Flashes!

Die Dingsbums Unsere Kolumnistin reiste mit einem Strickpulli durch Zeit und Raum
Ausgabe 17/2017
Einmal zurück in die 1980er? Kein Problem
Einmal zurück in die 1980er? Kein Problem

Foto: imago/Werner Otto

Guten Tag, ich präsentiere nun eine Weltsensation: Sie werden erstmals erfahren, wie man in der Zeit reist. Aber es geht nur in der eigenen Lebenszeit. Es funktioniert immer: Man nehme ein Kleidungsstück aus dem Schrank, das man 20 oder 30 Jahre nicht mehr getragen hat und das zu einer vollkommen anderen Lebensphase gehört, mit anderen Freunden, anderen Orten, anderen Jobs, anderen Gefühlen. Prüfen und befühlen Sie das Kleidungsstück, und wenn Sie meinen, dass Sie es unmöglich jemals wieder tragen können, es aber auch nicht wegschmeißen wollen („Das war mal teuer!“ – „Damals hatten die Sachen noch Qualität!“), dann halten Sie das richtige Zeitreise-Equipment in Ihren Händen. Das Härteste kommt erst dann: Ziehen Sie das Ding an! Ja, einfach machen, Wissenschaft verlangt Opfer, auch wenn die Pelle quetscht. Gleich geht’s ab durch Zeit und Raum.

Ich machte diese Zeitreise erstmals mit einem Wollpullover aus meiner Jugend: 1980er Jahre, Peek & Cloppenburg, dunkelblau, mit rustikal wirkendem Fair-Isle-Muster. Damals, vor gut 30 Jahren, sah ich wirklich süß aus darin. Unschuldig, gegen Atomkraft, fürs Zelten. Der erste Zitronengrastee, die Zigarettenmarke Prince Denmark und erschreckend naive Reaktionen, wenn ich angebaggert wurde. Aber heute? Ich sehe dümmlich darin aus, wie unabgeholt – Typ Serienmörderin, die auf harmlos macht.

Trotzdem, irgendetwas ritt mich, ich zog das Ding an, fühlte mich zwar gleich im falschen Körper gefangen, musste aber los zu einer Verabredung in einem Café. Und da begann die Zeitreise: Den ganzen Tag über tauchten Menschen auf – aus dem Nichts, sozusagen –, die ich in den 1980ern noch gekannt und spätestens in den 1990ern aus den Augen verloren hatte. Und alle müssen gedacht haben: „Mensch, die Sarah trägt ja immer noch diesen alten, schrecklichen Fair-Isle-Pulli, hat sie sich denn gar nicht weiterentwickelt? Hoffentlich hatte ich niemals Sex mit ihr.“

Es war ein Albtraum. Ich saß im Café und wollte bestellen, aber schon der Kellner war ein Kumpel meines Exfreundes aus den 1980ern. Der sah damals schon so gut aus, dass ich vollkommen verunsichert war, und ich erkannte ihn nun gleich wieder und konnte nur stammeln: „Einen gebackenen Feta mit Knobisoße, bitte.“ Auch so ein 1980er-Jahre-Gericht, das ich in der Gegenwart von 2017 niemals-nie bestellen würde, heutzutage bestelle ich modern. Aber ich hatte ja den Fair-Isle-Pulli an. Ganz schlimme flashes!

Nun verrate ich Ihnen, wie man in die Zukunft reist: Sie kaufen sich eine Hose mit sehr hohem Elasthan-Anteil und ohne Gürtel. Gehen Sie raus. Ja, einfach anziehen und los. Vielleicht merken Sie anfangs nichts, aber nach einer Stunde wird die Hose rutschen. Das ist das Zeichen, dass Sie sich auf einer Zeitrolltreppe befinden. Plötzlich sind Ihre Sinne geschärft, und Sie spüren, dass es überall Menschen gibt, die ähnliche Verrenkungen machen wie Sie. Die Schamlosigkeit scheint wie ein Virus ausgebrochen zu sein. Alle paar Minuten ziehen sich überall Menschen die Hosen hoch. Das ist die Zukunft, da gibt es noch mehr Hightech-Materialien als jetzt schon – aber keine vernünftigen Hosen mehr, alles droht freigelegt zu werden, und der Sinn für die Schönheit der Welt ist zerstört.

Reisen Sie also schnell wieder zurück in die Gegenwart – und sperren Sie die Elasthanhose in den Schrank. In 20 Jahren können Sie sie wieder herausholen. Denn dann, das verspreche ich Ihnen, dann hat sie den Umkehrschub.

Sarah Khan schreibt als Die Dingsbums für den Freitag regelmäßig über die besonderen Dinge und Gegenstände des Alltags

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Geschrieben von

Sarah Khan

Jg.71, Autorin, Gespenster-Reporterin, Michael-Althen Preisträgerin, aufgewachsen zwischen Protestanten u Pakistanern in Hamburg

Sarah Khan

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