Propheten des Gottesstaates

Kommentar Islamische Führer in Algerien freigelassen

Mit seinen Aufrufen zur Gründung eines islamischen Gottesstaates hatte Ali Benhadj Anfang der neunziger Jahren in Algerien ganze Sportstadien in Ekstase versetzt. Der Islam sei die Lösung, rief er unermüdlich, Demokratie ein Attribut des Atheismus, auch die Anwendung von Gewalt bleibe legitim. Da sowohl Benhadj als auch Abassi Madani, der zweite Führer des Front Islamique du Salut (FIS), nicht durch Wahlen, sondern einen Generalstreik an die Macht strebten, war ihre Verhaftung 1991 die Voraussetzung, um überhaupt Wahlen abhalten zu können. Nachdem mit Abdelkader Hachani ein Mann an die FIS-Spitze nachrückte, der behauptete, das parlamentarische System zu respektieren, gewannen die Islamisten die Abstimmung. Ihre Machtergreifung konnte nur durch einen Militärputsch verhindert werden.

Unendlich lässt sich spekulieren, ob der Blutzoll, den das Land seitdem entrichtet, geringer gewesen wäre, hätte man das Wahlergebnis respektiert. Benhadj ist es jedenfalls gelungen, während seiner Haft mehrere Appelle zur Unterstützung terroristischer Gewalt in die Öffentlichkeit zu schmuggeln.

Dass er und Madani nach zwölf Jahren Haft am 1. Juli fristgemäß freigelassen wurden, hat viele Algerier, besonders die Familien der Terroropfer, schockiert. Benhadj durfte das Militärgefängnis von Blida verlassen, obwohl er dem Protokoll die Unterschrift verweigerte, das ihm nicht nur zeitlebens die Bürgerrechte entzog, sondern auch politische Äußerungen in der Öffentlichkeit verbot. Letzteres kann die Staatsmacht nicht verhindern. Das demonstrierte Benhadj, indem er sich sofort vom Gefängnis zum Staatsfernsehen begab, um internationale Menschenrechtsorganisationen zur Hilfe für sein Land aufzurufen. Zwar widersetzte sich der Sender diesem Ansinnen, dafür filmten aber ausländische Stationen die spektakuläre Freilassung. Um ähnliche Pannen künftig zu vermeiden, erließ das Informationsministerium ein Dekret, wonach jedem ausländischen Korrespondenten die Akkreditierung entzogen wird, der mit Benhadj oder Madani Kontakt aufnimmt. Der Erlass ist ein Sieg über die Demokratie, die von den beiden FIS-Führern so erbittert bekämpft wurde. Denn das Ministerium für Kultur und Information führt seit einem Jahr Khalida Messaoudi, eine der erbittersten Gegnerinnen des FIS - dass ausgerechnet diese Vorkämpferin der Pressefreiheit einknickt, wenn es um die freie Meinungsäußerung ihrer Gegner geht, entbehrt nicht der Tragik.

Ohnehin wird immer deutlicher, wie sich die Regierung islamistischen Positionen nähert. So erklärte Präsident Bouteflika, das katastrophale Erdbeben jüngst müsse als Strafe für die Gottlosigkeit vieler Algerier verstanden werden. Von da scheint es nicht mehr weit bis zu der Behauptung, dass auch die Opfer der islamistischen Bluttaten sterben mussten, weil sie Gottesgesetze übertreten hätten.

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