Schlecht aufgewacht

Putin, Russland, Serbien Die Linke, Restjugoslawien und andere ihre blinden Flecken

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Ein einfaches Weltbild gibt dem Tag Struktur. Und solange es die große Blockkonfrontation gab war alles auch wunderbar einfach, wenn auch nicht ganz widerspruchsfrei. Man schlug sich auf die eine oder andere Seite und man fand jede Menge Argumente, mit denen sich die eigene Position untermauern ließ. Für die einen gab es das Arbeiter- und Bauernparadies jenseits der Mauer, das für wahren Humanismus stand und auf der anderen Seite die Verbrecher von der CIA, die Mossadegh oder Allende weggeputscht hatten. Und für die anderen war es genau anders herum. Nach ihrer Meinung sorgte die Freiheit der freien Marktwirtschaft für die sozialen Wohltaten, auch in den unteren Schichten, und die Verbrecher saßen im KGB und der Stasi und sperrten Dissidenten weg oder ließen auf Flüchtende schießen.

Sag mir, wo Du stehst?

Ja, es gab noch andere Meinungen, solange man in China noch Fahrrad fuhr und es egal war, ob dort der sprichwörtliche Sack Reis umfiel. Ein paar hatten auch ihre Freud’ an Wilhelm Reich und es soll sogar Leute gegeben haben, die das Land der Hoffnung in Albanien erblickten, ohne jemals dort gewesen zu sein. Wer jemals Radio Tirana mit seiner deutschsprachigen Sendung gehört hat, wie der Autor dieses Textes, glaubt bis heute alles!

Dumm war nur, dass selbst die abgebrühtesten Verfechter des freien Marktes bei den zyklisch wiederkehrenden Krisen ganz froh über die Interventionen des Staates waren, die sie im Falle von sozialen Programmen gerne als sozialistische Irrlehre ablehnten, solange sie dabei mit bezahlen mussten. Mit den sozialen Programmen hatten sie freilich kein Problem, wenn es darum ging, die Schäden ihrer Produktionsweise zu sozialisieren. Die Kosten von Arbeitslosigkeit, soziale Verwerfungen, Umweltzerstörung und vieles mehr ließen sich prima auf die Allgemeinheit abwälzen.

Aber auch die andere Seite hatte so ihre Widersprüche. Den Vietnamkrieg lehnte man ab. Aber die Musik des Soldatensenders AFN hörte man natürlich, genau wie man Levi´s oder einen Parka aus US-Beständen trug. Man verweigerte im Westen den Kriegsdienst und keine Stunde hätten man den Drill der NVA ertragen, von der Behandlung der Rekruten der Roten Armee ganz zu schweigen. Aber das Lied „Glaubst Du die Russen wollen Krieg“ oder „In fünfzehn Minuten sind die Russen auf dem Kurfürstendamm“ sang man in Ost und West. Denn irgendwie war nach dem großen Knall des zweiten Weltkriegs mit den Millionen Toten unvorstellbar, dass es noch einmal Krieg in Europa geben würde. Den Russen, die mit über 20 Millionen Toten den höchsten Blutzoll im zweiten Weltkrieg gezahlt hatten, traute man am wenigsten eine militärische Aggression zu.

Niemand hatte so auf dem Schirm, dass die Übungen und Manöver, die das Militär im Westen wie im Osten abhielt, wirklich ernst gemeint sein könnten. Niemand kam auf die Idee, dass Militärs überhaupt anders ticken und dass sich der militärisch-industrielle-Komplex in Ost und West sehr ähnlich waren. Sie dachten in der gleichen Logik und sie hatten die gleichen Interessen. Und dazu gehörte mit Sicherheit nicht die eigene Abschaffung. Das Gleichgewicht wechselseitiger Abschreckung verhinderte auch tatsächlich fast ein halbes Jahrhundert das Schlimmste. Aber eben nicht, weil die eine oder andere Seite von irgendeinem humanistischen Ideal geleitet wurde, und „die Russen“ oder „die Amerikaner“ irgendetwas nicht wollten, sondern weil klar war, dass in diesem Spiel niemand gewinnen konnte.

Nationalismus im Sozialismus

Erste Risse bekam das einfache Weltbild mit dem Zerfall der sozialistischen Länder. Nicht nur die UdSSR zerfiel in mehrere Nationalstaaten, sondern auch Jugoslawien. Für die einen war das nur eine „natürliche“ Konsequenz, dass nach dem Wegfall der autoritären kommunistischen Umklammerung die Nationen aus ihrem „Völkergefängnis“ ausbrachen. Und natürlich hatte eine Seite, Maßgeblich die USA, ein großes Interesse daran, die großen Staatsgebilde wie die UdSSR und Jugoslawien in eine Vielzahl kleiner, leicht zu beherrschender Staaten zu zerlegen.

Der Hebel, der sich dabei leicht ansetzen ließ, war die Unterdrückung der Minderheiten in eben diesen beiden Staaten.

Nach der typisch linken Lesart konnte es eine solche Unterdrückung in sozialistischen Ländern jedoch gar nicht geben. Denn nach linker Lesart waren alle Völker Brüder und Kriege entstanden letztlich aus Konflikten der Bourgeoisie in den jeweiligen Ländern. Dass die Völker ihre „Schlächtereien“ schnell beenden würden (Brecht), wenn erst die sozialistische Gesellschaft geschaffen war, gehörte zu den festen Überzeugungen jedes Linken, genau wie man Nationalismus als eine Ideologie der herrschenden Klasse identifiziert hatte und grundlegend ablehnte.

Für die Tatsache, dass kleine Völker und Minderheiten auch in den so genannten sozialistischen Staaten zum Teil brutal unterdrückt wurden, hatte man in linken Kreisen diesseits und jenseits der Mauer keinen Blick. Unterdrückte gab es in der so genannten „Dritten Welt“ und den antikolonialen Kampf unterstütze man natürlich. Aber dass es Esten, Letten, oder Albaner gab, war für das große linke Projekt letztlich eine Nebensache, wie die Kalmücken. Das konnte man einfach übergehen.

Der Zerfall Jugoslawiens

Den Zerfall Jugoslawiens nachzuzeichnen würde diesen Text sprengen. Festzuhalten ist aber, dass der Staat Jugoslawien eine Konstruktion war, die sich im kalten Krieg nach Bildung der Blockkonfrontation herausbilden konnte. Dem aus bäuerlichen Verhältnissen stammenden Josip Broz Tito war es gelungen, unter seinen Partisanen zum Marschall zu reüssieren. Er verstand es, sich mit klugen Beratern zu umgeben, die ethnischen Kräfte einzubinden und einen eigenen Staat zwischen der UdSSR Stalins und den USA zu etablieren. Die Sprache wurde dabei zu einem wichtigen Werkzeug integrativer Innenpolitik. Das Serbokroatische sollte von allen, unabhängig von ihren Muttersprachen, gelernt werden und zur gemeinsamen kulturellen Klammer der Nation werden. Zuhause durften darüber hinaus alle sprechen, was sie wollten oder ihre Folklore betreiben. Gerne präsentierte man die bunten Volkstanzgruppen den Touristen an der dalmatinischen Küste als pittoreske exotische Abendunterhaltung.

Das alles konnte aber nicht davon ablenken, dass diese Politik zu einer Dominanz der serbischen und kroatischen Volksgruppe führte. Die Slowenen, die innerhalb Jugoslawiens immerhin die wohlhabendste Region waren, hatten ebenfalls andere Interessen, als Serben und Kroaten. Die Albaner im Kosovo schließlich waren neben den Roma die unterdrückteste Minderheit. Ihre Muttersprache kam in der Schule nicht vor. Ihre Bildungs- und Aufstiegschancen waren entsprechend gering und ihre Provinz relativ ärmlich.

Die Unterdrückung der Albaner hatte man bei den Linken so wenig auf dem Schirm, wie die Unterdrückung der Letten. Man trank im Westen lieber solidarisch Kaffe der Sandinisten aus Nicaragua, als dass man sich gar mit den autochthonen Minoritäten in Europa ernsthaft beschäftigt hätte. Diese Minderheiten spielten, wie die neuen Migranten in Westeuropa höchstens die Rolle als exotische Folkloristen auf Tagungen und Festivals oder als Projektionsfläche von Freiheitskämpfen. Ernst hat man Minoritäten nie genommen. Weder beschäftigte man sich kritisch mit ihnen noch gestand man ihnen eigene Interessen zu. Dass etwa Kurden etwas von Sozialismus reden und bewaffnete Frauen an die Front schicken entbindet von jeder weitere Analyse, die schnell die Feudal- und Stammesstruktur dieses Volkes zeigen würde. Ein einfaches Weltbild – egal ob es ein Rechtes oder Linkes ist - möchte sich aber von komplizierten Sachverhalten nicht irritieren lassen.

Bis heute gibt es daher bei der Linken das Märchen von einem Land, welches „Rest-Jugoslawien“ heißt. Ein solches Land gab es jedoch nie! Das, was nach der Abspaltung der anderen Provinzen übrig blieb, war nichts anderes als Serbien. Denn schon zuvor hatten serbische Nationalisten den jugoslawischen Staatsapparat gekapert und mit ihrer Dominanz die Abspaltung der anderen befeuert!

Dass die Albaner, als relevante Minderheit im Kosovo nicht von einer serbische-nationalisitischen Regierung dominiert werden wollten, sondern ihren eigenen Staat haben wollten, stieß bei der Linken Westeuropas auf Unverständnis. Albaner, das waren doch rückständige muslimische Bergbewohner, die außer Drogen- und Waffenhandel nichts zur Kulturgeschichte Europas beigetragen hatten, so die Lesart. Dass die Albaner eines der ältesten Völker Europas waren ging ebenso unter, wie der Umstand, dass serbische Nationalisten nichts Geringeres als den Genozid an diesem Volk auf der Tagesordnung hatten.

Ob es nun einen Hufeisenplan tatsächlich gab, wie seinerzeit Rudolf Scharping behauptete, oder nicht, spielt dabei gar keine Rolle. Ohne Zweifel wäre das Schicksal der Albaner kein anderes gewesen, als das der Bosnier von Srebrenica. Und es gehört zu den wenigen Lichtblicken der NATO, dass sie dem Morden der serbischen Nationalisten ein Ende gesetzt hat!

Ursünde Kosovo

Wenn von Putin bis zur Linken jetzt immer noch die Anerkennung des Kosovo und die Bombardierung „Restjugoslawiens“ als Ursünde und Legitimation für alle weiteren Kriege und Konflikte angesehen wird, so zeugt dies von Ignoranz und Blindheit.

Serbien war und ist nicht mehr der freundliche Versuch eines Titos, eine sozialistische Gesellschaft aufzubauen. Und Putin repräsentiert nicht mehr die Sowjetunion, der man im besten Falle zu gute halten konnte, dass sie erstmals in der Geschichte der Menschheit den Versuch gewagt hatte, den Sozialismus aufzubauen. Serbien und Russland sind heute stattdessen zwei äußerst aggressive und expansionistische Nationalstaaten!

Solidarität kann es daher nur mit der Friedensbewegung und oppositionellen und linken Kräften innerhalb dieser Länder geben.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Saltadoros

Olaf Schäfer: Pädagoge, Musiker...

Saltadoros

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden