Im Dezember tauchte in russischen Medien die Meldung auf, dass in Moskau und Sankt Petersburg wieder Geschäfte mit Adidas- und Reebok-Produkten öffnen würden. Dabei hatte etwa der Sportartikelhersteller Adidas im März 2022 seine Verkaufsfilialen in Russland, ebenso den dortigen Online-Shop, geschlossen, nachdem russische Truppen in die Ukraine einmarschiert waren. Was ist seit diesem Boykott geschehen, den gut 200 westliche Unternehmen mittrugen? Jedenfalls nicht das, was von den Urhebern dieses Strafakts und den ihn gutheißenden Medien erhofft war. So schrieb seinerzeit das Magazin Focus, Russen könnten sich nun keine Adidas-Schuhe mehr anziehen. Die russische Regierung hatte in dieser Lage darauf gesetzt, dass die eigenen Leute auf Ersatz aus eigener Produkt
ener Produktion umschwenken und es verkraften würden, dass Ware aus dem „unfreundlichen Ausland“ verschwand.Die Nachfrage nach westlichen Marken blieb in Russland jedoch hoch, und wo im Kapitalismus Geld zu verdienen ist, findet sich ein Weg. Der Boykott beschleunigte einen Trend, den es in der Russischen Föderation zuvor bereits gab, ebenso wie in Deutschland: weg vom örtlichen Laden, hin zum Onlinehandel. Kurz nachdem in den großen Einkaufszentren die direkt von westlichen Konzernen geführten Shops schlossen, tauchte im russischen Onlinehandel bereits neue Markenware auf. Wie die Moskauer Zeitung Kommersant vermerkt, wurde den Verbrauchern die Anpassung an die neuen Verhältnisse durch einen prosperierenden Digital-Shop und Parallelimporte erleichtert. Diese kamen aus Staaten, die sich Sanktionen verweigerten. Dorthin verkaufte auch Adidas – wie die russische Onlinezeitung NGS 70 berichtet – seine Erzeugnisse: in die Türkei, die Arabischen Emirate oder nach Kasachstan. Zwischenhändler brachten die Waren dann wieder auf den russischen Markt.Filialen übernommenAm flexibelsten bei dieser Art der Warenbeschaffung war im Internethandel die aufstrebende russische Firma Lamoda Sport. Sie nahm den Zwischenhändlern große Warenmengen ab, was den Preisaufschlag reduzierte. Wettbewerber wie Lamoda stiegen dann mit dem erwirtschafteten Kapital in den örtlichen Einzelhandel ein. Laut der Wirtschaftszeitung Wedomosti übernahm Lamoda Sport frühere Adidas-Filialen, um dort wieder Adidas-Produkte zu verkaufen. Diese Meldung passt zu einer Auskunft der Adidas Group, der zu entnehmen ist, man betreibe selbst keine Shops mehr in Russland. Auch dauere die Aufgabe der Geschäftstätigkeit des Konzerns dort an. Wörtlich heißt es: „In diesem Rahmen wird aktuell ein Teil der mehr als 100 geschlossenen Läden zur Weitervermietung angeboten.“ Gemietet werden diese oft von geschäftstüchtigen Onlinehändlern, die in früheren Adidas-Stores wieder Adidas-Ware anbieten. Die Sportmarke aus Süddeutschland ist durchaus kein Einzelfall. Auch bei der französischen Kaufhaus-Kette „Decathlon“ findet Ähnliches statt, wenn russische Betreiber mit einem fast gleichen Angebot Filialen übernehmen.Wer in Russland die Qualität westlicher Marken schätzt, hat mit seiner Nachfrage Wege dafür erschlossen, diese Produkte weiter konsumieren zu können. Im Non-Food-Segment führte das nicht zu einem derartigen Preisschub, wie man ihn wegen der Parallelimporte befürchtete. Laut einer Studie, die von der Zeitung Kommersant in Auftrag gegeben wurde, suchten im Herbst 2023 nur noch 28 Prozent der befragten russischen Verbraucher nach einem Ersatz westlicher Marken durch andere Produkte. Die Onlinehändler erwiesen sich als wichtigste Warenquelle.Ein großer Anbieter gab an, die Bestellungen seien während des vergangenen Jahres um 40 Prozent gestiegen, da mit seinem Angebot gesuchte Markenprodukte besser verfügbar und billiger seien als im analogen Handel. Opfer dieser Tendenz sind Hersteller, die beim Verschwinden der westlichen Produkte aus Russland gehofft hatten, in der entstehenden Lücke Umsatz zu machen. So wollten türkische Hersteller Marken ersetzen, mussten sich aber einer so nicht erwarteten Konkurrenz stellen. Dies könne „zur Verlangsamung des Markteintritts neuer Akteure führen“, so Kommersant. Ausgenommen vom Online-Markentrend sind lediglich Lebensmittel und Luxusgüter, bei denen Parallelimporte höhere Kosten verursachen. Doch haben nichtwestliche Unternehmen die Hoffnung auf wachsende Marktanteile in Russland nicht aufgegeben, denn die Werbung für westliche Marken ist dort weitgehend verschwunden.