Genug ist genug: Mein Gewissen und ich

Kommune Obwohl ich die Leistungsgesellschaft ablehne, hat sie mein Denken geprägt. Dieses Denken zu durchbrechen, ist ein täglicher Kampf. Und den nehme ich jetzt auf.

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Viel öfter als mir lieb ist, muss ich mich mit ihm auseinandersetzen. Dabei wäre es wohl in vielen Fällen gar nicht notwendig. Doch ständig meldet es sich zu Wort und versucht - oft mit Erfolg - mir einzureden, dass ich mehr hätte leisten können, sollen, müssen. Ich spreche von meinem schlechten Gewissen. Vielleicht wäre es gut, ihm mal ein wenig auf die Pelle zu rücken. Was steckt dahinter, wenn ich mir mal wieder den Kopf zerbreche über meine Vorhaben oder über Dinge, die ich eigentlich schon erledigt habe? Was passiert da mit mir, wenn ich das Gefühl entwickle, das Ergebnis sei nicht zufriedenstellend? Und warum tue ich bestimmte Dinge, obwohl ich sie vielleicht gar nicht tun will?

Eine Mitbewohnerin hatte mich bereits vorgewarnt: In einer Kommune würde ich mit meinen eigenen Problemen intensiver konfrontiert als bisher. Natürlich sollte sie Recht behalten. Davon konnte ich mich zuletzt bei unserem Kommune-Bautag überzeugen. Nach dem Frühstück verteilten wir die vorher gesammelten Aufgaben untereinander. Die einen widmeten sich der Unordnung in der Werkstatt, die anderen unterzogen unsere Großküche einer Intensivreinigung. Fenster und Türen wurden gestrichen, Haken und Lampen angebracht, der Durchgangsraum von Grund auf umgestaltet. Jede*r war auf einer Baustelle aktiv, bis in den späten Nachmittag.

Apfelkuchen und Applaus

Beim gemeinsamen Rundgang zeigten wir uns später, was wir geschafft hatten und zur Belohnung gab es eine Menge Applaus - anschließend auch Kaffee und selbst gebackenen Apfelkuchen. Wir konnten zwar nicht alle Arbeiten fertig stellen, waren mit unseren Vorhaben aber ein gutes Stück vorangekommen. Den Rest wollen wir in den nächsten Tagen und Wochen in Angriff nehmen.

Ich hatte nach diesem Tag erst einmal genug – zumindest von Farbe und Pinseln. Zusammen mit meinem Freund hatte ich mich um Decke und Wände im Durchgangsraum gekümmert, die einen neuen weißen Anstrich bekamen. Wir konnten nicht gleich anfangen, denn leider war in keinem der ehemals weißen Farbeimer tatsächlich noch weiße Farbe. Also ging es erst mal in den Baumarkt, bevor es losgehen konnte.

Meine handwerklichen Fähigkeiten ausbauen

Irgendwie verschätze ich mich bei solchen Arbeiten immer. Sie sind meistens anstrengender und zeitraubender als ich mir das vorstelle...und auch das Ergebnis überzeugte mich nicht so recht. Schnell war klar: Ein Anstrich reicht nicht - da müssen wir nochmal drüber. Aber natürlich muss alles erst mal trocknen. Vielleicht melde ich mich beim nächsten Mal zum Putzen, da sind die Erfolgserlebnisse sichtbarer. Andererseits habe ich von handwerklichen Dingen nicht viel Ahnung. So ein Bautag ist da doch die Gelegenheit mal was neues auszuprobieren und zu lernen – mit Tipps von erfahrenen Kommunard*innen und ohne dumme Sprüche.

Wie dem auch sei – die Wände waren noch nicht fertig. Und das wurmte mich. Also fasste ich den Entschluss, das Werk am nächsten Tag zu vollenden. Doch siehe da: Es kam mir jemand zuvor. Als ich nachmittags wieder in voller Maler-Montur im Durchgangsraum standen, stellte ich fest, dass die Wände ein zweites Mal gestrichen waren und auch schon geputzt worden war. Wow! So schnell kann das gehen...

Die Perspektive wechseln

Eigentlich hätte ich mich freuen müssen, oder? Ich musste mich nicht mehr darum kümmern, die Arbeit war erledigt. Und die Wände sahen jetzt richtig gut aus. Bei mir schlich sich aber irgendwie ein anderes Gefühl ein: das schlechte Gewissen. In meiner Logik hatte jemand anders meine Arbeit gemacht, weil ich mich nicht mehr darum gekümmert hatte. Ich hatte mir einen schönen Abend gemacht und etwas länger geschlafen, während ich auch "meine Aufgaben" hätte erledigen können. Mist. Wie sieht das denn jetzt aus?

Das Gespräch mit meinem Mitbewohner half mir ein wenig, die negativen Gefühle zu beseitigen. Wer auch immer die Wand gestrichen hat, wollte es tun, an diesem Tag, zu dieser Uhrzeit. Vielleicht hatte der Mensch einfach Zeit und Lust. Und er oder sie hat höchstwahrscheinlich nicht gedacht: "Meine Güte, warum haben die das denn nicht schon längst überstrichen? Die liegen noch faul im Bett rum." Vielmehr war es mein schlechtes Gewissen, das sich ein solches Szenario ausgedachte.

Dabei spielten natürlich auch Befürchtungen eine Rolle, was andere von meinem Verhalten und von meiner "Leistung" denken könnten. Und auch dazu hat mein Mitbewohner schon vor einiger Zeit etwas sinnvolles gesagt: "Es sollte erst mal nicht darum gehen, was die anderen für richtig halten, sondern was du für richtig hältst.“

Was brauche ich?

Um beim Beispiel Bautag zu bleiben: Nach dem Streichen half ich noch ein wenig in der Küche geholfen, um die restliche Zeit zu nutzen. Am Abend hatte ich dann keinerlei Motivation mehr, weiter zu arbeiten, zumal ich nach zwei Wochen auch Zeit mit meinem Freund verbringen wollte. Gemeinsam essen und gemütlich einen Film gucken, war genau das Richtige. Das brauchte ich. So konnte ich wieder Kräfte sammeln. Die brauchte ich dann zwar nicht mehr für's Streichen, aber geschadet haben sie trotzdem nicht. Stimmt.

Ich merke, wie sinnvoll ein solcher Perspektivenwechsel ist – und wie schwer er mir noch fällt. Statt häufiger in mich hinein zu horchen, um mitzubekommen, was ich tun möchte und kann, mache ich oft Dinge, weil ich denke, dass sie von mir erwartet werden. Dabei spielen allerdings auch meine eigenen Erwartungen eine große Rolle. Es soll nicht der Eindruck entstehen, ich sei ein Fähnchen im Wind, das sich von anderen schnell vereinnahmen lässt. Aber mich beschäftigen eher Fragen wie "War das jetzt (gut) genug? Muss ich etwas anders machen? Wie sollte ich mich jetzt verhalten?" als "Wie geht es mir gerade damit? Fühle ich mich wohl? Brauche ich gerade etwas anderes?"

Kapitalistische Leistungsgesellschaft

Bei dieser Gegenüberstellung von Erwartungen und Bedürfnissen kommt mir zwangsläufig auch die Sozialisation in einer kapitalistischen Gesellschaft in den Sinn. Leistung hat in ihr eine kaum zu unterschätzende Bedeutung: Ich bin, was ich leiste. Oder schlimmer: Ich bin nur, wenn ich leiste. Es fällt mir schwer zu beurteilen, welchen Anteil diese Glaubenssätze an meiner persönlichen Entwicklung haben und inwiefern auch meine eigenen Charaktereigenschaften ein solches Denken befördern. Fakt ist aber: Ich wünsche mir, es zu durchbrechen – sowohl auf persönlicher als auch auf gesellschaftlicher Ebene.

Obwohl ich mich schon länger kritisch damit auseinandersetze, bin ich noch ganz am Anfang, vor allem was praktische und konkrete Erfahrungen wie den Bautag betreffen. Das Leben in der Kommune wird mir sicher noch einige solcher Anlässe bieten, selbst im Alltagsgeschehen. Nicht immer werde ich da so genau reflektieren, aber mit der Zeit wird es mir leichter fallen, die Perspektive zu wechseln – und meinem schlechten Gewissen hoffentlich den Wind aus den Segeln zu nehmen.http://vg08.met.vgwort.de/na/d6d98801636144a6a58db415ade2d558

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Geschrieben von

Regine Beyß

Politische Aktivistin, Journalistin

Regine Beyß

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