Ein Jahr nach Beginn des russischen Angriffskrieges in der Ukraine

Russisch-ukrainischer Krieg Nach Angaben von Statista gab es mindestens 8.006 Todesopfer in der ukrainischen Zivilbevölkerung, darunter mindestens 487 Kinder.

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Es war ein kein normaler Morgen am 24. Februar 2022 in Berlin, als ich aufwachte. Die Nachricht war schon angekommen: Russland hatte die Ukraine angegriffen, und zwar nicht nur die östlichen Gebiete, sondern das ganze Land. Ich durchstöberte sofort die Nachrichtenseiten, wo ich eine Landkarte der Ukraine mit den markierten Angriffsorten sah. Überall waren Feuerzeichen gesetzt, das Land war in Flammen. Ich konnte es kaum glauben, „Putin hat es sich doch getraut!“, dachte ich mir. Aber was machen wir jetzt? Ich suchte nach angekündigten Demos auf der Webseite der Berliner Polizei. Und es gab eine! Sie fand um 12 Uhr am Brandenburger Tor statt. Ich hatte noch ein paar Stunden Zeit, um etwas zu essen und mich vorzubereiten.

Der Platz vor dem Brandenburger Tor war voller Menschen. Überall waren Gelb und Blau zu sehen, viele hatten sich schon eine Ukraine-Flagge besorgt. Mitleid war zu sehen und auch Angst war zu spüren. Man merkte, die Menschen machten sich Sorgen, vor allem auch um das eigene Land – Deutschland. Denn die Panik war groß „Was denkst du, wird Putin demnächst Deutschland angreifen?“ fragte mich eine Bekannte. Aber ich hatte andere Bedenken, für mich sah die Situation eher anders aus, nämlich wir Georgier:innen hatten (und haben immer noch) Angst, dass Russland uns als nächstes angreifen wird.

Die statistischen Daten sehen nach einem Jahr genauso brutal wie der Krieg selbst aus. Nach Angaben von Statista gab es mindestens 8.006 Todesopfer in der ukrainischen Zivilbevölkerung, darunter mindestens 487 Kinder. Zudem wurden aufgrund des Ukraine-Krieges bisher mindestens 13.287 verletzte Zivilist:innen, darunter 954 verletzte Kinder, vom OHCHR erfasst.

Der Krieg hat seine Spuren hinterlassen, und dies nicht nur in der Ukraine. Auch Europa hat mit den Konsequenzen wie erhöhten Energiepreisen zu kämpfen und auch in Georgien hat sich die Realität seitdem verändert. Seit dem Beginn des Krieges haben mehr als 1,2 Millionen Russ:innen die georgische Grenze überschritten und nach Angaben des Innenministeriums sind ungefähr 150.000 Menschen davon im Land geblieben, was 4 % von der ganzen georgischen Bevölkerung ausmacht. Die Folgen des Krieges sind im alltäglichen Leben in Tbilissi schon seit Monaten zu bemerken. Auf den Straßen hört man überwiegend die russische Sprache, Mieten haben sich verdreifacht, Lebensmittel und Medikamente sind teurer geworden und es ist kaum möglich, im Stadtzentrum und in der Umgebung ein normales Leben mit normalen Preisen und Verhältnissen zu führen. Erstsemestler oder andere Studierende, die für das Studium im Herbst in die Hauptstadt ziehen wollten, haben es zum Teil nicht mehr geschafft, eine Wohnung für einen angemessenen Preis zu mieten. Die zum größten Teil wohlhabenden Russ:innen, die nach Georgien gekommen und hier geblieben sind, haben das Leben für Einheimische erschwert. Die Gentrifizierung, die sich schon davor stark bemerkbar machte, wurde durch den Krieg noch stärker, wovon einerseits die Inhaber:innen der Immobilien bis heute profitieren und worunter andererseits die Bevölkerung leiden muss.

Das Leben der Russ:innen in Georgien hat nicht nur soziale, politische oder wirtschaftliche Folgen, die Auswirkung sieht man auch im gesellschaftlichen und kulturellen Leben. Mittlerweile integrierten sich die Vertreter des Nachbarlandes in Tbilissi ziemlich gut, sie bilden kleine Gruppen und leben wie eine kleine Subkultur in der Stadt, haben eigene Cafés und Kneipen eröffnet und somit für sich kleine Versammlungsräume erschaffen. An diesen Orten sieht man kaum Georgier:innen, weil man einerseits diese Orte nicht kennt, aber andererseits ist man dort auch nicht unbedingt willkommen, andersrum gibt es nämlich auch Versammlungsorte (jedoch sehr wenige), wo Russ:innen nicht willkommen sind.

Gegen das russische Regime

Schon lange vor Kriegsbeginn haben sich Expert:innen, Wissenschaftler:innen und Forscher:innen gefragt, wie man Regime wie das in Russland bekämpfen sollte und was man als unter Diktatur lebender Bürger dagegen tun könnte. Diese Fragen hörte man auch oft, als der Krieg begann. Doch die Antworten sind schwer zu finden. In Berlin wunderten sich viele, wieso die Bevölkerung in Russland nichts gegen das Regime unternimmt und nicht aktiv dagegen demonstriert.

Nach Wladimir Putins Antritt des Präsidentenamtes 2000 wurden alle Oppositionelle, Dissident:innen, oder kritische Journalist:innen, die versuchten, gegen das Regime zu kämpfen entweder entführt, vergiftet oder erschossen. Egal ob in Russland oder in anderen Ländern, das Putin-Regime hat seine Widersacher überall auf der Welt finden und angreifen können. Vor zwei Jahren wurde der Oppositionelle Alexej Navalny genau deswegen verhaftet. Nach dem Fehlversuch, ihn zu vergiften, überlegte sich das Regime, ihn durch verschiedene Methoden im Haft zu foltern. All dies geschah nur aufgrund seiner Aktivitäten als Politiker, der sich auf die Wahlen vorbereitete.

Als der Krieg in der Ukraine ausbrach, sind in Russland viele Menschen in verschiedenen Städten auf die Straße gegangen. Nach verschiedenen Angaben wurden zwischen Beginn der Invasion bis Mitte März 2022 mehr als 14.000 Demonstrant:innen festgenommen.

Desinformation und Fake News in Russland - Wie Putins Propagandamaschine arbeitet

Was man auch nicht vergessen sollte, ist, dass die breite Masse der russischen Bevölkerung oft und auch in diesem Fall nicht über die Geschehnisse informiert ist. Schon von Anfang an meinte Putin, dass es keinen Krieg zwischen den beiden Ländern gab, sondern nur eine „besondere Militäroperation“ womit er „seine Leute“ in der Ukraine beschützen will. Nach Putins neuem Gesetz dürfen die Medien Wörter wie „Krieg“, „Invasion“ oder „Angriff“ nicht mehr verwenden, sonst werden sie abgeschaltet.

Um etwas protestieren zu wollen, muss man auch informiert sein und um informiert zu sein, sollten die Medien frei arbeiten dürfen. Trotz der Proteste auf den Straßen, glauben viele bewusst oder unterbewusst in Russland an die Propaganda und haben kein Bedürfnis, im eigenen Land etwas zu verändern. Obwohl die westlichen Sanktionen einerseits langsam eine Wirkung zeigen (aber andererseits auch die Gas- und Ölindustrie immer noch gerettet wird), muss noch viel für den Wechsel des Regimes getan werden und dies sowohl von innen als auch von außen. Eines lässt sich nämlich deutlich beobachten: Solche Regime brauchen Druck, um sie zu schlagen.

Wie alle und alles auf dieser Welt, können auch die Politiker nicht ewig im Amt bleiben. Ein georgisches Sprichwort lautet: „Es sind die Zeiten die herrschen, nicht die Könige!”, und auch Putin wird nicht ewig an der Macht bleiben können. Je länger er die Macht behält und je länger er den Krieg führen wird, desto weniger Zeit, Kraft und Ressourcen bleiben für ihn sowohl als Präsidenten, als auch für den Krieg.

In ihrer Rede in der UNO-Vollversammlung sagte Annalena Baerbock einen bemerkenswerten Satz: „Wenn Russland aufhört zu kämpfen, ist dieser Krieg zu Ende. Wenn die Ukraine aufhört zu kämpfen, ist das das Ende der Ukraine”.

Nichtsdestotrotz schaffte die Ukraine ein Jahr, unter Russlands Angriff zu leben. Und sie lebt immer noch! Das Land hat nicht aufgegeben, was sicher vor einem Jahr für viele und vor allem für Putin unvorstellbar war. Dieses Land zu erobern, schien in Russlands Vorstellungen einfacher, als es sich in der Realität darstellte. Das Verhalten und der Mut der Ukrainer:innen macht uns in Georgien Hoffnung, da wir auch die russische Aggression kennen.

Ein Jahr später, am 24. Februar 2023, versammelten sich in Tbilissi vor dem Parlamentsgebäude Zehntausende Menschen, um nochmals ihre Unterstützung für die Ukraine zu zeigen. Zusammen mit geflüchteten Ukrainer:innen organisierten verschiedene Gruppen Kundgebungen in zahlreichen georgischen Städten. Auf Plakaten und Transparenten konnte man unterstützende Aussagen wie „Slava Ukraini“ lesen, der Fernsehturm wurde mit den Farben der ukrainischen Flagge beleuchtet. Georgien wird immer auf der Seite der Ukraine stehen.

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