Für Saudi-Arabien und die USA verläuft der Syrienkrieg alles andere als wunschgemäß. Eine Verständigung über gemeinsame Interessen im Nahen Osten erscheint unabdingbar. Deshalb hält sich Kronprinz Mohamed Salman bin Salman für längere Zeit in den Vereinigten Staaten auf – über Besuche in Frankreich und Deutschland wird spekuliert. Was von den reformerischen Ambitionen des Thronfolgers bekannt ist, beschränkt sich bisher darauf, saudischen Frauen das Autofahren zu gestatten, in Riad Kinos zu eröffnen und Israel diplomatisch anerkennen zu wollen. Weitgehend unbeachtet bleibt ein ausführliches, am 22. März der Washington Post gegebenes Interview Salmans über die Kooperation zwischen dem Westen und den saudischen Herrschern zur weltweiten Förderung des Salafismus.
Die Aussagen lassen nicht etwa deshalb aufhorchen, weil das Thema noch nie öffentlich behandelt wurde, sondern weil es normalerweise als Fake gilt. Wenn solche Informationen auftauchen, werden sie als Verschwörungstheorie disqualifiziert, verbunden mit der Frage: Welches Interesse könnte der Westen denn haben, islamischen Radikalismus zu fördern, der nicht nur in muslimischen Ländern zu Terror führt, sondern auch die eigenen Bürger gefährdet? So irritierend westliche Politik im Nahen Osten mittlerweile auch wirken mag, so viel Machiavellismus traut ihr kaum jemand zu.
Entglittene Kontrolle
Allerdings spricht Prinz Salman von der „Forderung unserer Verbündeten“, dass sich sein Land „für die Schaffung von Koranschulen, Moscheen und die Propaganda des Wahhabismus in der islamischen Welt“ engagieren solle. Gegeben habe es dieses Verlangen erstmals im Jahr 1979, als im Iran ein religiöses Regime errichtet wurde – doch das greift zu kurz. Die Unterstützung islamistischer Bestrebungen durch die Golfstaaten bei wohlwollender Duldung des Westens setzte schon nach dem Sechstagekrieg von 1967 ein. Seinerzeit war das Prestige eines säkular ausgerichteten Panarabismus in Syrien und Ägypten schwer beschädigt. Ziel sei es gewesen, so Salman gegenüber der Washington Post, „die Sowjetunion daran zu hindern, ihren Einfluss in der islamischen Welt zu stabilisieren“. Die Verbündeten hätten darum gebeten, dass „wir dafür unsere finanziellen Mittel einsetzen“. Wenn der Prinz gar zugibt, dass die dann „folgenden saudischen Regierungen vom rechten Wege abgekommen sind“ und es nun an der Zeit sei, „in die Normalität zurückzukehren“, klingt das bemerkenswert. Gleichwohl versichert er, dass die Finanzierung des Salafismus nicht vom saudischen Staat, sondern „größtenteils von privaten Institutionen“ stamme, die jedoch in Saudi-Arabien „verwurzelt“ seien. Auch dieses Geständnis bestätigt nur, was für viele Analysten schon lange auf der Hand liegt: Im saudischen Königreich existieren immense private Vermögen, die der Staat nicht zu kontrollieren vermag. Und noch weniger kontrolliert er die Empfänger von Zuwendungen: bewaffnete Gruppen mit Tausenden von Kämpfern, die sich im Rahmen salafistischer Disziplinierungsideologien oft eigene Ziele gesetzt haben.
Es ist ein Indiz für diese Verselbstständigung, dass sich aus saudischen Quellen finanzierte Gruppen vom zunächst verbündeten Westen abwandten und auch ihn angriffen. 1993 drohte der damalige US-Präsident Clinton dem saudischen Königreich, die Militärhilfe zurückzufahren, sollte es den Aktionsradius terroristischer Milizen nicht beschneiden. Was dann immerhin punktuell gelang. Den bewaffneten islamistischen Aufständischen in Algerien, die große Teile des Landes beherrschten, gingen Mitte der 1990er Jahre die aus Saudi-Arabien stammenden Mittel aus, mit denen man sich den Zuspruch marginalisierter Bevölkerungsschichten erkauft hatte. Als die sich abwandten, kam es zwar zunächst zur grauenhaften Ausweitung des Terrorismus, letztlich aber war das Ende des Bürgerkriegs eingeleitet.
Weniger erfolgreich war Riad mit Osama bin Laden, der Koordinator jener saudischen Initiativen war, die sich finanziell für einen global agierenden Salafismus engagierten. Bin Laden vollzog die politische Wende nicht mit, wurde ausgebürgert, agierte autark und gilt bis heute als Inspirator der Attentate von 9/11. Sein 2011 durch ein US-Kommando herbeigeführter Tod bedeutete keinen Rückschlag für den salafistischen Terrorismus, der immer wieder auch zu Anschlägen in westlichen Staaten antrat. Vor allem aber infizierte er ganze Regionen im islamischen Raum und störte das Zusammenspiel von Golf- und westlichen Staaten.
Es sind die Misserfolge der salafistisch-terroristischen Strategie in Syrien, die fragile Stabilität in Irak und die unübersichtliche Lage in Libyen, die Saudi-Arabien zwingen, jene Freischärler zu zügeln, mit denen man eigentlich den nahöstlichen Raum neu ordnen wollte. Und die weiter gebraucht werden. Dies könnte ein Grund für den mehrwöchigen Aufenthalt des Kronprinzen in den USA sein.
Der Prinz, ein Revolutionär?
Das säkulare Syrien hat sich keinen islamistischen Staat aufzwingen lassen, der sich auch noch als „Demokratie“ ausgeben wollte. Und dass ein nach wie vor islamistisch geprägter Iran Syrien unterstützt, ohne dem Nachbarn sein System aufzwingen zu wollen, zeigt, dass man in Teheran moderner denkt als die gesamte arabische Halbinsel. Riad lässt das nicht unbeeindruckt, versprach doch der Kronprinz im Oktober 2017 auf einem Forum in Riad: „Ein Bruch mit den extremistischen Ideen“, die seit drei Jahrzehnten die Politik seines Landes beherrschten, sei notwendig. „Wir wollen einfach wieder so werden, wie wir einmal waren, wir wollen zurück zu einem gemäßigten, moderaten Islam, der sich der Welt öffnet“. Das klingt gut, denn bislang ist in Saudi-Arabien selbst Ausländern die Bibel untersagt, obwohl der Prophet Mohamed sie zum Heiligen Buch und Vorläufer des Koran erklärt hat.
Riad und der Westen werden kaum auf militärische Optionen im Nahen Osten verzichten. Aber Kronprinz Salman scheint verstanden zu haben, dass eine Hegemonie seines Landes nur dann eine Chance hat, wenn es sich modernisiert. Nötig sind institutionelle Reformen, die in ihrer Summe eine Revolution darstellen und auf einen heftigen Widerstand stoßen dürften.
Kommentare 7
"Der Prinz, ein Revolutionär?"
Um mal diese Frage aus meiner Sicht zu beantworten: Wer sein Herrschaftssystem dadurch stabilisieren möchte, dass er es von einigem ideologischen und zusehends delegitimierenden Ballast befreit, ist kein Revolutionär und auch nicht wirklich ein Reformer, sondern bestenfalls ein Technokrat.
Bisher habe ich nirgends erkennen können, dass es diesem "Prinzen" um etwas anderes geht als darum, seine Macht zu zementieren. Das sieht man ja auch im Umgangen mit Konkurrenten aus der Machtelite, die unter dem Vorwand der Korruption kaltgestellt wurden.
Damit ist natürlich nicht gesagt, dass diese Konkurrenten nicht korrupt wären. Aber der Vorwurf der Korruption ist in einem Feudalsystem, in welchem alle wichtigen Positionen von der Nähe zur Macht abhängen, geradezu absurd.
Mein Fazit: Wer irgendwelche Hoffnungen in diese "Reformen von oben" setzt, könnte sich sehr schnell getäuscht sehen.
Das ist aber nun wirklich überhaupt nichts Neues. Das ist auch gut belegt und keine Verschwörungstherie.
http://www.zeit.de/politik/ausland/2010-12/afghanistan-hilfe-islamisten
Über Afghanistan z. B. ist das gut recherchiert und berichtet.
Es ist -eine aus der Sicht der USA ziemlich pragmatische und eindimensionale Taktik. Mottto: "Der Gegner meines Gegners ist mein Freund". Ohne Blick auf Zukunftsentwicklungen. Das ist das Problem.
- - Zitat "Und dass ein nach wie vor islamistisch geprägter Iran Syrien unterstützt, ohne dem Nachbarn sein System aufzwingen zu wollen, zeigt, dass man in Teheran moderner denkt als die gesamte arabische Halbinsel. " Zitatende
Ob das nun "modern" ist, weiß ich nicht, aber sie sind halt auch Pragmatiker und denken möglicherweise ebenfalls in kurzfristigen Bündnissen.
Der Knabe oben im Bild wird wohl in der westlichen Welt als Symbol für die Demokratiein seinem Land gefeiert. Es wird dabei aber nicht erwähnt, dass gerade sein Land in Allianz mit anderen Ländern einen furchtbaren Krieg im Jemen führt, bei dem bis Jetzt tausende von Menschen ihr Leben verloren haben. Der Rest ist vom Hunger und viele Krankheiten betrofen. Der Westen tut auf Moral, die er schon lange nicht mehr hat und macht gerne die Augen zu, was sich dort seitdrei jahren abspielt. Warum?, weil der Knabe große Waffenkäufe bei dem Westen im Auftrag gegeben hat. Also so viel zu der Moral des Westens. erbärmlich ist es.
Der Islam ist schön, warum es viele Konflikte gibt und es immer Krieg gibt
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Die Republiken in Iran, Irak, Syrien, Türkei und letztlich alles was irgendwie mit kollektiv, sozial, gerecht, freiheitlich und laizistisch umschrieben werden könnte wurde und wird bis heute gnadenlos exekutiert. "Antikommunismus" war nur ein Deckmäntelchen zur Vermeidung überflüssiger Fragen. Das reicht bis in unsere Gesellschaft hinein und bis nach Russland und Afrika und der Rollback in Lateinamerika läuft auch. Überall sind die radikale Evangelisten, Orthodoxe, Wahabiten, Ultrazionisten, animistische Warlords und sonstige Spinner am Werke, und überall spielen diese Bewegungen völlig areligiösen und amoralischen Finanziers die Bälle der Macht zu. Das ist exakt die Rolle von Religion im Kapitalismus, die Marx beschrieben hat.
Vor dem Hintergrund der CHARTA VON PARIS
https://www.bundestag.de/blob/189558/21543d1184c1f627412a3426e86a97cd/charta-data.pdf
sowie der ergänzenden Analyse von Marcell Serr
zum "neuen Great Game"
https://www.blaetter.de/archiv/jahrgaenge/2018/april/krieg-um-syrien-das-neue-great-game
offenbart sich in erschreckender Weise die Unfähigkeit der "Führer dieser Welt", über die je eigenen (wirtschaftlichen) Interessen hinaus mediative globale Kooperationsgestaltungen in die Tat umzusetzen.
Die CHARTA VON PARIS ist auch Gegenstand des aktuellen Aufrufs der Carl Friedrich von Weizsäcker-Stiftung u.a.
https://www.cfvw.org/cfvw/gesellschaft/aufruf.html
dem anzuschließen geboten erscheint.
Liebe Magda, das Bündnis zwischen Iran und Syrien ist schon mehrere Jahrzehnte alt, beruht sicher vor allem auf der Abwehr des Einflusses der USA in der Region. Dennoch ist erstaunlich, dass das ohne religiöse Missionierung von Seiten des Iran abläuft, denn er ist ökonomisch natürlich viel stärker und könnte das leicht in die Wege leiten, wenn er denn wollte. Natürlich ist das auch Pragmatismus, den aber Saudi Arabien bislang nicht an den Tag gelegt hat. Es war schlichtweg unmöglich, der alte Kulturlandschaft des Nahen Ostens den Wahabismus überstülpen zu wollen. Es scheint, dass Salman bin Salman das zumindest ansatzweise kapiert hat.
Iran unterhält übrigens auch bessere Beziehungen zu Armenien als zu Aserbaidschan, obwohl letzteres ihm religiös nahe steht.
Beste Grüße - Sabine Kebir
"Weniger erfolgreich war Riad mit Osama bin Laden, der Koordinator jener saudischen Initiativen war, die sich finanziell für einen global agierenden Salafismus engagierten. Bin Laden vollzog die politische Wende nicht mit, wurde ausgebürgert, agierte autark und gilt bis heute als Inspirator der Attentate von 9/11."
Das ist die offizielle Version. Osama bin Laden wurde zunächst als Führer des Aufstands der Mudjaheddin gegen die russische Besatzungsmacht in Afghanistan von der saudischen Regierung installiert, mit logistischer Unterstützung (sprich: Waffenlieferungen) durch die CIA. Später habe er sich dann gegen die ehemaligen Verbündeten gewandt, wofür er auch in Saudi-Arabien geächtet (ausgebürgert) wurde. Das Problem ist nur: die Geschichte von Osama und den 19 Teppichmessern ist auch im 18. Jahr nach 9/11 nicht glaubwürdiger geworden.