Niemand wird ernsthaft behaupten, dass Präsident François Hollande bei der Berufung seiner Minister stets eine glückliche Hand hatte. Einen Tag nach der Installierung der Regierung von Premier Manuel Valls am 31. März 2014 bekannte dieser, notabene, Sozialist: „Ich liebe die Unternehmen.“ Und als der parteilose Investmentbanker Emmanuel Macron im gleichen Jahr zum Wirtschaftsminister aufstieg, offenbarte der sich als treuer Priester aus der Sekte der Angebotsökonomie. Er überzeugte Hollande davon, das Arbeitsrecht marktgerecht zu „reformieren“ nach dem üblichen Rezept: Mehr arbeiten, weniger verdienen, leichter entlassen. Der Vollzug des Programms, das die Sozialistische Partei an den Rand einer Spaltung brachte, überließ
23; Macron dann der jungen Arbeitsministerin Myriam El Khomri (38). 2012 bereits wurde Macron in den Präsidialstab des Élysée berufen und so dessen rasanter Aufstieg gefördert. In der vergangenen Woche nun ist Macron als Chef des Wirtschaftsressorts zurückgetreten, damit er sich als Konkurrent Hollandes auf den Wahlkampf um die Präsidentschaft im Frühjahr 2017 vorbereiten kann.Der 1977 geborene Macron ist der Sohn eines Medizinprofessors und einer Ärztin, er durchlief die für Kinder der französischen Elite typische Ausbildung in solch hochkarätigen Anstalten wie dem Gymnasium Henri IV in Paris und der École Nationale d’Administration (ENA), der Kaderschmiede für den Staatsadel. Deren Absolventen dürfen nach dem Abschluss mit hoch dotierten Beamtenstellen oder anderen lukrativen Posten rechnen. So wurde Macron zunächst Direktor in der Finanzverwaltung. Nachdem er sich hier das nötige Netzwerk für seine Karriere aufgebaut hatte, verließ er den öffentlichen Dienst und wurde Investmentbanker bei der Pariser Bank Rothschild & Cie. Er moderierte den Milliardendeal zwischen dem US-Pharmakonzern Pfizer und dem Schweizer Multi Nestlé, was ihm eine Provision in Millionenhöhe einbrachte. Damit empfahl er sich bei der Wirtschaftselite als Wunderknabe und beim Staatspräsidenten – der sich in einem Umfragetief befand – als Hoffnungsträger und Jagdhund gegen die innerparteiliche Opposition. Linke in der Regierung wie Arnaud Montebourg (Wirtschaftsminister 2012 bis 2014) und Benoît Hamon (Bildungsminister April bis August 2014) wurden von Macron erfolgreich zur Seite geschoben.Hollande beschützte seinen Wirtschaftsminister auch dann noch öffentlich, als sich dieser offen zum „Sozialliberalismus“ bekannte und Gerhard Schröders „Agenda 2010“ zum Vorbild verklärte. Dazu passend bemühte Macron in seinen Reden pausenlos Floskeln wie Freiheit, Individuum, Risikobereitschaft, Optimismus und Fortschritt. Allerdings, auch wenn Macron ins Grundsätzliche geht, bleibt er im Ungefähren. Le Monde gegenüber erklärte er im Mai seinen Traum von „französischer Identität“ mit schlichten Worten als „Traum von der Gleichheit, Traum von Europa und Traum von der industriellen Entwicklung. Ich glaube an mein Land, seine Energie, seine Werte und Fähigkeit zum Erfolg in der Globalisierung – ich glaube an den Fortschritt.“Demonstrierende Gewerkschafter provozierte er mit dem Ratschlag, wenn sie mehr arbeiten würden, könnten sie sich bald auch einen Maßanzug leisten wie er, und verriet ihnen, was dem Land in der Krise fehle: „Man braucht junge Franzosen, die Lust haben, Milliardäre zu werden.“ Macron gründete 2015 einen Club unter dem Namen La Gauche Libre (Die freie Linke), dessen gut 3.500 Mitglieder man der Jeunesse dorée und der Pariser Schickimicki-Szene zurechnet. Im April 2016 benannte er den Club in En Marche (Anfangen) um und betonte, es handle sich nicht um eine Partei, sondern um eine Bewegung „jenseits der Gräben von links und rechts.“ Man sollte ihn deswegen nicht der Naivität bezichtigen.„Er hat mich mit System verraten“Macron verfolgt seine politische Karriere zielstrebig und bereitet sich auf den Wahlkampf um die Präsidentschaft im nächsten Jahr vor. Der Präsident wie der Premierminister nahmen das zunächst schweigend hin. Erst als die Presse fragte: „Kontrolliert der Präsident seinen Wirtschaftsminister noch?“ (Le Monde), meldete sich Hollande zu Wort und erinnerte Macron – seinen von ihm und für ihn geschaffenen Wahlkampf-Joker –, wem er sein Amt zu verdanken habe: „Macron weiß, was er mir schuldet, (…) Loyalität.“ Auch Manuel Valls ermahnte den Wirtschaftsminister: „Man kann nicht Minister sein und zugleich an einer anderen Agenda arbeiten als jener des Präsidenten.“In den Umfragen führt Macron vor Hollande: 38 Prozent der Befragten halten ihn für einen guten und geeigneten Staatschef, Hollande derzeit nur noch ganze elf Prozent. Der französische Boulevard- und People-Journalismus sowie die konservative Presse hierzulande sind eilfertig dabei, „das politische Wunderkind“ (Martina Meister, Die Welt vom 31. August) zum aussichtsreichen Präsidentschaftskandidaten hochzuschreiben. Durch seinen Rücktritt – von dem niemand weiß, ob es nicht eher ein Rausschmiss war, den Hollandes Medienberater als „Rücktritt“ verkaufen – will der ehrgeizige Karrierist Macron „frei und verantwortlich“ geworden sein.Wovon frei und wofür verantwortlich, sagt er allerdings nicht. Emmanuel Macron hat sich noch nie einer Wahl gestellt. Er verdankt sein hybrid wirkendes Ich einzig seiner sozialen Herkunft, dem Prestige seiner Ausbildungsstätten, seinen „Onkeln“ und „Tanten“ in der Finanzwelt und der Politik sowie dem Beifall aus den konservativen Medien. Le Monde beschrieb am 1. September seine Karriere als „Weg eines verwöhnten Kindes“. Sehr spät, wenn nicht zu spät, wachte François Hollande auf und war ernüchtert: „Er hat mich mit System verraten.“