Schwert des Islam

Porträt Saif al-Islam will als Gaddafi-Sohn Präsident Libyens werden und ruft zu nationaler Versöhnung auf
Ausgabe 47/2021
Wer mit seinem Vater nicht reden wollte, der verhandelte mit Saif al-Islam. Er spricht Deutsch, Englisch und etwas Französisch
Wer mit seinem Vater nicht reden wollte, der verhandelte mit Saif al-Islam. Er spricht Deutsch, Englisch und etwas Französisch

Foto: Ason Florio/Getty Images

Ausgerechnet der 1972 geborene zweitälteste Sohn Muammar al-Gaddafis, Saif al-Islam (Schwert des Islam), hat sich Mitte November als libyscher Präsidentschaftskandidat präsentiert. Die Wahlkommission hatte nichts dagegen und bestätigte die Bewerbung. Ein Indiz dafür, wie wenig über die innere Dynamik Libyens bekannt ist, besonders über das Kräftespiel der vielen internen Akteure. Gegen Gaddafi junior liegt noch ein Haftbefehl des Internationalen Haager Gerichtshofs vor, der ihn anklagt, während der Kämpfe im Jahr 2011 Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen zu haben. Dabei spielte Saif al-Islam seinerzeit eher eine propagandistische als militärische Rolle. Nach bisher unaufgeklärten Fluchten, Gefangennahmen und erneuten Fluchten wurde er im April 2014 in Tripolis in Abwesenheit zum Tode verurteilt. Das Gericht hatte seinen Anwälten weder Akteneinsicht noch einen Zutritt zum Prozess gewährt. Das Parlament in Tobruk, das mit der von der UNO eingesetzten Regierung in Tripolis konkurriert, gewährte ihm zwei Jahre später Amnestie.

Seitdem trat der Gaddafi-Sohn immer wieder in der Öffentlichkeit und in internationalen Medien auf, um die Libyer auf eine nationale Versöhnung einzuschwören. Seit Ende 2018 gab er mehrfach bekannt, zu gegebener Zeit für die Präsidentschaft kandidieren zu wollen. Der zu erwartende Aufschrei blieb aus. Was nicht nur daran liegt, dass der innerlibysche Konflikt mittlerweile unlösbar erscheint. Wer involviert ist, wünscht sich nur noch ein Durchschlagen des gordischen Knotens, selbst wenn das „Schwert des Islam“ dies bewirkt. Offenbar erinnert man sich, dass Saif vor 2011 auch im Westen für reformwilliger als sein Vater gehalten wurde. Mit Demokratieversprechen hatte er noch 2011 versucht, den militärischen Druck von innen und außen zu mindern. Festzuhalten ist, dass Gaddafi junior ein gebildeter und weltläufiger Mann ist. Er absolvierte in Tripolis ein Architekturstudium und erwarb in Wien ein Diplom für Ökonomie und Management. Dass ein Teil seiner an der London School of Economics verfassten Dissertation über Die Rolle der Zivilgesellschaft bei der Demokratisierung der allgemeinen Führung der Institutionen Plagiate enthalten soll, erscheint weniger bedeutsam, als dass sich der Autor für das Thema interessiert hat.

Sein Vater übertrug ihm 1998 die Leitung der Internationalen Gaddafi-Stiftung für Wohlfahrt und Entwicklung, durch die – in Konkurrenz mit islamistischen Stiftungen – nicht nur der Einfluss Libyens im Ausland, besonders in Afrika, gewahrt werden sollte. Das Gremium war auch gefragt, ging es um Menschenrechtsfragen, die den Westen interessierten. 25 Millionen Dollar Stiftungsgeld flossen im Jahr 2000, um sechs westliche Geiseln aus der Gefangenschaft bei philippinischen Islamisten der Abu-Sayyaf-Miliz zu befreien. Zudem wurde Wiedergutmachung wegen der beiden Libyen angelasteten, aber in Tripolis nicht anerkannten Flugzeugattentate betrieben: über dem schottischen Lockerbie 1988 und über Niger 1989. Im Jahr 2007 erreichte die Stiftung einen Deal, der zur Freilassung in Libyen verhafteter bulgarischer Krankenschwestern führte, die beschuldigt waren, durch Missachtung hygienischer Standards zur Verbreitung von Aids beigetragen zu haben. Im Gegenzug erhielt Libyen einen Vertrag über Waffenimporte aus Frankreich. Überdies wurde ein in Großbritannien einsitzender angeblicher Organisator des Lockerbie-Anschlags freigelassen. Gaddafi junior, der gut Englisch, Deutsch und etwas Französisch spricht, trat mehrfach als faktischer Außenminister in westlichen Ländern auf, auch in den USA. Wer mit seinem Vater nicht reden wollte, verhandelte mit ihm.

2007, als Saif al-Islam noch an seiner Dissertation über die Zivilgesellschaft schrieb, wollte er demokratische Reformen anstoßen, etwa die libyschen Medien liberalisieren, private Zeitungen und TV-Sender zulassen. Zugleich heuerte er ausländische Juristen an, die sowohl bei der Medienreform wie der Ausarbeitung einer neuen Verfassung helfen sollten. Doch er scheiterte, da seine Vorhaben letztlich nicht mit den Vorschriften des Grünen Buches kompatibel waren, das Gaddafi senior als Magna Carta des Landes galt. Damals schien dieser geneigt, Saifs Bruder Moatassem, der mit dem Geheimdienst verbandelt war, die Rolle des Kronprinzen zuzuschanzen. Die bereits entstandenen privaten Medien wurden verstaatlicht und Saif al-Islam verkündete, sich künftig nur noch mit Sozialpolitik zu beschäftigen. Aber schon 2009 wurde er zum „Generalkoordinator der Anweisungen des Volkes“ ernannt, womit ihm der symbolische Vorsitz des Parlaments zugefallen und er zweiter Mann im Staat geworden wäre. Weil ein Teil der konservativen Elite gegen ihn war, nahm Saif diese Funktion nicht an.

Zuletzt hat er wiederholt seine Bereitschaft bekundet, mit der islamistischen Opposition verhandeln zu wollen. Die Ernsthaftigkeit dieses Ansinnens sollte wohl der Bart unterstreichen, den er bei der Offizialisierung seiner Kandidatur trug. Ein Berber-Burnus erinnerte zudem an die schlichte Kleidung, die sein Vater im Inland trug und im krassen Gegensatz zu den Fantasiekostümen stand, die er im Ausland präsentierte. Ob dieser Bewerber am 24. Dezember gewählt wird, ist nicht sicher. General Haftar, der in den vergangenen Jahren auch politische Fähigkeiten unter Beweis stellte, kandidiert ebenfalls. Zur Wahl steht zudem ein ehemaliger Minister der Tripolis-Regierung, den die USA favorisieren. Er heißt Fethi Baschaga und steht den türkischen Muslimbrüdern nahe.

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