Die Opposition kündigte umgehend Widerstand an, als bekannt wurde, dass sich Staatschef Idriss Déby Itno nach 30-jähriger Regierungszeit am 11. April erneut wählen lassen wollte. Weil für das Land in der Sahelzone ein Lockdown galt, war öffentlicher Protest verboten. Wer sich nicht daran hielt, den traf brutale Gewalt der Ordnungskräfte. Wie Human Rights Watch berichtet, kamen dabei Peitschen, Schlagstöcke und Tränengas zum Einsatz. Verhaftete wurden mit Elektroschlägen traktiert. Beim Angriff der Polizei auf das Haus eines konkurrierenden Präsidentschaftsbewerbers kam dessen Mutter ums Leben. Obwohl der Tschad reiche Erdölvorkommen ausbeuten kann, zählt er zu den ärmsten Ländern der Welt und erfüllt beim Demokratie-Index von zehn Punkten nur 1,55.
Auch die im Land aktiven Rebellengruppen, darunter die islamistische Boko Haram, wollten das sechste Mandat von Déby Itno nicht mit fatalistischer Resignation hinnehmen. Gegen die Hauptstadt N’Djamena rückte vom Norden her eine Gruppe vor, die sich Front pour l’alternance et la concorde au Tchad (FACT, Front für Wechsel und Eintracht im Tschad) nennt.
Macron spendet Beileid
Schließlich kam Déby Itno am 11. April bei schwacher Wahlbeteiligung laut offiziellen Angaben auf 80 Prozent. Als er sich Tage später in das Gebiet begab, in dem seine Armee gegen die FACT-Milizionäre kämpfte, wurde er getötet. Anders, als es die seit 2018 geltende Verfassung vorsieht, nach der bei Ausfall des Staatschefs dessen Funktion auf den Präsidenten der Nationalversammlung übergeht und – sofern der nicht übernehmen kann – auf den Vizepräsidenten, erklärte sich ein militärischer Transitionsrat zum Nachfolger. Und den führt der Sohn des „im Kampf Gefallenen“ – General Mahamat Idriss Déby Itno. Diese Junta hat Wahlen frühestens für Oktober 2022 in Aussicht gestellt, obwohl die Verfassung in diesem Fall eine Frist zwischen 45 und 90 Tagen vorschreibt. In den Augen der Opposition hat im Tschad ein Staatsstreich stattgefunden.
Der neue starke Mann, der antritt, um die Herrschaft seines Clans fortzusetzen, ist von der EU, die Verstöße gegen demokratische Regeln in anderen Staaten oft hart sanktioniert, zumindest indirekt anerkannt worden. Zum Begräbnis des zum Märtyrer verklärten Präsidenten reiste Emmanuel Macron an und sprach dem Déby-Itno-Clan nicht nur sein tiefes Beileid aus. Er versicherte, der neue Machthaber könne auf den gleichen Beistand rechnen, auf den auch sein Vater zählen durfte. „Frankreich wird weder heute noch morgen irgendwem erlauben, die Stabilität und territoriale Integrität des Tschad infrage zu stellen“, so Macron. Woher diese Großherzigkeit? Déby Itno senior hat sich stets mit einem starken Militärkorps an den von Frankreich wie auch der Bundeswehr unterstützten Antiterroreinheiten der G5-Länder im Sahel – Mauretanien, Mali, Burkina Faso, Niger und Tschad – beteiligt. Soldaten des Tschad waren bereits in der Zentralafrikanischen Republik, im Nordwesten Nigerias und in Mali präsent.
Eine politische Alternative ist der FACT indes keineswegs. Der auf eine Integration der muslimischen Stämme im Norden und der christlichen Gemeinschaften im Süden verweisende Name ist keine Garantie dafür, dass diese Agenda tatsächlich eingelöst wird. FACT-Leader Mahamat Mahdi Ali blickt auf eine jahrzehntelange Karriere als Warlord eines Stammesverbandes zurück, der über Basen im Norden des Tschad und im libyschen Tibesti-Gebirge verfügt. In den 1980ern sekundierte er bei Versuchen Muammar al-Gaddafis, den Einfluss Frankreichs auf den Tschad durch den Libyens zu ersetzen. Folgerichtig mischte Mahdi Ali im libyschen Bürgerkrieg mit, der vor zehn Jahren ausbrach. Unter anderem Namen halfen seine Kämpfer den islamistischen Milizen von Misrata, denen es kurzzeitig zu gelingen schien, die Macht in Libyen an sich zu reißen. Als ein solcher Coup von der laizistisch geprägten Libyschen Nationalarmee (LNA) des Generals Khalifa Haftars vereitelt wurde, stand Mahdi Ali plötzlich auf dessen Seite und beteuerte, selbst Laizist zu sein. Inzwischen wird der FACT den „ausländischen Milizen“ zugeordnet, die laut neuer Einheitsregierung in Tripolis verpflichtet sind, das Land zu verlassen. Das kann die Entscheidung des bestens bewaffneten FACT beeinflusst haben, gegen N’Djamena vorzurücken.
Da aber der Verteidigungswille der Regierungsarmee und des neuen Militärrates nicht zu brechen war, soll sich der FACT – zumindest vorübergehend – nach Niger zurückgezogen haben. Der Regierung dort ging prompt ein Auslieferungsersuchen des neuen Präsidenten Déby Itno junior zu, das aber ohne Konsequenzen blieb, denn Mahdi Ali soll sich im Norden des Tschad aufhalten.
Islamisten gewinnen Einfluss
Im Tod des Langzeitpräsidenten Déby Itno wie in den Folgen lassen sich heftige Kollateralschäden des libyschen Bürgerkriegs von 2011 wie der inneren Zerreißproben in den Jahren danach erkennen. Die Ereignisse werfen ein Schlaglicht auf die katastrophale Situation im Sahel. Die vorrangig von Frankreich geführte Antiterrorliga der G5 konnte bisher nichts zum Guten wenden. Im Gegenteil – die Macht der nach wie vor glänzend bewaffneten Milizen ist ungebrochen. Zugleich nehmen im Niger und im Tschad die Konflikte zwischen verelendeten Volksgruppen zu. Human Rights Watch beklagt, dass bei den gegen Islamisten gerichteten Militäraktionen der G5 standrechtliche Erschießungen gegnerischer Kämpfer üblich sind, aber auch die Zivilbevölkerung nicht geschont wird. Von wirtschaftlichem Aufschwung – der einzige Weg, die Region wirklich zu befrieden – ist nichts zu spüren.
In den G5-Staaten mehren sich daher Stimmen, die eine Auflösung des Bündnisses und die Heimkehr der europäischen „Helfer“ verlangen. Letztlich steht ein Szenarium zur Debatte, das dem des Abzugs der westlichen Truppen aus Afghanistan ähnelt. Nicht anders als dort dürfte im Sahel ebenfalls der Einfluss von Islamisten wachsen – freilich in größerer Nähe zu Europa.
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