Kapitalismus kaputt kooperieren

Wirtschaftssystem Warum es keinen Sinn macht, die negativen Seiten des Menschen zu betonen. Plädoyer für eine solidarische Ökonomie

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Es ist überall. Und es macht mich krank. Um mich herum werden die Menschen dazu gebracht, gegeneinander zu arbeiten anstatt miteinander. Sie sollen konkurrieren, sie sollen sich auf den eigenen Vorteil konzentrieren, das bestmögliche für sich rausholen. Denn – so lautet das ewige Versprechen – wenn jede*r sich um den eigenen Wohlstand kümmert, dann geht es am Ende allen gut. Pustekuchen.

Ich muss nicht lange suchen, um Belege dafür zu finden, dass es nicht allen gut geht. Und dabei könnte unser Wirtschaften doch kaum noch egoistischer und konkurrierender sein. Wir akzeptieren die Spielregeln und richten unser Leben nach ihnen aus. Und doch lässt sich das Versprechen einfach nicht einlösen.

Die wachsende Schere zwischen Arm und Reich, Hunger und Krankhei, Flucht und Tod, soziale Ausgrenzung, prekäre Lebens- und Arbeitsverhältnisse, Verarmung der öffentlichen Haushalte, neue kriegerische Konflikte und die Ausbeutung unserer Umwelt – die so genannten “Erfolgserlebnisse” unseres Wirtschaftssystems lassen sich in wenigen Schlagworten zusammenfassen und hinter jedem von ihnen stecken unzählige Tragödien. Vermeidbare Tragödien. Glück sieht für mich anders aus.

Erklärt mir die Welt!

Das allein sollte uns eigentlich dazu anhalten, etwas zu ändern. Das Problem: Wir haben uns daran gewöhnt. Es ist nun mal so, wie es ist. Und es mangelt nicht an den passenden Erklärungen: Die armen Menschen müssen sich einfach nur mehr anstrengen, sie haben doch die gleichen Chancen wie alle anderen auch. Die Entwicklungsländer sind korrupt und öffnen sich nicht weit genug dem freien Markt. Mindestlohn, Kündigungsschutz und unbefristete Verträge gefährden Arbeitsplätze. Und die Umwelt braucht lediglich ein Preisschild, dann regelt sich der Klimawandel ganz von allein. Der unsichtbaren Hand sei dank. Überzeugende Argumente sehen für mich anders aus.

Es ist unglaublich schwer, eine andere Geschichte zu erzählen. Erst vor ein paar Tagen ließ mich die Realität wieder völlig fassungs- und hilflos zurück: Zusammen mit meinen Kommunard*innen machte ich einen Ausflug in den Harz. An einer Talsperre wollten wir den Sonnenschein genießen und gemeinsam eine Rast einlegen. Wir deckten uns bei verschiedenen Imbissbuden ein und richteten uns auf einer der vielen Holzgarnituren ein.

Sich das Leben gegenseitig schwer machen

Dann gerieten wir in einen Konflikt mit der Betreiberin der Imbissbude, der diese – wie sie betonte – sehr teure Garnitur gehörte. Diejenigen von uns, die sich etwas bei der anderen Imbissbude gekauft hatten, sollten gefälligst auch dort essen. Das könne ja wohl nicht angehen, dass wir nun alle hier säßen. Wir versuchten zu erklären, dass wir die Zeit gerne gemeinsam verbringen würden – nicht an getrennten Tischen. Doch sie ließ sich nicht besänftigen. Wütend verschwand sie wieder in der Imbissbude. Wir blieben sitzen.

Nebenan war der Ärger offenbar ähnlich groß. Denn dort regte sich der Imbissbuden-Betreiber über die Toilettenanlage auf, die nur gegen eine Gebühr von einem Euro genutzt werden darf. Auch für seine Gäste war sie die einzige Möglichkeit, sich zu erleichtern. Den Gewinn streiche aber komplett seine Konkurrentin ein. So eine Unverschämtheit!

Geld gegen Leistung

Wir befanden uns mitten auf einem Kriegsfeld. Während ich meinen Proviant auspackte, schielte ständig zur Imbissbude rüber, um nicht mit “selbst mitgebrachten Speisen” hier auf der besagten Bank erwischt zu werden. Noch eine Diskussion mit der aufgebrachten Dame wollte ich mir und uns ersparen. Gleichzeitig war ich aber auch unzufrieden mit dem Ende des Gesprächs. Für sie waren wir die Bösen, weil wir uns etwas erschlichen hatten, was ihr gehört – ohne entsprechende Gegenleistung. Dabei hatten wir auch bei ihr einige Tassen Kaffee, Kuchen und Pommes gekauft.

Der Gedanke, dass auch ihr Konkurrent an uns verdient hatte und wir uns trotzdem in ihrem Terrain aufhielten, war unerträglich. Ich wollte und konnte mir nicht vorstellen, wie die Menschen hier jeden Tag ihrer Arbeit nachgingen – im ständigen Gedanken daran, wie sie sich gegenseitig das Geschäft vermiesen können. Ich hätte ihr gerne eine Idee davon vermittelt, wie es anders sein könnte. Dass Menschen sich nicht zwangsläufig gegenseitig gängeln müssen, um selbst zufrieden zu sein. Dass wir eigentlich die Freiheit haben sollten, uns dort aufzuhalten, wo wir gerne möchten.

Ist es nicht verrückt, dass mir VERBOTEN wird, ein Brötchen zu essen, nur weil ich dafür nicht vorher bezahlt habe? Dass ich mich auf die einzigen Bänke weit und breit NICHT setzen DARF, weil ich nicht konsumiere? (Ganz abgesehen davon, dass ich als Veganerin dort kaum etwas konsumieren konnte.)

Geld ist wichtiger als Menschen

Einen Tag später: Ich schalte das Radio an und das erste, was ich höre, ist ein Abgesang auf die griechische Wirtschaft. Mal wieder wird lauthals über einen Ausstieg Griechenlands aus der Eurozone diskutiert. Die deutschen Steuerzahler könnten doch nicht länger für die verschuldeten Griechen aufkommen: “Es reicht!” Ohne die nötigen Reformen sollten die Südländer keinen Cent mehr bekommen. Verträge und Vereinbarungen müssten eingehalten werden. Wo kämen wir denn hin, wenn alle machen Schulden machen könnten, ohne sie zurückzuzahlen?

Ja, es reicht. Ich kann es nicht mehr hören. Dieses ganze heuchlerische Gerede, das die grundlegenden Probleme völlig ausblendet und nur darauf bedacht ist, ganze Nationen gegeneinander aufzuhetzen. Die fleißigen Deutschen zahlen für die faulen Griechen – so ein Schwachsinn! In Griechenland sterben Menschen, entweder weil das Gesundheitssystem sie nicht versorgen kann oder weil sie keine Perspektive mehr für sich sehen. Die Banken wurden gerettet, die Menschen entlassen. Die Schuldentilgung ist wichtiger als das Sozialsystem. Ist das möglich? Ich komme mir vor wie in einem schlechten Film.

Ein neues Drehbuch schreiben

Die gute wie die schlechte Nachricht ist: Wir selbst schreiben auch das Drehbuch für diesen Film. Wir können entscheiden, wie wir wirtschaften wollen und ob wir unser Leben wirklich nach den Prinzipien Egoismus, Profit und Konkurrenz ausrichten wollen. Natürlich ist es nicht leicht, sich unter den gegebenen Rahmenbedingungen andere Lebensräume zu schaffen. Und viele sind in einer Situation, die ihnen im Moment keine andere Wahl lässt, als das Spiel mitzuspielen.

Trotzdem gibt es unzählige Wege und Möglichkeiten, Ideen und Konzepte, die es mit dem Versprechen des Wohlstands für alle wirklich ernst meinen. Dieser Wohlstand sieht wahrscheinlich etwas anders aus, als er heute definiert ist. Das heißt, wir müssen uns auch Gedanken darüber machen, wie ein gutes Leben eigentlich aussieht. Was haben wir? Was brauchen wir? Und was ist überflüssiger Luxus?

Der Mensch ist schlecht

Ich könnte hier nun eine Menge Beispiele für solidarische Ökonomie auffahren: Umsonstläden, Mitgliederläden, solidarische Landwirtschaft, gemeinsame Ökonomie, Kollektivbetriebe … dazu gibt es allerdings schon viel Material in meinem Archiv. Lieber würde ich noch auf ein Argument zu sprechen kommen, dass mir immer wieder entgegen gehalten wird, wenn ich von solchen Projekten erzähle. Das sei ja alles schön und gut, ABER der Mensch sei einfachviel zu habgierig und egoistisch, als das so etwas auf Dauer funktionieren könnte.

Es überrascht mich immer wieder, wenn ich höre, welches Bild die Menschen offenbar von ihrer eigenen Spezies haben – zumal sie selbst oft ehrenamtlich tätig sind, gerne arbeiten und sich selbst nicht übervorteilen würden. Gesundheit, soziale Beziehungen und die eigene Entfaltung sind ihnen besonders wichtig. Und trotzdem gehen sie wie ganz selbstverständlich davon aus, dass die große Mehrheit nur auf den eigenen finanziellen Vorteil schielt. Paradox, oder?

Unsere positiven Seiten fördern

Die Frage, ob der Mensch nun von Natur aus gut oder böse ist, lässt sich kaum beantworten. Ich denke, wir tragen sowohl egoistische als auch soziale und altruistische Elemente in uns. Doch selbst wenn wir alle von Grund auf schlecht wären – wie sinnvoll erscheint dann die Idee, unsere negativen Eigenschaften auch noch zu fördern mit einem System, das Rücksichtslosigkeit und Egozentrik belohnt? Wäre es nicht logischer, Strukturen aufzubauen, die unsere positiven Seiten herausfordern?

Solidarische Ökonomie tut genau das: Sie setzt auf Kooperation statt auf Konkurrenz, auf Gemeinschaft statt auf Isolation, auf Sicherheit statt auf Risiko. Sie fragt nach unseren Bedürfnissen, nicht nach dem Gewinn. Sie behält das ökologische Gleichgewicht im Blick, anstatt die Natur als unbegrenzte Ressource zu betrachten. Und vor allem: Ihr Ziel ist es, dass es allen gleichermaßen gut geht – nicht nur einigen wenigen.

Wir sind davon noch weit entfernt. Aber es gibt einige Beispiele in der Geschichte, die mir Hoffnung geben, dass die vielen sozialen Bewegungen, die sich schon heute für einen Wandel einsetzen, irgendwann Erfolg haben werden:

“Fortschritt ist langsam, aber über lange Zeithorizonte hinweg dramatisch, denken Sie etwa an die Abschaffung der Sklaverei oder die Entwicklung der Meinungsfreiheit. Rechte werden nicht einfach so verliehen. Menschen, die sich zu Bewegungen zusammengeschlossen haben, haben sie durchgesetzt. Doch Fortschritt ist keine lineare Entwicklung, es gibt auch Zeiten des Rückschritts.” (Noam Chomsky in ZEIT Campus Nr. 04/2011)

http://vg06.met.vgwort.de/na/8475d44abbc045b9998171328b121247

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Regine Beyß

Politische Aktivistin, Journalistin

Regine Beyß

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