Nachdem Nicolas Sarkozy und sein Arbeitsminister Eric Woerth wegen illegaler Parteispenden arg in Bedrängnis geraten waren, holte der medial omnipräsente Hyperpräsident zu einem Paukenschlag aus, bevor er am 1. August in den Urlaub fuhr. Die Polizei hatte einen Jungen aus der Roma-Gemeinschaft erschossen, die sich daraufhin in Grenoble und Saint-Aignan (Loire) Straßenschlachten mit Gendarmerie-Einheiten lieferte. Für den Staatschef der Anlass, zum „nationalen Krieg gegen Schurken“ aufzurufen und anzukündigen, eingebürgerte Franzosen würden ausgebürgert, falls sie sich strafbar gemacht hätten. „Die Nationalität“, so Sarkozy, „verdient man sich und muss sich ihrer würdig erweisen.“ Franzosen ausländischer Herkunft sollten ausgewiesen werden, wenn sie Polizisten, Militärs oder andere Repräsentanten des Staates attackierten. Sarkozy nannte pauschal „Schurken“ und „Roma“, in den Medien kursierten die Synonyme „fahrende Leute“, „Nomaden“ und „Zigeuner“. Von den im Land lebenden Roma sind 95 Prozent französische Staatsbürger.
Innenminister Brice Hortefeux legte nach und ergänzte den Katalog der ausbürgerungswürdigen Tatbestände um Polygamie, Mädchenbeschneidung, Menschenhandel, Erschleichung von Sozialleistungen und „andere schwere Verbrechen“. Zudem verlangte er, etwa 600 illegale Campingplätze der „fahrenden Leute“ müssten beseitigt werden. Tatsache ist, dass nur die Hälfte der Gemeinden ihre gesetzliche Pflicht erfüllt, den Roma geeignetes Terrain zur Verfügung zu stellen, damit sie befristet siedeln können.
Keine Frage, Sarkozys Hetze soll abschrecken, denn die Möglichkeiten, jemandem die französische Staatsbürgerschaft zu entziehen, sind beschränkt und an strenge Regeln gebunden. Nur bei einer Verurteilung wegen Terrorismus, Korruption, Widerstand und Spionage kann ein Verfahren eröffnet werden. Wem die Staatsbürgerschaft entzogen wird, der verliert zunächst das Wahlrecht und darf auf keinen Fall im Staatsdienst beschäftigt sein, wird aber nicht staatenlos, da Frankreich die Europarat-Konvention zur Vermeidung von Staatenlosigkeit unterzeichnet hat. Obendrein gewährt Artikel 15 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte jedem „das Recht auf eine Staatsangehörigkeit“ und verbietet den „willkürlichen“ Entzug dieses Rechts.
Rassistisch getönte Mobilisierung
Solche juristischen Feinheiten vermögen den Furor Sarkozys nicht zu bremsen. Angesichts katastrophaler Umfragewerte ist ihm alles recht, was die Wahlchancen für 2012 verbessert. Wie schon als Innenminister 2005 und als Präsidentschaftskandidat 2007 schielt er auf das Wählerreservoir der Rechtsradikalen. Die vor Monaten lancierte Kampagne zur Stärkung der „nationalen Identität“ brachte ihm außer Spott nur wenig. Deshalb dreht er weiter an der Schraube rassistisch getönter Mobilisierung. Mit seiner Rede von „Franzosen ausländischer Herkunft“, denen im Falle von Delinquenz die Staatsbürgerschaft entzogen werden soll, gebraucht er die Terminologie des Front National von Jean-Marie Le Pen und dessen Tochter Marine. Die spricht inzwischen von „offizieller Bestätigung der Thesen des Front National“, wonach es Einwanderer mit einem „Verbrechen erzeugenden Charakter“ gäbe. Die Verfassung kennt keine „Franzosen ausländischer Herkunft“, sondern nur Franzosen und Nicht-Franzosen und gewährt obendrein beiden „Gleichheit vor dem Gesetz, ohne Unterscheidung von Herkunft, Rasse und Religion“.
Die Experten des Genfer UN-Komitees gegen Rassendiskriminierung bescheinigen Sarkozy, er heize Rassismus und Fremdenfeindlichkeit an. Mit seiner Anleihe beim ius sanguinis (Abstammungs- bzw. Blutrecht) dementiert dieser Präsident nicht nur eine lange französische Tradition des ius soli (Geburtsorts- oder Territorialrecht), er knüpft auch direkt an die Politik des Vichy-Regimes an, das 1940 rund 15.000 – meist jüdischen – Franzosen die Staatsangehörigkeit aberkannte. Die Hetze gegen „Schurken“ und Roma veranlasste die Zeitschrift Marianne, Sarkozy den Titel Schurke der Republik zu verleihen.
Rudolf Walther schreibt seit 1996 für den Freitag zu Frankreich-Themen
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