Ich werde Diktator

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Ich habe entdeckt, dass die Welt nach dem turkmenischen Prinzip funktioniert: Wer die Macht hat, kann bestimmen, was Erfolg hat. Außerdem verteidige ich obskure Parteien.

Ich bin auf die Fernbedienung gefallen. So entdeckte ich einen Kulturkanal. Gerade lief ein Dokumentarfilm über den früheren turkmenischen Präsidenten. Saparmyrat Nyýazow war ein lupenreiner Diktator und Bestsellerautor. Er hatte ein Buch geschrieben, die Ruhnama, jedenfalls gab er sich als Autor aus. Das Buch ist eine Mischung aus Kalenderweisheiten, Erziehungsregeln, Geschichte und Geschwafel.

Weil Saparmyrat Nyýazow Diktator war, machte er das Buch zur Grundlage Turkmenistans, zur Pflichtlektüre an Schulen und Universitäten. Ausländische Geschäftsleute, die Zugang zum turkmenischen Markt haben wollten, ließen das Buch in andere Sprachen übersetzen. 2006 starb der Diktator. Sein Nachfolger und früherer Leibzahnarzt Gurbanguly Berdimuhamedow schränkte den Personenkult um Saparmyrat Nyýazow ein und baute sich seinen eigenen auf. Er veröffentlichte zum Beispiel eine Autobiographie.

Danach kam ich ins Grübeln. Ob eine Sache Erfolg hat, hängt nur am Rande davon ab, ob sie gut ist. Viel wichtiger sind zwei andere Faktoren. Der erste Faktor ist Popularität. Die Bücher von Prominenten verkaufen sich ja nicht deshalb so gut, weil die Prominenten gut schreiben, sondern weil Prominente sie geschrieben haben. Dass Coca Cola der beliebteste Softdrink der Welt ist, heißt ja nicht, dass er der beste ist. Wir kennen nur kaum andere.

Der zweite Faktor ist Macht. Saparmyrat Nyýazow hatte die Macht, ein grottenschlechtes Buch zum Bestseller zu machen. Er hätte auch grüne Plastikschweine zum Bestseller machen können, wenn er ein Gesetz erlassen hätte, das alle Turkmenen dazu zwang, jeden Samstag ein grünes Plastikschwein zu kaufen. Das bedeutet aber nicht, dass grüne Plastikschweine gut sind. Macht ist immer eine Erfindung des Mittelmaßes. Wir haben in unserer Geschichte ja auch ein Beispiel für einen Schriftsteller, der seine Macht nutzte, um ein grottenschlechtes Buch zum Bestseller zu machen.

Das gleiche gilt für Wahlen. Nur weil SPD oder CDU die Bundestagswahlen gewinnen, heißt ja noch lange nicht, dass sie die besten sind. Nur haben kleine Parteien kaum Zugang zu den Medien. Zum Beispiel die Partei zum Erhalt der Schnurrbärte. Die großen Parteien sagen: „Das ist doch unrealistisch. Niemals können die die Schnurrbärte erhalten. Die versprechen doch das Blaue vom Himmel. Das können die gar nicht bezahlen. Außerdem will doch keiner mehr Schnurrbärte.“ Was die „Partei zum Erhalt der Schnurrbärte“ sagt, druckt keine Zeitung ab. Und deshalb denkt jeder: Ich wähle die Partei der Schnurrbärte nicht.

Wenn ich genauer darüber nachdenke, ist es beruhigend, dass auch das Mittelmaß eine Chance auf Ruhm hat. Neulich habe ich Wasserfarbenbilder gefunden, die ich in der Grundschule gemalt habe. Sollte ich je die Möglichkeit haben, Diktator zu werden, greife ich zu. Meine erste Ausstellung heißt dann „Rembrandts und Gotts Nachfolger – Sebastian Dalkowski“.

Dieser Text ist Teil meiner Kolumne "About a Boy", die jeden Freitag bei RP Online erscheint. Mehr Folgen gibt es hier.

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