Augen auf beim Wohnungskauf

Mietendeckel Eine taz-Redakteurin kritisiert, der Senat in Berlin zerstöre mit seiner strikten Regulierung des Wohnungsmarktes die Altersvorsorge Anfang-30-Jähriger. Eine Antwort
Kein Symbolbild für Altersvorsorge
Kein Symbolbild für Altersvorsorge

Foto: imago images/photothek

Nein, es liegt nicht an ihrem Alter. „Es mag an meinem Alter liegen“, schreibt die 32-jährige taz-Redakteurin Steffi Unsleber in ihrer Kritik am Berliner Mietendeckel auf ihrem inzwischen gelöschten Twitter-Account, „dass viele meiner Freunde in den vergangenen Jahren in Berlin Eigentumswohnungen gekauft haben.“

Es folgt eine Klage darüber, was der rot-rot-grüne Senat in der Hauptstadt mit seiner resoluten Mietendeckelung nun alles ad absurdum führe: all die Mühe und das Geld, das Unslebers Freunde in die Renovierung ihrer Eigentumswohnungen gesteckt hätten, und damit den „besten Schutz vor Altersarmut“, die „eigene, abbezahlte Immobilie“. Die diese später vermieten wollen würden: „Um mit dem Freund zusammenzuziehen, um noch 1-2 Kinder zu bekommen, um im Ausland zu leben“. Die Kredite für den Wohnungskauf müssten abbezahlt werden, schreibt Unsleber. „Dafür reichen 6,45 Euro pro qm nicht. Auch nicht 7,45 Euro pro qm, wenn man für die Sanierung einen Euro draufschlägt“ – 6,45 Euro sind der Wert für eine bis 1918 erstmals bezugsfertige, mit Sammelheizung und Bad ausgestattete Wohnung aus der Tabelle mit den gesetzlichen Obergrenzen des Mietendeckels.

Westdeutsche Identität

Wer eine Wohnung kauft, ist dazu nicht aufgrund seines Alters in der Lage. Sondern wegen seines Vermögens, seines Einkommens, seiner Kreditwürdigkeit. Wegen seiner Klasse. Vielleicht, wenn man unbedingt ein identitätspolitisches Merkmal bemühen möchte, aufgrund westdeutscher Herkunft. In Ostdeutschland liegen die Immobilien- und Geldvermögen privater Haushalte im Durchschnitt bei 44 Prozent der Werte für Westdeutschland; das Vererben und die private Vermögensbildung sind auch 30 Jahre nach 1989 weit weniger selbstverständlich als im Westen.

Was oft als Defizit ausgelegt wird, zunächst aber einmal nachvollziehbare Folge dessen ist, dass Daseinsvorsorge in der DDR eine gänzlich öffentliche Angelegenheit war, während diesbezüglich Erkämpftes in der BRD schon vor 1990 zu erodieren begonnen hatte. Dass dies einer der Punkte ist, an dem anzusetzen und das Beste aus beiden Staaten zusammenzuführen gelohnt hätte, um wirklich eine „Einheit“ zu bewerkstelligen, ist ein anderes Thema.

Was stattdessen folgte, war die resolut voranschreitende Privatisierung von Lebensrisiken, ob in der Arbeits- und Sozialpolitik mit Hartz IV oder mit der Teilprivatisierung der Altersvorsorge.

Das Mantra der drei Säulen

Auf mindestens zwei, besser drei Säulen müsse diese beruhen, lautet seither das Mantra, die öffentliche Rentenversicherung allein könne keinesfalls mehr reichen. Das Tragische, und damit sind wir dann doch beim Alter, ist: Heute Anfang-30-Jährige sind oft gar nicht mehr in der Lage, dieses Mantra zu hinterfragen. Um dabei seine Tücken zu erkennen: wer das Mantra von der privaten Verantwortung klaglos internalisiert, sich der Marktlogik anvertraut, trägt auch deren Risiken. „Ach, wer auf Häuser baut, den schreckt jedes Beben. Wer sich den Banken verschreibt, den versklavt ihre Macht“, singt Konstantin Wecker.

Es geht auch nüchterner: wer auf hohe Mieten wettet, muss in Kauf nehmen, dass sie auch sinken können. So, wie nun in Berlin, da die jahrelange massenhafte Auspressung und Verdrängung von Mieterinnen und Mieter es erforderlich macht, sie mit radikalen Maßnahmen zu schützen, ihnen ihr Obdach zu sichern. In Berlin spannt der Senat übrigens sogar einen kleinen Rettungsschirm für Vermieter auf. Bei wirtschaftlichen Härtefällen können sie über den Deckel hinausgehende Mieterhöhungen zur Vermeidung von Substanzgefährdung und von Verlusten beantragen; die Differenz trägt dann die öffentliche Hand per Zuschuss an die Mieter. Groß genug, um alle jetzt kollabierenden Kredittilgungspläne von Eigentümern zu retten, wird dieser Schirm freilich kaum sein.

Es ist allzu leicht, sich deswegen nun in Schadenfreude über Unsleber und ihre Freunde zu üben, ‚das habt ihr nun davon, euer westdeutsches Erbe in die Sanierung Ostberliner Eigentumswohnungen gesteckt zu haben‘. Dass die Autorin nach ihren Einlassungen von Beschimpfungen berichten musste und daraus den Schluss zog, ihren Twitter-Account zu schließen („Liebe Twitter-Gemeinde, ich verabschiede mich. Ich diskutiere gerne, aber ich finde, der Ton ist hier mittlerweile unerträglich verletzen geworden. Ich will nicht mehr meine Zeit damit verschwenden.“), ist bedauerlich und beschämend für Kritiker, die ausfällig geworden sind.

Eigentlich sollte der Mietendeckel ein Auftakt sein, um dem irren Allvertrauen in den Markt auch in anderen Bereichen ein Ende zu bereiten. Um über neue Formen öffentlicher Verantwortung, ja institutionalisierter Solidarität nachzudenken und sie ins Werk zu setzen. Eine vor Altersarmut schützende Bürgerversicherung für alle, ohne die heute viel zu niedrigen Beitragsbemessungsgrenzen und unter Rückgriff auf die stärkere Besteuerung von Höchstvermögen, wäre solch ein Bereich.

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Geschrieben von

Sebastian Puschner

stellvertretender Chefredakteur und Ressortleiter Politik

Sebastian Puschner studierte Politik-, Verwaltungswissenschaften und Philosophie in Potsdam und wurde an der Deutschen Journalistenschule in München zum Redakteur ausgebildet. Bei der taz arbeitete er als Redakteur im Berlin-Ressort. 2014 wechselte Sebastian Puschner zum Freitag, wo er den monatlichen Wirtschaftsteil mit aufbaute. Seit 2017 ist er verantwortlicher Redakteur für Politik, seit 2020 stellvertretender Chefredakteur. Er beschäftigt sich mit Politik und Ökonomie, Steuer- und Haushaltsfragen von Hartz IV bis Cum-Ex und Ideen für eine enkeltaugliche Wirtschaft.

Sebastian Puschner

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