Warum man SPD und Grünen immer weniger vertrauen kann

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Die Frankfurt-Proteste sind wie im Flug vergangen. Sie verliefen friedlich, fröhlich und zeigten dennoch überaus deutlich, wogegen man lautstark anging. Sie waren eindeutig ein großer Erfolg – auch deshalb, weil das Ganze ohne Gewalt ablief. Obwohl so die Totschlag-Propaganda von Bild ad absurdum geführt wurde, kommt im Nachgang Nüchternheit auf. Wo – so fragt man – standen die SPD-Mitglieder, wo die Grünen als gegen die verbrecherischen Umtriebe der Banken demonstriert wurde. Sie hingen wohl im Fraktionszwang. Was blieb, waren ein paar Zeitungsartikel (STERN, Neues Deutschland, Freitag etc.),Sekunden-Beiträge in der Tagesschau und ein paar Seitenhiebe bei Monitor. Jawohl, fünf Tage nachdem Heiner Geißlers Interview erschienen war, gab es auch kurze Schelte von Ulrich Beck. Der schimpfte ein wenig auf die bösen Spekulanten. Und glaubte dann auch, in Frankfurt, Athen und Madrid so etwa wie einvorrevolutionären Brodeln vernommen zu haben – etwas, dass Europa gefährden könnte. Wirklich konkret - und damit interessant - wurde er nicht www.wdr.de/tv/monitor/sendungen/2012/0524/euro.php5. Sehr viel weiser ist auch das nicht, was Ulrich Beck, gemeinsam mit Daniel Cohn-Bendit, in der „ZEIT“ abließ. Selbst wenn beide richtig formulierten, dass Europa von unten entstehen, wachsen und gedeihen müsse, griffen sie mit ihren (illusionären) Hauptvorschlag – einem freiwilligen Europäischen Jahr für jeden www.zeit.de/2012/19/Europa-Manifest – wieder einmal zu kurz. Träume allein bringen hier nicht weiter. Da muss schon ein radikaleres Umdenken her, vor allem aber eine strikte Reform der Finanzmärkte.

Geißler ging ein ganzes Stück weiter. Er zog neuerlich gegen die Agenda 2010 zu Felde, forderte die Finanztransaktionssteuer, das Verbot toxischer Papiere und Wetten auf Nahrungs-Rohstoffe, rief zur Zerschlagung systemrelevanter Banken auf und … und … und. Geißler – so kann man zu Recht annehmen – läuft nach seinem fragwürdigen Engagement in Stuttgart wieder auf besserem Gleis. Fragt sich, wie viele Bürger eben dies im Neuen Deutschland – dem Blatt der Linken - nachvollziehen wollten www.neues-deutschland.de/artikel/227197.die-menschen-begehren-auf-und-das-ist-auch-gut-so.html. Apropos Linke, ach ... dazu sag ich gar nichts mehr.

So richtig in Wut kam ich vor ein paar Tagen - als ich hörte, dass Trittin und Gabriel nun auch fiskalpaktieren wollen. Wenn es denn zusätzliche Wachstumsimpulse gäbe. Und die Schulden der Problemländerim Rahmen eines Schulden-Tilgungsfonds abgetragen werden könnten www.sachverstaendigenrat-wirtschaft.de/fileadmin/dateiablage/download/gutachten/ga11_iii.pdf. Letzteren hat der Sachverständigenrat aus dem Hut gezaubert, wohl aber bis heute weder bei Merkel noch bei Schäuble absegnen lassen. Außerdem wird immer häufiger von so genannten Projekt-Bonds gesprochen. Das sollen gemeinsam von der EU herausgegebene Staatsanleihen sein, die große Infrastrukturvorhaben wie transnationale Bahnlinien oder Solarparks finanzieren. Mit den von Frankreich, Italien und anderen Ländern geforderten Eurobonds haben Projektbond allerdings nichts zu tun – wenngleich sie immer mal als kleiner Kompromiss in diese Richtung gedeutet werden.

Das einzige, worauf sich Kanzlerin und Co. derzeit (impulsmäßig) ansprechen lassen, ist die Aufstockung des Kapitals der Europäischen Investitionsbank (EIB). Gleichzeitig ist von 80 bislang nicht verwendeten Milliarden aus dem EU-Strukturfond die Rede www.freitag.de/politik/1220-die-hartz-iv-strategie-zieht-in-europa-nicht-mehr. Doch selbst diese Tropfen auf den heißen Stein dürften keineswegs problemlos zu Gunsten der bedrohten Südländer in Stellung gebracht werden. Welcher der Einzahler würde schon wortlos auf die Rückflüsse verzichten wollen? Wo man auch hinschaut: Die Bedürftigen lechzen nach Hilfe und Mitteln, und die wirtschaftlich Starken sind noch immer nicht geneigt, etwas abzugeben. So sieht das Europa von heute aus.

Das Münchner Ifo-Institut hat errechnet, dass Deutschland die Einführung von Euro-Bonds teuer käme. Die Zinsen für neu aufgenommenes Kapital stiegen um 2,3%, was einer jährlichen Mehrbelastung von 47 Milliarden Euro (etwa 13% des Bundeshaushaltes) gleichkäme nachrichten.rp-online.de/titelseite/eu-staaten-streiten-ueber-eurobonds-1.2840731. Das sich mit einer solchen Zahl – sollte sie denn stimmen – niemand sofort vor den Wähler traut, ist nachvollziehbar. Wenngleich ein Paradigmenwechsel auf der Einnahmen-Seite das Problem schnell lösen könnte (Finanztransaktionssteuer + Vermögenssteuer).

Es ist eine Schande, dass sich Gabriel und Trittin – obwohl sie ständig auf die o. a. Steuern drängen -erneut wegducken und jetzt sogar forciert bereits scheinen, die schwarz-gelbe Karre mit zu befördern. Die Angst vor dem gewaltigen Rad „Rettung“ muss gleichfalls gewaltig sein. Hier eine Fraktion aufzumachen, die für Resteuropa einstehen, sprich: Opfer bringen und Eurobonds zulassen will, scheint mit Blick auf 2013 tödlich. Wer nicht erklären kann oder will, was Europa ausmachen und zerstören könnte, wer das Zutrauen zur eigenen Kraft verspielt hat, wer nicht wirklich weiß, was läuft, muss sich offenbar dem politischen Gegner ergeben – selbst wenn der mit Vollgas in die falsche Richtung jagt. Nur so – scheint es – entgeht er dem (eigentlich wichtigen, aber hier wohl gefährlichen) Alleinstellungsmerkmal und … dem zuweilen „tückischen“ Abstimmungsgebaren eines Volkes, das immer mal zerstört, was BILD für zerstörenswert hält.

Letztlich kann auch die Begründung der Konservativen, dass es den Erfindern von ESM und Fiskalpakt zumindest in Deutschland gelingen müsste, beide Pakete durchzudrücken, für die Opposition nicht gelten.

Über eines sollten wir uns am Ende dieses Textes klar sein: Nur Euro-Bond – gekoppelt mit einer solidarischen Aufbauhilfe – könnten Europa noch retten (Vorschläge dazu unter www.stoerfall-zukunft.de/blog/358-die-schuldenkrise-und-wie-wir-ihr-entgegentreten-koennen-update-2) . Wer Euro-Bonds allerdings für die letzte Option hält, ist ein Narr. Denn die möglichen gemeinsamen Zinsen für Staatsanleihen, sprich: die zu erwartenden Lasten für die wirtschaftlich starken Länder, wachsen täglich.

Das alles gilt naturgemäß für altes Denken, für den Fall nämlich, dass wir Schulden ausnahmslos als legitim anerkennen. Das alles gilt für Finanzmärkte, denen man gestattet so zu bleiben, wie sie sind. Von beidem aber sind viele Menschen in unserer Gesellschaft inzwischen weit abgerückt.

Dr. Ulrich Scharfenorth, Ratingen

www.stoerfall-zukunft.de

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Geschrieben von

Scharfenorth

Bis 1990 fuer die DDR-Stahlindustrie tätig. Danach Journalist/ Autor in Duesseldorf. 2008: "Stoerfall Zukunft"; 2011: "abgebloggt" und Weiteres

https://de.wikipedia.org/wiki/Ulrich_Scharfenorth

Scharfenorth