Ihr seid kein bisschen besser als Atze

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Unser Kolumnist fragt sich, warum die Kleinkunstbühnen zu Kanzeln geworden sind.

Ich will keine Namen nennen. Es sind einfach alle deutschen Kabarettisten gemeint, gerade die, die als die besten gelten. Also auch der Typ mit Pferdeschwanz, der an seinem Klavier sitzt, und der Typ mit der starken Gesichtsbehaarung und den ozeangroßen Schweißflecken unter den Achseln.

Aus irgendeinem Grund gilt deutsche Comedy als minderwertig, deutsches Kabarett aber als hochkulturell. Weil Witze über Politiker gemacht werden und nicht über Dieter Bohlen. Weil die Leute nicht „hahahaha“ oder „muaaaaaaaah“ lachen, sondern „hohohohoho“. Weil der Finger in die Wunde gelegt wird, anstatt mit ihm in der Nase zu popeln. Weil im Publikum Lehrer und Studenten sitzen und keine Apothekenhelferinnen und KFZ-Schlosser.

Dabei ist das deutsche Kabarett bloß hochkulturell minderwertig und in dem selben Maße langweilig wie Cindy aus Marzahn und Atze Schröder. Das deutsche Kabarett hält sich so sehr an seine eigenen Spielregeln, dass es in seiner Entwicklung vollkommen erstarrt ist.

Das deutsche Kabarett schimpft immerzu auf Angela Merkel, weiß aber nicht so richtig, warum eigentlich. Weshalb es dann doch gelegentlich darauf zurückgreifen muss, Witze über ihre Frisur zu machen oder die Tatsache, dass sie eine Frau ist. Das deutsche Kabarett schimpft auf den Neoliberalismus, weil es damit nichts falsch machen kann und ja mittlerweile sogar die Neoliberalen den Neoliberalismus blöd finden. Sie schimpfen auch auf alle, die den islamischen Terrorismus für eine Gefahr halten und nicht für ein Schreckgespenst. Sie sagen dann so was wie: „Die Gefahr ist viel größer, von einer Kokosnuss erschlagen zu werden, als Opfer eines terroristischen Anschlags zu werden.“ Sie sagen, was die Leute hören wollen.

Das deutsche Kabarett ist so korrekt politisch unkorrekt geworden. Es zweifelt nicht eine Sekunde an sich selbst. Es legt zwar den Finger in die Wunde, versucht dann aber nichtmal einen Vorschlag zu machen, wie sich die Wunde heilen ließe. Ja, irgendjemand muss erstmal auf die Wunde hinweisen, aber nach mehreren Jahrzehnten wissen wir, wo es blutet. Aber es geht den Kabarettisten ja auch nicht darum, dass sich die Situation ändert. Sie wollen bloß jedem zeigen, dass sie als erste erkannt haben, dass die Situation sich ändern muss.

Wenn ich, liebe deutschen Kabarettisten, eines Tages Atze Schröder einschalte, ist das nicht sein Verdienst, sondern euer.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von