Die schmerzhaften Wehen eines Dauerkonflikts

Naher Osten Wenn nur der gegenseitige Hass zwei Völker verbindet... Über die traumatischen Wehen eines menschlichen wie gleichsam diabolischen Jahrhundertkonflikts.

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Im Nahen Osten sprechen wieder einmal die Waffen. Überhaupt scheinen Raketen momentan das einzige Kommunikationsmittel zwischen den Erzfeinden Israel und der im Gazastreifen regierenden Hamas zu sein. Wie in einer unaufhaltbaren Kettenreaktion lösen sich Raketenangriffe aus dem dichtbesiedelten, politisch wie ökonomisch gänzlich isolierten Streifen am Mittelmeer mit mehr oder minder präzis durchgeführten Luftschlägen der israelischen Streitkräfte ab. Während weltweit das Ende der Fußball-WM mit dem Triumph der deutschen Nationalmannschaft beklatscht oder betrauert wird, geht das Sterben in den Brennpunkten der Weltpolitik mit unverminderter Intensität weiter. Der erbarmungslose Mord an drei jüdischen Teenagern, den die islamistische Hamas ausdrücklich begrüßte, setzte eine Gewaltspirale in Bewegung, deren Folgen, insbesondere für die nahezu schutzlose palästinensische Bevölkerung, momentan kaum abschätzbar sind. Die bei lebendigem Leib und mit nicht minder schlimmer Kaltblütigkeit durchgeführte Verbrennung eines jungen Palästinensers durch radikalisierte, jüdische Altersgenossen macht auch den israelischen Staat, wohlgemerkt die einzige Demokratie in dieser an Despoten reichen Region, auf eine Umstand aufmerksam, der bisher in weiten Teilen kaum Beachtung fand: eine radikalisierte, rassistische Siedlerbewegung, die sich nach dem angeblich von Gott versprochenen Großisrael sehnt. Dass die Hamas an einem Frieden kein Interesse hat, würde sie damit doch ihre Existenzberechtigung zerstören, scheint plausibel. Dass die Siedlerlobby ihr in diesem Bestreben frappierend ähnelt, scheint indes im Lager des Ministerpräsidenten und seiner siedlerfreundlichen, rechtsnationalen Regierung noch nicht angekommen zu sein.

Hamas - isoliert und deshalb brandgefährlich

Der 2011 ausgebrochene Bürgerkrieg in Syrien, der aktuellen Statistiken nach die monströse Zahl von 160.000 Opfern ausweist, setzte in der mit Abstand sensibelsten Weltregion einen folgenreichen Flächenbrand in Gang. Der Irak steht vor dem Zerfall, Libanon fürchtet ebenfalls einen Krieg der Konfessionen und das bisher bemerkenswert stabile Königreich Jordanien wird dem nicht abbrechenden Strom von Bürgerkriegsflüchtlingen nicht mehr lange standhalten. In Ägypten wurde der unglücklichen und nahezu durchgehend unfähigen Herrschaft der Muslimbrüder mithilfe des Militärs der Garaus gemacht. Gerade diese machtpolitisch bedeutsame Entwicklung wirkte sich besonders nachhaltig auf die im Gazastreifen herrschende Hamas aus. Und das in überaus negativer Weise. Während die Muslimbrüder, der Hamas traditionell sehr freundlich gesinnt, das palästinensische Brudervolk über zumeist geöffnete Grenzen mit Gütern versorgten, brach das Militärregime des Generals Al-Sissi nach der Machtergreifung jeglichen Kontakt zu den Islamisten ab. Der Iran, bislang neben Syrien zuverlässigster Waffen- und Geldlieferant, ist durch sein Eingreifen zugunsten des Assadregimes bis auf Weiteres ausgelastet. Für die Hisbollah gilt bis auf leichte Einschränkungen dasselbe. Kurz gesagt: die Hamas ist nahezu vollständig von überlebensnotweniger Unterstützung abgeschnitten. Seit Monaten können die für die Machtsicherung relevanten Sicherheitskräfte nicht mehr bezahlt werden. Hinzu kommt eine sich sukzessiv ausbreitende Unzufriedenheit unter der Bevölkerung, die am massivsten von der Güterknappheit betroffen ist. Nicht ganz zu unrecht fürchteten deshalb einige hochrangige Hamasführer einen Volksaufstand. Mit den Raketenangriffen auf Israel verfolgt die Hamas ein taktisches, allerdings nicht minder zynisches Ziel: Die Reaktion Israels soll die althergebrachte Feindkonstellation wieder herstellen, das palästinensische Volk symbolisch einigen und die Hamas vom eigenen Versagen entlasten. Insoweit bleibt selbst der ärgste Feind für Israel zumindest berechenbar. Aber schon die unterschiedlichen Reaktionen der Hamas auf den Teenagermord im Westjordanland deuteten auf eine innere Spaltung der Islamistenorganisation hin. Es ist folglich wahrscheinlich, dass die zu beobachtende Eskalation im Konfrontationskurs gegen Israel nicht von allen Hamasfunktionären vorbehaltlos unterstützt wird. Groß ist nämlich die Angst, dass wesentlich radikalere Elemente die in weiten Teilen unpopulär gewordene Hamas ausstechen könnten. Und das müsste dann auch Israel beunruhigen...

Israel - Friedensgegner mit großem Einfluss

Mit den letzten Wahlen zur Knesset rückte die israelische Regierung unter Premier Netanjahu durch die Beteiligung einer ultranationalistischen und einer siedlerfreundlichen Partei merkbar nach rechts. Unablässig forderten deren Frontmänner Naftali Benett (Jüdisches Heim) und Avigdor Liebermann ("Unser Haus Israel") die Forcierung des Siedlungsbaus, die Einstellung jeglicher Verhandlungen über eine "Zwei-Staaten-Lösung" und unlängst erst massive Vergeltungsmaßnahmen bis hin zu einer Bodenoffensive. Nach den Morden im Westjordanland nutzten beide eiskalt die Gunst des Augenblicks, um Netanjahu als notorisch zögerlichen Schwächling bloßzustellen. Und so zynisch es klingen mag: Die massiven Luftangriffe sollen neben der eigenen Wehrhaftigkeit auch den Druck aus dem Regierungskessel ablassen. Gänzlich frei von Schuld ist der taktisch versierte Netanjahu jedoch nicht. So eröffneten ihm die Wahlergebnisse von 2013 genauso die Bildung einer Koalition mit Liberalen und Sozialdemokraten. Doch kungelte der Premier lieber mit Rechten und Nationalreligiösen, und das nicht ohne Grund. Insgeheim hielt der Likudchef von der international unterstützten "Zwei-Staaten-Lösung" nie allzu viel. Dies wurde offensichtlich, als Verteidigungsminister Mosche Jaalon, loyaler Gefolgsmann des Regierungschefs, den damals unablässig vermittelnden US-Außenminister Kerry brüsk nach Hause schickte. Ein Affront, der die traditionell enge Verbindung zum Weißen Haus nachhaltig trübte. Auch dieser vermeintliche diplomatische Lapsus verfolgte eine klare Strategie: Die ständigen Einmischungen Obamas empfand man in Jerusalem als störend bis anmaßend. Netanjahu verfolgt unter Mobilisierung aller strategischen Optionen die Beibehaltung des Status Quo. Nichts hasst er mehr als das Risiko unvorhersehbarer Veränderungen. Als warnendes Menetekel führte er stets das Schicksal Ariel Scharons an. Der habe schließlich mit seiner einseitigen Räumung der israelischen Siedlungen im Gazastreifen 2005 der Hamas ihre Raketenabschussrampe förmlich auf dem Silbertablett serviert, und das ohne Gegenleistungen. "Land gegen Frieden", einst Vision seines Vorgängers Rabin, lehnt Netanjahu entschieden ab. Ein ernsthafter Friedensprozess scheint mit ihm auf absehbare Zeit nicht möglich. Zu sehr hat sich der streitbare Politiker von radikalen Elementen abhängig gemacht. Der Preis für den Status Quo ist die Einsamkeit. Netanjahu schein bereit, diesen bezahlen zu wollen.

Frieden? - Es fehlen Visionen, Mut und Persönlichkeiten

Die Bilder von Anwar As-Sadat und Menachem Begin oder von Jitzchak Rabin und Jassir Arafat bleiben dauerhaft im zeitgenössischen Gedächtnis verhaftet. Die Friedensverträge Israels mit Ägypten und Jordanien haben auch schwere Zeiten weitgehend unbeschadet überstanden. Rabin, einst unerschütterlicher Generalstabschef und "Falke" Israels, wurde nach seinem radikalen Wandel zum Friedensvisionär 1995 von einem fanatischen Siedler erschossen. Seine eindringlichen Worte "Enough of blood and tears! Enough!" sind noch heute Mahnung und Aufforderung zugleich. Umgesetzt wurde seine in die Zukunft gerichtete Idee indes nie. Sein Zögling Ehud Barak versuchte sich 1999/2000 zuletzt an ernsthaften Friedensverhandlungen. US-Präsident Clinton hatte massiv gedrängt. Seine Großzügigkeit, was die Rückgabe von Territorien anging, wurde von Arafat als Schwäche angesehen. Barak wurde mit einem schmählichen Ergebnis abgewählt, Scharon kam an die Macht. Der grobschlächtige General, mehr ehrfurchtsvoll denn freundlich "Bulldozer" oder "Patron der Siedler" genannt, steigerte seine Popularität im rechten Lager, indem er Hamasgrößen gezielt liquidieren ließ. Doch vergleichsweise schnell bemerkte der ehemalige Panzerkommandant, dass militärische Aggression allein dem jüdischen Volk keine Ruhe bringen würde. Der von ihm befohlene und protegierte Rückzug aus dem Gazastreifen machte ihn außenpolitisch zu einem gern gesehenen Gast, innenpolitisch wurde er von seiner einstigen Basis als "Verräter" gescholten. Eine Hirnblutung des stark übergewichtigen Premiers setzte weiteren Friedensbemühungen ein jähes Ende. Danach folgten Ehud Olmert und Benjamin Netanjahu. Olmert bemühte sich erst halbherzig, dann ernsthaft. Netanjahu opponierte stets gegen sämtliche Konzepte seiner Vorgänger. Höchstselbst betrieb er den Ausschluss Scharons aus dem Likud. Was er selbst auf seiner Agenda stehen hat, weiß niemand. Für den Nahostkonflikt bedeutet dies nichts Gutes...

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