Jürgen, trink Kamillentee!

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Ich habe zu lange in einer Warteschleife gewartet und entwickle deshalb Wahnvorstellungen. Unter anderem möchte ich damit Geld verdienen, mich mit nassen Haaren in die Gefriertruhe zu legen.

Wenn ich es richtig anstelle, muss NRW-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers Kamillentee trinken.

Im vierten Satz dieser Kolumne erwähne ich die Telekom. Es geht aber nur kurz um Warteschleifen, dann wird es grundsätzlich und auch Menschen, die nicht in Warteschleifen warten, kommen auf ihre Kosten. Neulich verbrachte ich viel Zeit in der Warteschleife der Telekom, weil ich die Einrichtung meines Anschlusses vorantreiben wollte. Als die Warteschleife vorbei war, wollte ich die Person am anderen Ende der Leitung anschreien, doch mir wurde klar: Die Schuldigen, also die da oben, erreiche ich damit nicht.

Waren die Könige früher noch voran in die Schlacht geritten, verstecken sich die Mächtigen heute im 168. Stock. Vor der Erfindung des Fahrstuhls weigerte sich die Bourgeoisie, in den 168. Stock zu ziehen, denn der Aufstieg war anstrengend und bei Feuer war der Fluchtweg versperrt.

Als ich nach dem Gespräch mit dem Telekom-Mann über die Warteschleife nachdachte, fiel mir ein, was mich störte: Nicht die Tatsache, dass ich etwas bezahlte, was ich nicht bekam. Was mich wirklich störte, war, dass der Telekom-Boss über einen Teil meines Lebens bestimmte. Ich konnte zum Beispiel nicht Briefmarken sortieren oder Cola trinken, weil ich die Telekom anrufen musste. Und weil er nicht persönlich ans Telefon ging, beeinflusste ich nicht sein Leben, sondern nur das seiner Mitarbeiter. Die aber sitzen ja ohnehin mit ihrem Headset vor einem Computer. Prominente beeinflussen das Leben von Nicht-Prominenten, Nicht-Prominente aber nicht das von Prominenten.

Vor einigen Jahren führte ich ein Interview mit der Sängerin der deutschen Rockband Wir sind Helden. Sie heißt Judith Holofernes und ich erinnere mich noch, wie ich ihr die Hand gab. Am nächsten Tag saß sie in einer Fernsehsendung und sagte, sie habe sich erkältet. Mir fiel ein, dass ich ebenfalls erkältet war. Ich hatte sie angesteckt. Ich hatte Einfluss auf das Leben eines Prominenten. Aber das ist ein schlechtes Beispiel. Judith Holofernes ist nett, ich möchte sie nicht anstecken.

Vor wenigen Tagen lieh ich einem Kollegen in der Redaktion mein Fahrrad. Der Ministerpräsident meines Landes, Jürgen Rüttgers, war in der Stadt und hatte sich entschlossen, alle Termine mit dem Fahrrad anzusteuern. Mein Kollege sollte ihn begleiten, er nahm mein Fahrrad, weil er von seinem nicht mal wusste, wo es stand. Nach der Tour sagte er zu mir: „Das Fahrrad hättest du ja ruhig mal vorher sauber machen können. Ich musste mir erstmal die Hände waschen, bevor ich Jürgen Rüttgers begrüßte.“

Da fasste ich einen teuflischen Plan, der mir Millionen bescheren sollte: Wenn das nächste Mal der Ministerpräsident mit seinem Fahrrad in der Stadt ist, werde ich solange mit nassen Haaren in der Gefriertruhe hängen, bis ich eine anständige Erkältung habe. Dann fahre ich mit meinem Fahrrad über schlammigen Waldboden. Mein Kollege wird dem Ministerpräsidenten dann nicht nur schmutzige Hände bereiten, sondern auch eine mittelschwere Erkältung. Wenn ich es also geschickt anstelle, muss sich Jürgen Rüttgers meinetwegen die Hände waschen und Kamillentee trinken.

Und das ist meine Geschäftsidee: Durch meinen Beruf habe ich hin und wieder direkt oder indirekt mit Menschen zu tun, die in diesem Land was zu sagen haben und damit auch über uns da unten. Ich lasse mich fortan dafür bezahlen, dass Wirtschaftsbosse und Politiker sich die Hände waschen und Kamillentee trinken müssen. Ich bin die Rache des kleinen Mannes. Dann werde ich Hilfskräfte einstellen, die das für mich erledigen.

Mein Traum ist eine Wohnung im 168. Stock.

Dieser Text ist Teil meiner Kolumne "About a Boy", die jeden Freitag bei RP Online erscheint. Mehr Folgen gibt es hier.

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