Die erstarrten Fronten kommen in Bewegung. Und Donald Trump muss deshalb weder Bomber noch Truppen entsenden. Es hat ein kleiner diplomatischer Anstoß genügt, der die provisorische Regierung in Ostlibyen und Chalifa Haftar, Befehlshaber der Libyschen Nationalarmee (LNA), aufwertet. Die jahrelangen Friedensbemühungen von UN und EU werden jäh als das entlarvt, was sie stets waren: wirkungslos. Der von deutschen Medien gebetsmühlenartig als international anerkannter Chef der „Einheitsregierung“ in Tripolis hofierte Fayiz as-Sarradsch hat Mitte September seinen Rücktritt für Ende Oktober angekündigt. Zuvor will er noch die Verhandlungen bei einer von den Vereinten Nationen in Genf angesetzten Friedenskonferenz leiten.
Veto gegen Neuwahl
Was ger
wahlWas gerade geschieht, ist auch das Ergebnis einer Selbstermächtigung der kriegsgepeinigten libyschen Zivilbevölkerung. Den Anfang September begonnenen und noch anhaltenden Demonstrationen in Tripolis – dem Protest gegen die seit Jahren zusammengebrochene Grundversorgung mit lebenswichtigen Gütern, die das Verlangen nach einem Abzug ausländischer Söldner einschließt – folgten wenig später ähnliche Aktionen im Osten Libyens. Mit der Begründung, sie habe keine Mittel, den erhobenen Forderungen nachzukommen, ist dort die Regierung von Premier Abdullah Al Thani formal zurückgetreten, bleibt aber ebenfalls geschäftsführend im Amt.Auch in der Cyrenaika leiden die Menschen unter Mangel an Benzin, Dienstleistungen und Strom. Dies gilt umso mehr, seit während der Offensive von as-Sarradschs Milizen im Sommer die Erdölbasen von den Stämmen stillgelegt wurden, in deren Gebieten sich Produktionsanlagen befinden. Ein Akt des Widerstandes, um sich dagegen zu wehren, dass der Erlös aus dem Rohölverkauf missbraucht wird, um die Kriegsmaschinerie zu schmieren. Auch die Besetzung von Förderanlagen, die zunächst teilweise von islamistischen Milizen erobert und danach von Haftars LNA befreit wurden, kann als Zeichen libyscher Selbstermächtigung gedeutet werden. Der Oberste Stammesrat steht hinter solchem Protest und gibt zu verstehen, im Ausland getroffene Entscheidungen über Libyen nicht mehr anerkennen zu wollen – es müsse endlich Wahlen geben.Chalifa Haftars Einfluss auf die Stammesführer hat es inzwischen ermöglicht, Produktion und Absatz von Erdöl zu deblockieren. Ein Abkommen zwischen den Konfliktparteien in Tripolis und Tobruk, in das die Stämme einbezogen sind, legt fest: Die Erlöse werden nicht mehr für den Unterhalt von Söldnern, sondern die Versorgung der Bevölkerung verwendet. Baldige Wahlen dagegen stoßen auf das Veto von as-Sarradschs Innenminister Fethi Bashaghan, der als Gefolgsmann der Muslimbruderschaft daran beteiligt war, die strategische Allianz mit der Türkei zu schmieden, und für deren Erhalt eintritt. Die Muslimbrüder, die bei den ersten Wahlen 2012 eine leichte Mehrheit gewannen, verloren diese 2014 an säkulare Kandidaten.Maas ist düpiertEine von ihnen geleitete Regierung kam wegen des aufflammenden Bürgerkriegs nicht zustande, auch wenn sich das Parlament in Tobruk und Haftars Armee dem Wahlausgang verpflichtet sahen. Mittlerweile haben sich die Muslimbrüder mit ihren starken Milizen in Tripolis zunehmend unbeliebt gemacht, zumal deutlich wurde, dass Premier as-Sarradsch außerstande ist, sie zu kontrollieren. Zu dessen Nachteil wirkt sich ebenso aus, dass der Rechnungshof in Tripolis horrende haushaltstechnische Verstöße von Regierungsmitgliedern und hohen Beamten zwischen 2018 und 2019 festgestellt hat. Offenbar wurden ein außerordentliches Maß an Korruption sowie enorme Zahlungen des Verteidigungsministeriums an die Milizen. Haftars Nationalarmee hat zugleich ein Dokument verbreitet, wonach Khaled al-Misri, der gleichfalls zu den Muslimbrüdern gehörende Vorsitzende des Hohen Staatsrats in Tripolis, mit monatlich 250.000 Dollar auf der Gehaltsliste eines katarischen Geheimdienstes steht.Dass die USA nun die gleiche Konfliktpartei unterstützen wie Russland, ist für die deutsche Außenpolitik, besonders Heiko Maas, hochpeinlich. Schließlich rechnet sie eine russische Gefahr überall dort hoch, wo sich das anbietet. Es bleibt die Frage, weshalb Donald Trump deeskalierend auf die Politik um und in Libyen einwirkt. Seit Jahrzehnten versuchen die USA, den Nahen Osten durch Regime Change zu kontrollieren und arbeiten für dieses Ziel auch mit islamistischen Kräften zusammen. Im Maghreb dagegen sind sie eher an Stabilität interessiert und haben islamistische Aktivitäten bisher wenig oder gar nicht unterstützt. Mit dieser Strategie brach freilich die Regierung Obama 2011, als es zu einer interventionistischen Teilhabe am Sturz von Staatschef Gaddafi kam.Dank ihrer Fracking-Intensität benötigen die USA zwischenzeitlich kein libysches Öl mehr, sondern sehen darin einen lästigen Rivalen auf dem europäischen Markt. Und dann möchte der US-Präsident im Wahlkampf wohl mit ein paar Friedensbotschaften aufwarten. Jedenfalls muss den USA um ihren künftigen Einfluss in Libyen nicht bange sein. Bekanntlich war Chalifa Haftar – unter Gaddafi Befehlshaber im libysch-tschadischen Grenzkrieg – zum Dissidenten geworden und 1987 im US-Exil in die Dienste der CIA getreten. Er besitzt die amerikanische Staatsbürgerschaft.Dass Trumps Eingreifen den türkischen Träumen vom bequemen Zugriff auf libysches Öl einen gehörigen Dämpfer verpasst hat, zeigt eine Äußerung von Präsident Erdoğan am 18. September: Er sei über das bevorstehende Scheiden der Regierung as-Sarradsch „sehr traurig“.