Wieder einmal betätigen sich die Hardliner der „Rheinischen Post“ als eifrige Beweihräucherer des Afghanistan-Einsatzes. Dabei ignorieren sie zwei Tatsachen – nämlich die, dass selbst Experten diesen Krieg für verloren halten und fast 70% der Deutschen den ISAF-Einsatz ablehnen. Dennoch: Der eigens nach Kabul entsandte Helmut Michaelis muss sich lohnen – ganz gleich, ob das, was er dort recherchiert repräsentativ, sprich: irgendwie überzeugend ist oder "embedded" aus den Gefälligkeitsquellen der Brandstifter stammt. Heute begegnet uns ein Interview mit David Petraeus, dem ISAF-Kommandeur, der uniformiert und ordensgeschmückt aus dem Blatt grinst (nachrichten.rp-online.de/politik/petraeus-druck-auf-taliban-wirkt-1.314206.). Damit nicht genug. Die RP mühte sich sogar, die einzelnen brustbildenden Abzeichen und Insignien detailliert zu erklären – sicher, um die Glaubwürdigkeit des Interviewpartners zu befestigen. Der umgebende Text aber sagt nichts, nichts über die wirkliche Lage am Hindukusch. Diese Feststellung mag angesichts fehlender eigener Recherchen anmaßend wirken. Doch das Gegenteil ist der Fall. Denn wenn wie hier ausschließlich von Fortschritten bei der Intervention, vom erfolgreichen Aufbau afghanischer Sicherheitskräfte und realen Chancen für die Übergabe der Macht an Karsai & Co gesprochen wird, spiegelt das nicht nur Wunschdenken – es ist schlichtweg falsch. Und wenn Michaelis zudem die Frage stellt, ob eine Pflanzenkrankheit bei der Bekämpfung des Drogenanbaus helfe, hat man die Leserei doppelt satt. Setzen sie Amis Mikroben ein, oder fault’s von selbst? fragt man sich. Petraeus klärt das nicht auf, meint nur, die ISAF habe kein Rauschgift-Mandat. Das andere aber, das zur Transition (der Machtübergabe an die afghanischen Galionsfiguren) nehme er verdammt ernst, und es reiche bis (mindestens) 2014.
Afghanistan wird auch in der „ZEIT“ zerkocht. Da gibt es in der letzten Dezemberausgabe eine Rezension zu „War“ – dem gerade übersetzten Buch von Sebastian Junger. Junger, sehe ich und denke: Jünger. Und tatsächlich: Der embedded US- reporterbeschwört neue Stahlgewitter. Folgt man den Auslegungen des „ZEIT“-Journalisten (www.zeit.de/2011/01/L-B-Jungers), dann sträuben sich einem die Haare:
„War (so heißt es im Text) ist ein bedrückendes Buch über den Krieg oder über das Kämpfen im Krieg, und gleichzeitig ist das Buch – so sieht es für mich aus – Jungers ganz persönliches Heldenepos, was wahrscheinlich damit zusammenhängt, dass er in Afghanistan zwei überwältigende Erfahrungen gemacht hat, die sich schon in den Titeln der drei Teile andeuten, aus denen das Buch besteht: Angst – Töten – Liebe. Die Soldaten, wie Junger sie beschreibt, überwinden ihre Angst, und das Kämpfen wird für sie zu etwas, ohne das sie fast nicht mehr leben können. Das sollte einen nicht überraschen, schließlich sind sie Profis, aber es überrascht mich trotzdem. An einer zentralen Stelle schreibt Junger, es sei sinnlos, so zu tun, als sei der Krieg nicht auch aufregend, wahnsinnig aufregend sogar: »Krieg muss als schlecht gelten, denn im Krieg geschehen zweifellos schlechte Dinge, aber ein Neunzehnjähriger am Abzug eines .50 Kaliber Maschinengewehrs während eines Feuergefechts, das alle heil überstehen, erlebt den Krieg als einen so extremen Nervenkitzel, wie ihn sich niemand vorstellen kann. In mancher Hinsicht verschaffen zwanzig Minuten Kampfgeschehen mehr Lebensintensität, als man sie während eines Daseins zusammenkratzen kann, das mit anderem beschäftigt ist.«
So ein militaristischer Unflat macht mich sprachlos. Irgendwie aber scheint er in die Zeit zu passen. Die Bundeswehrreform steht an, und da muss sich niemand über politischen und Medien-Geleitschutz wundern. Tacheles reden will man dennoch nicht. Wer schon spricht von sanktioniertem Mord, wer schon stellt fest, dass deutsche Rekruten künftig kein Wahlrecht haben. Einmal in der Truppe, müssen sie mitziehen. Überall hin und ohne Abstriche. Ganz gleich, ob es sich um humanitäre Aktionen oder aber um schnöde Rangeleien um ausgehende Rohstoffe handelt. Dass zu Guttenberg bei dieser Sachlage auch weiterhin den Bürger in Uniform verkauft, ist hanebüchen.
Und dann – wiederum aus der „ZEIT“ –ganz frisch die Botschaft: Siegen lernen – DieMilitäreinsätze in Afghanistan und im Irak werden nach dem Vorbild europäischer Kolonialkriege geführt („DIEZEIT“, 5. Januar 2010). In einer Sprache zwischen betroffen und süffisant macht sich Stephan Malinowski über einen Strategietransfer her, der seinesgleichen sucht. Worum geht es. Es geht um den „Erfahrungsschatz“, den Raubritter aller Couleur (bei der Unterwerfung und Ausbeutung fremder Länder und Völker) gesammelt haben. Malinowski berichtet darüber, dass US-Geheimdienste bereits gegen Ende des Algerienkrieges französische Militärstrategen – darunter Fachleute für Folter – rekrutieren konnten, dass die Thesen der „großen Theoretiker für Aufstandsbekämpfung“ in die Standardwerke der US-Army und damit in die Eroberungskonzepte für Vietnam, Irak und Afghanistan eingingen und der Versuch, zumindest Teile der Zivilbevölkerung (der unterjochten Länder) zu „gewinnen“ weniger humanitär als strategisch motiviert sei. Malinowskis Recherche mündet schließlich in schierer Unerträglichkeit: „ ... Die Zukunft der westlichen Kriegsführung im Zeughaus spätkolonialer Kriege zu suchen, mutet daher nur auf den ersten Blick als historische Ironie an. Von den für die Öffentlichkeit westlicher Staaten unerträglichen Elementen entschlackt (zivile Opferzahlen von mehreren Hunderttausend, Vertreibung ganzer Bevölkerungsteile, Lagersysteme), erscheint die Kopplung von vergleichsweise dosiertem Gewalteinsatz und „Entwicklungsarbeit“ eher zukunftsträchtig denn vorgestrig. Diese Politik als eine gegen „Terroristen“ gerichtete bewaffnete Aufbauhilfe darzustellen, macht den Krieg auch für postheroische Gesellschaften akzeptabel ...“
Zynischer, menschenverachtender geht’s nicht. Was der Autor hier an stinkender Masse seziert, ist beispiellos. Doch nicht minder verwerflich ist der Ton der Aufbereitung. Mich schaudert’s!
Dr. Ulrich Scharfenorth, Ratingen
Kommentare 17
Danke für den Artikel.Mich schaudert's ebenso.
Sehr geehrter Herr Scharfenorth,
ich will mit Ihnen jetzt nicht über Sinn und Unsinn des Afghanistan-Krieges diskutieren, über den man sicherlich geteilter Meinung sein kann (wobei ich den Eindruck habe, dass Sie sich nicht wirklich mit der anderen Meinung sachlich auseinandersetzen wollen).
Ich möchte mich darauf beschränken, zwei sachliche Fehler in Ihren Ausführungen zu korrigieren.
1. Rekruten (im Sinne von Grundwehrdienstleistende) haben schon heute kein "Wahlrecht" - sie gehen nämlich nicht in den Einsatz. Nach Afghanistan oder in die anderen Einsatzgebiete gehen schon seit jeher ausschließlich freiwillig Wehrdienstleistende sowie Zeit- und Berufssoldaten.
2. Ebenfalls schon seit jeher gibt es für jeden Soldaten, also auch für Zeit- und Berufssoldaten, die Möglichkeit, einen Antrag auf Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen im Sinne des Grundgesetzes zu stellen, und zwar zu jeder Zeit. Dies bewirkt, dass der Betreffende sofort vom Dienst mit der Waffe und damit von Einsätzen freigestellt wird.
Dem Staatsbürger in Uniform tut die Bundeswehrreform keinen Abbruch.
Was mich zusätzlich irritiert, ist das allgemeine Achselzucken, auch in meinem persönlichen Umfeld, was die Einführung einer Berufsarmee anbelangt ("Wieso, waren doch eh schon die meisten Berufssoldaten!" oder "Da hat der Markus aber Glück gehabt und zum Zivildienst muss er auch nicht!"). Ich weiß nicht, wann das Verständnis für die ursprüngliche Vorstellung des "Staatsbürgers iin Uniform" abhanden gekommen ist.
@Wikinger333 um 19.03 Uhr
Diese Informationen waren mir bis gerade eben unbekannt.
Aber vielleicht doch noch eine Frage, Herr Scharfenorth. Hat Sie die widerliche Aura des Militarismus zu Ihrer Zeit als NVA Soldat (ich gehe einfach mal davon aus, dass Sie dies waren und wahrscheinlich auch länger als die Pflichtzeit, weil Genosse Erich Sie wohl sonst nicht zum Dr.Ing hätte reifen lassen), auch schon so abgestoßen wie heute oder haben Sie zu den militärischen Sauereien des Bruderlandes UdSSR tüchtig Beifall geklatscht?
Früher hat es mich ja irritiert, wie man als Linker einen derartigen Eingriff in die Grundrechte wie die Wehrpflicht legitimieren kann. Nun, wo selbst die CDU eingesehen hat, dass es nicht mehr geht, jammern einige den Zwangsdiensten immer noch hinterher.
Aber inzwischen wundert es mich nicht mehr. Es ist die allgemeine Verachtung des Individuums und die Anbetung des Kollektivs.
@ zephyr
Diese Reaktionen habe ich in meinem Umfeld auch festgestellt. Ich glaube, dass die schrittweise Reduzierung der Wehrdienstzeit in den vergangenen Jahren, damit verbunden der Umstand, dass immer weniger tatsächlich Wehrdienst geleistet haben, diese schleichende Entfremdung bewirkt oder wenigstens begünstigt haben. Das war auch stets ein Argument der Wehrpflichtbefürworter.
Im Ergebnis wird dies wohl dazu führen, dass die breite Masse der Bevölkerung sich noch weniger für Verteidigungspolitik interessiert, als das bisher der Fall ist. Schon heute ist zwar die Mehrheit der Deutschen gegen den Krieg in Afghanistan; für die Wahlentscheidung war dies aber offensichtlich nicht ausschlaggebend. Ich behaupte aber nicht, dass diese bedauernswerte Entwicklung Grund genug ist, die Wehrpflicht beizubehalten.
@Scharfenorth
Ja.
Diese Typen würden für den Rohstoffeklau alles tun.
Das ist bekannt. Inklusive Leichen und Kinder Ficken.
"1. Rekruten (im Sinne von Grundwehrdienstleistende) haben schon heute kein "Wahlrecht" - sie gehen nämlich nicht in den Einsatz. Nach Afghanistan oder in die anderen Einsatzgebiete gehen schon seit jeher ausschließlich freiwillig Wehrdienstleistende sowie Zeit- und Berufssoldaten. "
"wobei ich den Eindruck habe, dass Sie sich nicht wirklich mit der anderen Meinung sachlich auseinandersetzen wollen" - dann war diese Formulierung wohl eigentlich auf Dich selbst gemünzt, ja?
PS: Übrigens, um in der DDR die absolut priviligierte Stellung eines Dipl.ing.s erringen zu können, musste man dem Genossen Erich auch die Skalpe von mindestens drei Republikflüchtlingen persönlich überreicht haben.
Es ist wirklich schade. Nach Ihrer ersten - für meine Begriffe richtigen Bemerkung - griffen Sie zur Polemik. Auf einem Feld, von dem Sie offenbar nichts, aber auch gar nichts verstehen. Schon die Unterstellung, ich könne dem Militarismus im Osten Beifall geklatscht haben, ist eine Zumutung. Und die Annahme, dass Promotionen grundsätzlich an längere NVA-Dienste gekoppelt waren, ist gleichfalls Unsinn ... welchen Blödmedien sitzen Sie eigentlich auf. Wenn Sie Interesse an der Wahrheit haben, dann schauen Sie mal in mein Buch "Aus der Reihe getanzt" (www.amazon.de/Aus-Reihe-getanzt-Ulrich-Scharfenorth/dp/3937507272.) Dort finden Sie die Erzählung "ausgemustert". Sie schildert meine Befindlichkeiten/Reaktionen auf die Einberufung und die mir aufgedrückte Grenzdienstausbildung (1967). Sie werden es nicht glauben, aber ich schmiss das Zeug hin und ... landete in der Nervenklinik. Eine Vita jenseits ihrer Klischees.
Sehr geehrter Herr Scharfenorth,
Sie werden es mir nachsehen, dass ich nicht die Vita jedes einzelnen Bloggers in der FC kennen kann. Ich kann und will Ihrem Lebensweg auch nicht kommentieren; Sie können sich aber sicher sein, dass ich genügend Menschen und ihre DDR-Biographien persönlich kenne (vom Hohenschönhausen - Insassen bis zum NVA Stabsoffizier), um mir ein eigenes Bild zu machen; gegründet auf mehr als eine (nämlich Ihre) Vita.
Es ist ein sehr beliebtes Stilmittel in der FC, Meinungen und Erfahrungen anderer als dumm, unsinnig oder klischeehaft zu bezeichnen oder mit reiner Polemik und inhaltsleer zu posten (zum Beispiel die Antwort auf meinen ersten Kommentar von "luggi" von 21:38). Tatsächlich entlarvt dies nur, dass hinter den meist wortreich vorgebrachten Statements wenig mehr ist als heiße Luft.
"Wenn Sie Interesse an der Wahrheit haben, dann schauen Sie mal in mein Buch "Aus der Reihe getanzt"
Sie meinen damit sicherlich ihre Wahrheit; genau wie Sie in Ihrem Blog ihre Wahrheit als die allumfassend richtige darstellen und Ihre Vita als die in der DDR allumfassend repräsentative. Wundern Sie sich also nicht, wenn Sie aufgrund anderer Erfahrungen Gegenwind kriegen.
Boahhh, luggi, jetzt haben Sie es mir aber ordentlich gegeben. Ihrer perfekten Analyse, der scharfsinnigen Schlussfolgerung und präzisen Formulierung kann ich nichts mehr entgegensetzen. Ich gebe mich geschlagen.
>>Wehrdienstleistende
danke für die Aufklärung, Wikinger. Ich dachte, das wären Kriegdienstleistende...
>>Petraeus klärt das nicht auf, meint nur, die ISAF habe kein Rauschgift-Mandat.
Das stimmt sicher. Die haben wohl eher ein Lithium
„Rheinische Pest“ klingt inhaltlich so ähnlich wie „Rheinmetall“
Korrektur:
„Rheinische Pest“
=
„Rheinische Post“
Aber Mr. Wikinger, warum diese Aufregung und nun wieder die Beschuldigung, ich würde meine Meinung für die allein gültige halten und meinen Lebenslauf für repräsentativ. Das ist doch überhaupt nicht der Fall. Ich spreche doch nur davon, dass der Dr.-Ing. nicht grundsätzlich des Vorlaufs einer verlängerten NVA-Zeit bedurfte. Und ich verwahre mich gegen ihre Vorverurteilung, die sie jetzt mit dem Bemerken, sich nicht um jede BLOGGER-Biographie kümmern zu können, zu entkräften suchen. Und irgendwie leuchtet mir gar nicht ein, dass sie mit vielen unterschiedlich gearteten Ex-DDR-Bürgern gesprochen haben könnten. Ihr Bild von diesem verblassten Land wäre zweifellos ein anderes. Hier hat man doch den Eindruck das sie ein Wiederbeter der in der westdeutschen Boulevardpresse verbreitetet 1/5-Wirklichkeit der DDR sind. Über 4/5 ist noch nie geschrieben worden, weil unspektakulär und nicht geegnet, die gnadenlose Abwicklung unseres Landes durch Treuhand und Konzerne zu begründen.
Ich bin trotz dieser Worte alles andere als ein Nostalgiker - möchte eigentlich nur, dass sich Westdeutsche etwas intensiver mit dem Ganzen beschäftigen, was leider von den meisten mit dem Hinweis, das Untergeagngenes nicht mehr relevant sei, abgetan wird. Diese Leute verstehen dann auch gar nicht, warum die Linke im Osten so stark ist ...können sie ja auch nicht. Mehr dazu in "Zwanzig Jahre deutsche Zwei-Heit ?" www.stoerfall-zukunft.de/blog?start=7
Abschließend nur soviel: Ich bin ein erklärter Gegner des Millitarismus - ganz gleich wo er im Angriffs-, Missionierungs- oder Rohstoffsicherungsmodus daherkommt. Ich lehne die Verherrlichung des Millitärischen und die Botschaft, dass der mensch im Krieg gestählt würde, auf Entschiedenste ab. Das Millitär akzeptiere ich ausschließlich in Auftrag der Landesverteidigung. Am Hindukusch wird unsere Freiheit weder bedroht, noch müssen wir sie dort verteidigen. Wir sind die Dummpudel derer, die sich Öl und Rohstoffe unter den Nagel reißen möchten, und mit jedem von unseren Soldaten getöteten Afghanen beschwören wir Anschläge in Deutschland. Aber auch dazu habe ich schon seitenlang in den verschiedensten Foren referiert.