Plötzlich im Visier

Russland Vor der Dumawahl bekommt diesmal auch die KP die Macht der Behörden zu spüren
Ausgabe 31/2021
Als die Kommunisten 2018 den unverbraucht wirkenden, erfolgreichen Agrarunternehmer Pawel Grudinin als Gegenkandidaten zu Wladimir Putin ausriefen, galten sie nicht mehr länger als „bequeme“ Oppositionspartei
Als die Kommunisten 2018 den unverbraucht wirkenden, erfolgreichen Agrarunternehmer Pawel Grudinin als Gegenkandidaten zu Wladimir Putin ausriefen, galten sie nicht mehr länger als „bequeme“ Oppositionspartei

Foto: Mladen Antonov/AFP/Getty Images

Lange galt die KP Russlands als eine überalterte Partei der versiegenden Kräfte. Dann gab es mit dem Präsidentschaftskandidaten Pawel Grudinin bei der Wahl 2018 den Versuch eines Imagewechsels. Eine neue Generation linker Oppositioneller wollten die Kommunisten für sich gewinnen und müssen nun vor der Abstimmung über die nächste Duma erfahren, wie wenig das die Behörden goutieren. Die Parlamentskandidatin Anastasia Udalzowa, 41, ist prominent und für die Offiziellen unbequem. Sie war jahrelang in Moskauer Initiativgruppen präsent, die sich für den Erhalt der Umwelt und gegen die grassierende Bauwut in der Metropole engagierten. In den sozialen Medien ist sie gut vertreten. Ihr Ehemann, Sergej Udalzow, ein bekannter linker Intellektueller, sitzt derzeit in Haft. Es gab Zeiten, da konnten Parlamentsparteien wie die KPRF unbehelligt in den Wahlkampf ziehen. Repressionen trafen die außerparlamentarische Opposition. Udalzowa staunte deswegen nicht schlecht, als sie jüngst bei einem Wahlmeeting ohne Angabe von Gründen verhaftet wurde. Man signalisierte ihr, dass „ein Gespräch mit höheren Behörden“ anstehe, zu dem es allerdings nicht kam. Wenig später wurde sie – erneut ohne Begründung – wieder entlassen. Das Ganze dauerte nur ein paar Stunden.

Die Zeitung Nesawissimaja Gaseta sieht den Fall Udalzowa als Beleg dafür, dass selbst die Kommunisten gegen die Behinderung ihrer Bewerber nicht mehr gefeit sind. Als Grund wird eine wachsende Nervosität vor dem anstehenden Votum vermutet, eine Folge der harten Konfrontation mit dem Westen, dessen ständiger Einmischung man sich zu erwehren habe.

Klage in Straßburg

Die KPRF galt dem Kreml bis vor wenigen Jahren als bequeme, willige Opposition. Kritiker aus dem Lager der russischen Linken warfen der Parteiführung unter dem 77-jährigen Dauervorsitzenden Gennadi Sjuganow ein Fraternisieren mit den Honoratioren um Präsident Putin vor. Die Partei sei alles andere als ein strategischer Gegner und teile fast vollständig den außenpolitischen Kurs des Kremls, schrieb 2016 der Kommersant-Journalist Maxim Iwanow. Die Partei behauptete sich trotz Überalterung nach Putins Wahlverein „Einiges Russland“ als Nummer zwei im Parlament und konnte stets auf einen harten Kern von Stammwählern zählen.

Daran änderte sich erstmals etwas, als die Kommunisten 2018 den unverbraucht wirkenden, erfolgreichen Agrarunternehmer Pawel Grudinin als Gegenkandidaten zu Wladimir Putin ausriefen, um in vielerlei Hinsicht neue Töne anzuschlagen. Grudinin verteidigte soziale Besitzstände, verbreitete seine Botschaften vorrangig auf Youtube und war plötzlich für den Kreml kein Sparringspartner mehr, sondern ein ernst zu nehmender Konkurrent. Eine wenig freundliche Berichterstattung regierungsnaher Medien war die Konsequenz und hatte das Ziel, ein Wahlergebnis (es lag schließlich bei 11,8 Prozent) mit entsprechender Symbolwirkung zu verhindern. Danach verfestigte eine umstrittene Reform, die das Renteneintrittsalter erhöhte, den Bruch zwischen KPRF und der herrschenden Macht. Die Kommunisten beteiligten sich an den Protesten gegen dieses Vorhaben und trugen am Ende auch Putins Verfassungsreform nicht mehr mit, die dem Präsidenten 2020 die Option eintrug, bis ins hohe Alter für das höchste Staatsamt zu kandidieren.

Grudinin wollte mit der bevorstehenden Wahl in die Staatsduma einziehen, doch monierte die Wahlkommission ihm zugeordnete Bankkonten im Ausland, über die zu verfügen Grudinin energisch bestritt. Die Partei stand hinter ihm und sagte den Behörden den Kampf an. Es kam zu Protestkundgebungen, man kündigte eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg an: Es stehe der Verdacht im Raum, dass Russlands Offizielle die parlamentarische Präsenz eines prominenten Linken verhindern wollten.

Als Schikane kommt hinzu, dass die Vertreter der Macht auffallend kreativ sind, der KPRF mit sogenannten Spoilerparteien Stimmen abzujagen. Damit gemeint sind Gruppierungen, die zum Umfeld des Kremls gerechnet werden und keinem anderen Zweck dienen, als Oppositionsparteien Stimmen abzunehmen, auch wenn sie selbst keine Chancen haben, ins Unterhaus einzuziehen. Als Spoilerpartei gelten etwa die „Kommunisten Russlands“, die bei der jetzigen Dumawahl wieder auf den Stimmzetteln stehen, als Gegner der KPRF bekannt sind und sich der Unterstützung regierungsnaher Medien sicher sein können.

Ob die Kommunisten trotz solcher Winkelzüge ein gutes Ergebnis einfahren können, wird wohl davon abhängen, wie gut sie alternative Linke anzusprechen vermögen. Jüngere Russen sind oft unzufrieden mit den verknöcherten Strukturen der Macht und beklagen zu drei Vierteln die herrschende soziale Ungerechtigkeit. Für eine moderne linke Partei sind das gute Voraussetzungen. Dass dies ausgerechnet der KPRF zum Erfolg verhilft, die viel auf Sowjetnostalgie und Stalinverehrung hält, muss bezweifelt werden.

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Geschrieben von

Roland Bathon

Journalist und Politblogger über Russland und Osteuropa /// www.journalismus.ru

Roland Bathon

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