"Es wird eine neue Protestwelle geben"

Bildungsstreik Jenny Morín Nenoff vom Bündnis Bildungsstreik will künftig vor allem gegen Studiengebühren mobil machen. Auch einen Besetzungsstreik schließt sie nicht aus.

Der Freitag: In Frankfurt am Main startet am Freitag mit einer Demonstration der Bildungsstreik 2010. Was haben die Studierenden im vergangenen Jahr erreicht?

Jenny Morín Nenoff: Unsere bisher größten Erfolge schlagen sich in den Beschlüssen der Kultusministerkonferenz vom Dezember nieder: Demnach soll die Regelstudienzeit für den Bachelor von sechs auf acht Semester erhöht werden. Wobei die Gesamtregelstudienzeit bei fünf Jahren bleiben soll. Auch der Leistungsdruck soll auf eine Prüfung pro Modul gesenkt werden. Das geht in die richtige Richtung, ist jedoch noch unzureichend.

Warum?

Viele wichtige Forderungen wurden bisher nicht aufgegriffen. So muss jedem Bachelorabsolventen in jedem Studiengang automatisch ermöglicht werden, einen Master zu machen. Das Thema Studiengebühren ist nicht angesprochen worden. Und bisher wurden die Forderungen der Schüler nach mehr Lehrern und kleineren Klassen völlig ignoriert.

Bis auf die Ankündigung, das BAföG zu erhöhen, kam es seitens der Politik nur zu Gesprächsangeboten. Haben die Studierenden zu wenig Druck gemacht?

Ich glaube, die Energie und die Kraft, die wir da hinein investiert haben, war sehr groß. Im Sommer haben wir bis zu 250.000 Menschen auf die Straße gebracht. Es war ein wichtiges Zeichen, dass man so viele Leute mobilisieren kann, wenn es um die Krise in der Bildung geht. Im Herbst waren die Zahlen zwar etwas niedriger, aber trotzdem hat es noch eine neue Qualität gegeben, da vor allem Druck auf die Unileitungen ausgeübt werden konnte. In Berlin sind bereits die Anwesenheitslisten abgeschafft worden. Wir haben alternative Bildungsgipfel ausgerichtet, bei denen es nicht nur darum ging, was wir kritisieren, sondern wie wir uns Alternativen vorstellen. Und jetzt steht im Raum, dass es von der Politik einen Bildungsgipfel geben soll, den die Studierende mitgestalten dürfen. Das sind zwar kleinere Erfolge, aber auch die darf man feiern.

Wie geht 2010 weiter?

Die bundesweite Demonstration am 30. Januar in Frankfurt am Main wird der Auftakt einer neuen Protestwelle sein. Wir wollen die Diskussion hin zur Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen nochmal zuspitzen. Wenn in dem bevölkerungsreichsten Bundesland, das noch Studiengebühren hat, diese gekippt werden, könnte es einen Dominoeffekt geben. Direkt vor den Wahlen werden wir in vielen Städten zu Demonstrationen aufrufen. Darüber hinaus wollen wir nicht nur Hörsaalbesetzungen durchführen, sondern vielleicht sogar einen Schritt weitergehen und einen Besetzungsstreik ausrufen. Dies wird auf dem nächsten bundesweiten Vernetzungstreffen Anfang Februar entschieden.

Aber Besetzungen haben doch auch 2009 schon stattgefunden?

Ja, aber wir wollen, dass jetzt die ganze Universität und der gesamte Lehrbetrieb befristet lahmgelegt werden, damit sich mehr Studierende beteiligen können.

Machen denn dieses Mal die Professoren mit?

Sicherlich müssen wir versuchen, das Lehrpersonal stärker zu involvieren. Allerdings wird von vielen Professoren und Dozenten darauf hingewiesen, dass sie eine Verpflichtung haben, den Lehrbetrieb zu erhalten. Wir müssen also die Umstände schaffen, die es ihnen ermöglichen, sich zu beteiligen, ohne dass der Streik von ihnen ausgeht.

Den Studierenden wird vorgeworfen, dass sich ihre Kritik nur auf universitäre und nicht auf gesellschaftliche Verhältnisse richtet. Zu Recht?

Im Nachhinein erscheint es so, dass es uns nur darum ging, den armen Studierenden den Studienalltag zu erleichtern. Aber das ist natürlich eine vollkommene Verkürzung. Uns geht es um mehr: Wir lehnen das mehrgliedrige Schulsystem in der Form, in der wir es jetzt haben, ab. Wir sind auch gegen das Zweisäulenmodell, bei dem das Gymnasium erhalten wird und alle anderen Schulen zusammengeschmissen werden. Wir wollen, dass alle gemeinsam lernen, egal was für einen sozialen Hintergrund die Schüler haben. Und wir wollen die Gebührenfreiheit von der Kita bis zur Uni.

Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft beziffert den dringendsten Bedarf zur Reform des Bildungssystems auf 40 Milliarden Euro. Wo soll das Geld herkommen?

Wenn die Politik Konjunkturpakete für Banken so schnell schnüren kann und Steuern senken kann, dann glauben wir, dass sie das auch für die Rettung des öffentlichen Bildungssystems tun kann. Es ist eine Frage der Prioritätensetzung.

Jenny Morín Nenoff studiert Regionalwissenschaften Lateinamerika in Köln und ist im Bündnis für den bundesweiten Bildungsstreik aktiv. Sie kandidiert außerdem für die Linkspartei bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen uns ist Mitglied im Bundesvorstand des parteinahen Studierendenverbandes Die Linke.SDS

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Das Interview führte Sebastian Thalheim
Geschrieben von

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