Der Kampf der georgischen Regierung gegen NGOs und unabhängige Medien

"Ausländische Agenten" Alle Organisationen, die mehr als 20 % ihres gesamten Haushalts aus dem Ausland erhalten, werden verpflichtet sich beim öffentlichen Register als „ausländische Agenten“ registrieren zu lassen.

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In der Nähe von Tbilissi befindet sich eine Stadt namens Gori, die Hauptstadt der Region Innerkartlien. Nahe Gori liegt ein Dorf Mejvriskhevi mit ungefähr 2500 Bewohner:innen, die zum größten Teil in sehr ärmlichen Verhältnissen leben. Als ich 2016 anfing bei einer NGO zu arbeiten, hatten wir ein Projekt, das Frauen in Innerkartlien mit Haushaltsgeräten unterstützte. Ein paar Mal in der Woche sind wir in die Region gefahren und haben Kühlschränke, Waschmaschinen, Öfen usw. dort verteilt. Dies taten wir nicht nur in Mejvriskhevi, sondern auch in anderen Dörfern in der Umgebung. Obwohl die Familien alle sehr arm waren und praktisch in einem Zimmer gewohnt haben, erinnere ich mich besonders an einem Fall. Das war in Mejvriskhevi, als wir einen Kühlschrank einer Familie übergeben wollten. Es war eine mehrköpfige Familie, mit vier Kindern, die in einem Haus wohnten, das eher wie Ruinen eines Kuhstalls aussah. Die Kinder gingen nicht zur Schule (obwohl drei von ihnen im Schulalter waren), das erste Kind war an Hepatitis B erkrankt und hatte Wachstumsstörung, das zweite Kind hatte Hepatitis C und Sprechstörungen, das dritte Kind konnte nicht laufen und das vierte Kind kam gerade auf die Welt. „Die werden den Kühlschrank verkaufen und das Geld fürs Essen nutzen“ sagte mir meine Mitarbeiterin, „Wir wissen das ganz genau, aber immerhin können wir sie somit indirekt unterstützen“. Wir stellten den Kühlschrank hin, aber an den Strom konnten wir ihn nicht anschließen, das Haus war nämlich nicht an das Netz angeschlossen.

Für solche georgischen Familien wird es bald keine Hoffnung und Unterstützung mehr geben. Die georgische Regierung (konkreter gesagt die Mitglieder der Fraktion „Volksmacht“, die von den aus der regierenden Partei „Georgischer Traum“ ausgetretenen Abgeordneten gegründet wurde, mit Unterstützung der Regierung) hat vor ein paar Wochen einen Gesetzentwurf über die Transparenz ausländischer Einflussnahme initiiert. Die Verabschiedung des Gesetzesentwurfs bringt die Arbeit der Zivilgesellschaft (NGOs) und der Medien und dementsprechend deren entscheidenden Beitrag zur Demokratisierung des Landes in Gefahr. Dem Gesetzentwurf zufolge wird die Kategorie des „Agenten ausländischer Einflussnahme“ eingeführt. Alle Organisationen, die mehr als 20 % ihres gesamten Haushalts aus dem Ausland erhalten, werden verpflichtet sich beim öffentlichen Register als „ausländische Agenten“ registrieren zu lassen. Die Nichteinhaltung der Registrierungs- und Meldepflichten wird mit bis zu 25 000 GEL (ungefähr 9 000 EUR) Geldstrafe geahndet. Das Justizministerium erhält außerdem die Befugnis, jede andere Organisation zu überwachen, entweder durch eine Entscheidung des zuständigen Beamten oder auf der Grundlage einer schriftlichen Erklärung, die das Ministerium bei dem mutmaßlichen ausländischen Agenten anzeigt.

Am 2. März hat eine Anhörung vor den Ausschüssen für Auswärtige Beziehungen und Verteidigung und Sicherheit stattgefunden, die inmitten von Protesten vor dem Parlamentsgebäude erfolgte. Hunderte Menschen demonstrierten gegen den Gesetzentwurf, darunter waren auch die Vertreter der NGOs und Medien.

Die Initiatoren des Gesetzesentwurfes behaupten, es sei für das Land wichtig, die Finanzierungsquellen dieser Organisationen und Medien transparent zu machen und das Gesetz sei für die Sicherheit des Landes bedeutend (wofür in Georgien übrigens konkrete Staatsorgane, Strafverfolgungsbehörden und Ministerien zuständig sind und Gesetze schon seit Langem in Kraft getreten sind). Die andere Seite (NGOs, Medien u.a.) behauptet hingegen, dass das Vorhaben sich sehr einem russischen Gesetz ähnelt, das dort 2012 verabschiedet wurde. Seitdem wurden in Russland praktisch alle Organisationen und Medien, die mehr oder weniger frei arbeiten konnten und gegen das Regime Wiederstand leisteten, abgeschafft. Obwohl die Fraktion „Volksmacht“ argumentiert, dass das Gesetz eine direkte Übersetzung eines amerikanischen Gesetzes sei (das übrigens fast 100 Jahre alt ist und zur Eindämmung der Nazi-Propaganda verabschiedet wurde, außerdem wurden viele Änderungen seit der Einführung an diesem Gesetz vorgenommen) und nichts mit dem russischen Gesetz zu tun habe, ist der Inhalt dieses Gesetzes sehr problematisch und gefährlich für die georgische Realität. Dass überhaupt solche Gesetzentwürfe in Frage kommen und dass darüber ernsthaft diskutiert und gesprochen wird, ist schon an sich sehr schädlich. Dieses Gesetz basiert auf einer erniedrigenden und beleidigenden Idee und wird die ohnehin vorhandene Perspektivlosigkeit und Frustration in Georgien verstärken. Die Menschen (seien es Frauen, Kinder oder einfach Personen, die keine Privilegien besitzen) werden die letzte Hoffnung verlieren und deren sowieso fragwürdige Zukunft wird noch trostloser. Die Ungerechtigkeit und Machtlosigkeit, mit der die Bevölkerung insbesondere in den ländlichen Regionen zu kämpfen hat, wird stärker werden und die Hilfe und Dienstleistung, die bisher durch die zivilgesellschaftlichen Organisationen angeboten wurden und durch welche sich viele Menschen das Leben retten konnten, werden in erster Linie dieser sozialen Schicht weggenommen.

In der Geschichte der Unabhängigkeit Georgiens haben zivilgesellschaftliche Organisationen und durch westliche Mitteln finanzierte Medien eine erhebliche Rolle in die Entwicklung der Demokratie gespielt. Medien wie Radio Free Europe/Radio Liberty oder Voice of America waren sowohl in der Sowjetunion als auch in den 90er Jahren Symbole der Hoffnung. Durch sie hatte man die Möglichkeit, über die verschiedenen politischen und sozialen Geschehnisse eine andere Perspektive zu gewinnen. Bis heute spielen solche unabhängigen Medien (es gibt mittlerweile viele andere Medienunternehmen, die ihre finanziellen Mittel aus dem Ausland erhalten) eine große Rolle und sind oft die einzigen Quellen, aus denen man objektive und unvoreingenommene Informationen erhalten kann.

In den 90er Jahren waren NGOs das Licht im Dunkeln und haben den Alltag Georgiens mit Hoffnung gefüllt. Sie führten verschiedene Trainingsprogramme durch, haben Zuschüsse und Stipendien an junge Menschen ausgegeben und investierten Zeit und Finanzen in deren Zukunft (Darunter sind auch Abgeordnete, Ausschussvorsitzende und Politiker der Regierungspartei, die im Ausland (Insbesondere in Deutschland) studiert und von „westlichen Mitteln“ profitiert haben und die jetzt diese Initiative unterstützen). Somit hatte das Land durch diese NGOs die Möglichkeit, viele Student:innen als hochqualifizierte Arbeitskräfte zu erziehen, die für die Bewusstseinsbildung und somit für die zivilgesellschaftliche Entwicklung sorgten.

Verschiedenen Studien zufolge will die Mehrheit der georgischen Bevölkerung (über 75%) eine europäische Zukunft und somit den Beitritt zur EU. Im Juni 2022, als Georgien den EU-Kandidatenstatus nicht erhalten hatte (anders als die Ukraine und die Republik Moldau), demonstrierten hunderttausende Menschen gegen die Regierung.

In einem Land, in der jeder fünfte (nach neuen Angaben der NDI-Studie) über eine Flucht und Auswanderung nachdenkt, und das in einer Wirtschaftlichen Krise steckt, wo junge Menschen keine Zukunftsperspektive sehen und wo der Alltag und die Realität sowieso sehr schwer zu überleben sind, sind solche Gesetze ein Rückschritt, tragen zur Stärkung des Autoritarismus bei und sind ein guter Nährboden für die falsche Entwicklung des Landes.

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