100 Milliarden für die Bundeswehr, 100 Euro für Hartz-IV-Familien

Aufrüstung Wenn es um höhere Ausgaben für Infrastruktur, Bildung oder Soziales ging, war nie genug Geld im Haushalt vorhanden. Jetzt zaubert die „Ampel“ 100 Milliarden für die Rüstungsindustrie aus dem Hut. Aber nur 100 Euro für Hartz-IV-Familien.

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Der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine beherrscht derzeit alle Schlagzeilen. Und das ist auch verständlich. Schließlich handelt es sich bei der Ukraine um einen souveränen Nationalstaat, der völkerrechtswidrig von einem anderen Staat angegriffen und besetzt wird.

Dass dieser kriegerische Akt Russlands jetzt aber vonseiten der Politik benutzt wird, um das Grundgesetz zu ändern, damit in der Folge die Rüstungsausgaben massiv erhöht werden können, ist ein weitaus umstrittenerer Fakt. Und das zurecht.

Schließlich gab es in der Vergangenheit immer wieder Vorbehalte gegen höhere Bundes-Ausgaben. Vor allem vonseiten der fiskalpolitisch sparsamen Parteien, wie sich CDU und FDP gerne selbst betitelten, die eine strikte Einhaltung der Schuldenbremse einforderten.

Mehr Gelder für die klammen Kommunen in Deutschland (134 Milliarden Euro Schulden)? Nein, Schuldenbremse.

Höhere Ausgaben, um die jährlich steigende Altersarmut in Deutschland zu stoppen? Nee, kein Geld.

Corona-Bonus und höhere Löhne für die schlecht bezahlten Pflegekräfte? Irgendwann bestimmt.

Immer, wenn es um materielle Verbesserungsvorschläge von Parteien wie SPD, Grünen oder Linkspartei ging, blockierten CDU und FDP.

Nun soll das keine Entschuldigung für die aktuelle Lage der Bundesregierung darstellen, denn wie sich momentan herauskristallisiert, scheint die Ampel-Koalition unter Kanzler Olaf Scholz (mit ebenjenen SPD und Grünen) einen unentdeckten Schatz ausgegraben zu haben, wie jetzt in einer Sondersitzung des Bundestages verkündet wurde.

Hey, wir haben plötzlich doch Geld gefunden. 100 Millionen Euro? Pah! 100 Milliarden!

Ja, richtig gelesen: Eine 1 mit 11 Nullen. 100 000 000 000. Unvorstellbar hoch.

Zum Vergleich: der deutsche Bundeshaushalt betrug 2021 etwa 500 Milliarden Euro.

Die Summe ist also in etwa 1/5 des gesamten deutschen Haushalts.

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100 Milliarden für die Rüstungsindustrie

Wer sich jetzt allerdings freute, endlich mal mehr Gelder für Klima-Investitionen (wie die Grünen im Wahlkampf forderten) oder höhere Hartz-IV-Sätze (SPD und Grüne gefordert) zur Verfügung zu haben, der wird schnell Ernüchterung verspüren.

Die 100 Milliarden Euro sind für die Bundeswehr bzw. das Rüstungsbudget der Bundesrepublik vorgesehen.

Nun ist es erst einmal nicht verkehrt, über eine bessere Ausstattung und Ausrüstung der Bundeswehr nachzudenken. Allerdings sollte nicht vergessen werden: Die CDU hat jahrelang das Verteidigungsministerium geleitet (2005-2021) und dabei die Bundeswehr bei der Ausrüstung „kaputt gespart“ (Eberhard Zorn, ehem. Generalinspekteur der Bundeswehr), während sie sich als Anwalt der Soldatinnen und Soldaten ausgab. Zudem verschwendete die Union eine Menge Geld im Verteidigungsministerium, wie zum Beispiel die Berateraffäre aufdeckte. Geld, das dann bei den Soldatinnen und Soldaten selbst fehlte.

Zudem bedeuten mehr Gelder nicht automatisch mehr Effizienz. Die Frage ist: Kommen die Gelder auch wirklich bei den Soldaten und deren Ausstattung an, oder verkommt das Jahrhundert-Programm nur zu einem lukrativen Deal für die deutsche Rüstungsindustrie?

Letzteres scheint wahrscheinlich, wenn man sich die vagen Punkte des Programms anschaut:

„Mehr Gelder in moderne Einsatzgeräte“ heißen nicht automatisch zielgerichtete Verbesserungen für die Soldatinnen und Soldaten. Ein Blick in die USA genügt, wo höhere Rüstungsausgaben letztlich nur ein Beschaffungsprogramm für die Rüstungsindustrie darstellen, die sich am Geld des Steuerzahlers bedient. Besonders die großen Rüstungskonzerne (Lockheed Martin, Boeing, General Dynamics) profitieren von den Milliarden-Geldern des US-Verteidigungsministeriums, die sie jedes Jahr erhalten, um dem Staat unnützes Militärmaterial zu verkaufen. Mehr Kampfflugzeuge (Eurofighter) und Panzer für die Bundeswehr bedeuten also nicht automatisch mehr Sicherheit, aber eben mehr Einnahmen für die Rüstungsindustrie.

Die vage Ankündigung der Bundesregierung, den Bundeshaushalt 2022 mit einem Sondervermögen von 100 Milliarden Euro auszustatten, sollte deshalb zu denken geben.

Außerdem sollte die Verhältnismäßigkeit des Volumens Probleme bereiten. 100 Milliarden. Direkt.

Das Timing der Ampel-Koalition war jedenfalls zuletzt nicht das Beste.

100 Euro für Hartz-IV-Familien!

Etwa zeitgleich mit Beginn des Ukraine-Russland-Konflikts sickerte nämlich eine andere Meldung der Bundesregierung durch:

Hilfen für Hartz-IV-Familien, vor allem durch die momentan steigende Inflation? Eine Einmalzahlung von 100 Euro! Eine 1 mit zwei Nullen. Es wirkt wie eine Farce.

Immerhin erhalten Kinder aus Familien, die Sozialleistungen beanspruchen (Hartz IV, Kindergeld, Wohnungsgeld), 20 Euro mehr pro Monat. Beginnend ab dem 1. Juli dieses Jahres.

Dies ist zwar ein kleiner Schritt in die richtige Richtung, dennoch enttäuscht das Programm ansonsten auf allen Ebenen. 100 Euro Einmalzahlung? Im Wahlkampf versprachen Grüne und SPD, sowohl Hartz-IV hinter sich zu lassen als auch deutlich höhere Regelbezüge einzuführen.

Der derzeitige Hartz-IV-Regelsatz von 449 Euro ist um bis zu 50 Prozent zu niedrig, um den Beziehern einen lebenswürdigen Unterhalt zu gewährleisten. Dies zeigte der Paritätische Gesamtverband im Januar auf.

Zudem versprachen die Grünen im Bundestagswahl-Wahlkampf 2021 eine Kindergrundsicherung, da in Deutschland jedes fünfte Kind in Armut aufwachsen muss.

Davon ist bisher nichts zu sehen.

Der Einwand von SPD und Grünen, dass die FDP als Koalitionspartner Sozialreformen blockiert, sollte stutzig machen. Sowohl Grüne als auch SPD hätten bei den Koalitionsverhandlungen Druck auf die FDP ausüben können, mehr Geld für Sozialleistungen freizugeben. Sie hatten beide bei der Bundestagswahl mehr Stimmen als die FDP geholt. Zudem ist die FDP selbst widersprüchlich in ihrem politischen Verhalten:

100 Milliarden Euro mehr für die eigenen Bürgerinnen und Bürger und eine Verbesserung der materiellen Verhältnisse? Nein, kein Geld, sagte Finanzminister Christian Lindner.

100 Milliarden Euro mehr für die Bundeswehr? Wir haben einen Schatz gefunden und ausgegraben, sagt Christian Lindner. Sondervermögen. Na dann.

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Fazit: Die Schuldenbremse gehört abgeschafft

Es soll nicht unerwähnt bleiben, dass die Abschaffung der EEG-Umlage ab dem Sommer definitiv eine (kleine) Entlastung bei den Energiekosten darstellen wird, aber mit dem jetzigen Konflikt mit Russland dürfte sich auch dieser kleine Puffer mittelfristig als Makulatur erweisen.

Die Zeit ist reif für eine deutliche Entlastung bei den Energiekosten, sowohl bei Hartz-IV-Empfängern als auch flächendeckend bei der Mittelschicht und Geringverdienern.

Zudem muss die Ampel endlich offen kommunizieren und erklären, warum sie plötzlich Unmengen an Geldern freischaufeln kann, wenn es um höhere Rüstungsausgaben geht, sie für Soziales, Bildung oder Infrastruktur aber keine ausreichenden Mittel mehr zur Verfügung hat bzw. hatte.

Das neoliberale Mantra des ausgeglichenen Haushalts und der Schuldenbremse, die durch Mithilfe der SPD 2009 im Grundgesetz verankert wurde, gehört endlich in die Vergangenheit verwiesen.

Die Schuldenbremse blockiert Investitionen in die Zukunft des Landes, das sollte spätestens jetzt jedem politischen Entscheidungsträger klar sein.

Eine Aufweichung eben dieser Zukunftsbremse ist nicht genug, sie muss wieder ganz abgeschafft werden.

Deutschland hatte 2000-2013 als eine der führenden Industrienationen der Welt und als größte Volkswirtschaft Europas eine der niedrigsten Investitionsquoten Europas und lag im unteren Drittel.

Der Investitionsstau der Schulen bundesweit wird auf über 40 Milliarden Euro geschätzt. Deutschland möchte bis 2045 seine Energieerzeugung klimaneutral gestalten. All dies erfordert Investitionen des Bundes. Also der derzeitigen Bundesregierung.

Wenn die Ampel 100 Milliarden Euro fürs Militär finden kann, dann kann sie dasselbe auch für die Verbesserung der Lebensverhältnisse der eigenen Bürgerinnen und Bürger im Land.

Die entscheidende Frage bleibt aber: Möchte sie dies überhaupt?

Spätestens, wenn die Schlagzeilen um Russland und die Ukraine weniger werden, erhalten wir darauf eine Antwort.

Der us-amerikanische Rapper Tupac wusste bereits in den 90er Jahren, welche Prioritäten die Politik hatte:

They got money for wars, but they can’t feed the poor.“

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Empfehlung des Autors zum Weiterlesen:

Fabio de Masi 2019 in der WiWO über die Schuldenbremse und deren Probleme:

https://www.wiwo.de/politik/deutschland/schuldenbremse-deutschland-muss-investieren-statt-bremsen/25268524.html

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