozys Krisenprogramm und seine Provokation („die Gewerkschaften demonstrieren zwar noch, aber keiner kriegt es mit“) mit einem Generalstreik. Anfang Februar gründete Jean-Luc Mélenchon, der den Parti Socialiste verlassen hat, den Parti de Gauche – eine Partei, die nicht nur dem Namen nach mit der deutschen Linkspartei verwandt ist.

Die trotzkistische Ligue Communiste Révolutionnaire (LCR) – eine von sechs linken bis linksradikalen Splitterparteien – wurde 1966 vom legendären Alain Krivine gegründet und macht sich seit fast zwei Jahren für die Gründung eines modernisierten Nouveau Parti Anticapitaliste (NPA) stark. Hauptsächlich dank des Charismas ihres erst 34-jährigen Chefs Olivier Besancenot erreichte die LCR bei den Präsidentschaftswahlen 2007 über vier Prozent der Stimmen, immerhin 1,5 Millionen Wähler. Über das Wochenende fanden die Auflösung der LCR und die Gründung des NPA statt. Die neue Partei hat rund 9.000 Mitglieder.

Besancenot setzte sich mit dem neuen Parteinamen nur knapp durch, denn fast die Hälfte der Delegierten wollte nicht auf das Wort „revolutionär“ im Parteinamen verzichten – ein Indiz dafür, dass sich nicht alle Delegierten so forsch von der Vergangenheit lösen wollen wie der Parteichef und seine Vertrauten, die sich nicht mehr mit „Genossin/Genosse“ anreden, nicht mehr alle Fragen mit der Parole „Generalstreik“ beantworten und Karl Marx durch Che Guevara ersetzen wollen.

Griffiger Verbalradikalismus

Zwei Schwächen prägen die neue Partei. Erstens: Bei seinen Auftritten im Fernsehen wie bei Veranstaltungen setzt Besancenot nicht nur auf sein beachtliches rhetorisches Talent, sondern auf griffig-einfache Forderungen, die man nur als verbalradikal bezeichnen kann: „Keine Entlassungen“, „300 Euro mehr Lohn sofort“, „32-Stunden Woche sofort“, „Vereinigung aller Banken zu einer einzigen öffentlichen Bank, die von Beschäftigten und Kunden gemeinsam verwaltet wird“.

Noch gefährlicher als solche Rhetorik, die nur Erwartungen weckt und Enttäuschungen erzeugt, ist die zweite Schwäche. Besancenot lehnt jede Form der Zusammenarbeit oder gar der Koalition mit den Sozialisten ab. In solcher Zusammenarbeit sieht er „Bündniskalküle“, die nur in einem neuen Desaster enden könnten, wie die zeitweise Teilnahme der italienischen Rifondazione Communista an der Mitte-Links-Regierung von Romano Prodi. Selbst eine gemeinsame Wahlplattform von Kommunisten, Trotzkisten (Lutte Ouvrière), Globalisierungskritikern, militanten Grünen und anderen Oppositionsgruppen bei den Europawahlen im Juni lehnt eine Mehrheit im NPA ab. Unumstritten ist das freilich nicht, denn ein gutes Viertel der Delegierten war anderer Meinung. Kurzum – auf die Frage, wie man Sarkozy und den herrschenden Neoliberalismus überwinden kann, hat Besancenot keine überzeugende Antwort.

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