Es glänzt und blendet

Konjunkturpaket Union und SPD haben massive Maßnahmen für die Bewältigung der Krise beschlossen, die einen genaueren Blick als den überwältigten des ersten Moments verdienen
Ausgabe 23/2020

Für den Moment sind diese Summen zu groß, als dass sie nicht sofort allgemeines Entzücken erregen würden. CDU, CSU und SPD haben in der Nacht auf Donnerstag ein 130 Milliarden Euro umfassendes „Konjunktur- und Krisenbewältigungspaket auf den Weg gebracht. Allein dessen Kernelement – die temporäre Senkung der Mehrwertsteuer – schlägt mit 20 Milliarden zu Buche.

16 statt 19 und fünf statt sieben Prozent Mehrwertsteuer zwischen Juli und Dezember dieses Jahres – das ist in der Tat auf den ersten Blick eine Überraschung, wie sie dieser Großen Koalition noch vor kurzem niemand zugetraut hätte. Ein zweiter Blick aber könnte sich in die Vergangenheit richten: Genau 16 Prozent betrug der Mehrwertsteuer-Regelsatz bis 2007, dann ließ ihn die damalige wie heutige Bundeskanzlerin entgegen all ihrer Versicherungen, dies nicht zu tun, auf 19 Prozent anheben. Eine höhere Mehrwertsteuer trifft diejenigen mit geringeren Einkommen immer härter – all diese sich über die Jahre summierende soziale Härte kann keine sechsmonatige Senkung aufwiegen, so sehr sie für den Moment auch beeindrucken mag.

Diese Maßnahme mag die Binnennachfrage ankurbeln – insofern die Unternehmen die Senkung an Konsumentinnen und Konsumenten überhaupt weitergeben –, oder die Solvenz der Unternehmen verbessern – insofern sie sich die drei beziehungsweise zwei Prozent selbst einverleiben und eine Weitergabe unterlassen. Ein grundlegender sozialer und ökologischer Paradigmenwechsel aber geht damit nicht einher. Vor allem soll der Konsum angekurbelt werden – und es ist egal, welcher Konsum. Eben darum beeilt sich Bayerns Ministerpräsident Markus Söder zu erklären, die Mehrwertsteuer-Senkung sei auch als Kompensation für die ausbleibende Auto-Kaufprämie zu verstehen, komme sie ja auch all denen zu Gute, die Benziner- oder Diesel-Neuwagen kaufen und verkaufen.

Es ist gut, dass die Auto-Kaufprämie nicht kommt, und der SPD-Spitze sei vergönnt, dass viele ihr nun hoch anrechnen, die Prämie abgewehrt zu haben. Allerdings wollte von einer solchen zuletzt nicht einmal der CDU-Wirtschaftsrat mehr etwas wissen – so offensichtlich irrsinnig wäre es, im Jahr 2020 Staatsknete der Verbrennung zuzuführen. Unters Volk gebracht werden Diesel- und Benziner-Neuwagen dennoch werden – das Wort „Abwrackprämie“ sprang einem in den vergangenen Tagen aus Werbeanzeigen der Automobilindustrie entgegen, sie berappt die Kosten für den vergünstigten Kauf einfach aus eigenen Mitteln.

Die Bundesregierung hätte ein Zeichen setzen und dem Vorschlag des Sprechers für Fahrradmobilität der Linksfraktion im Bundestag, Andreas Wagner, folgen können: 200 Euro Zuschuss zur Finanzierung der Reparatur oder Neuanschaffung eines Fahrrads. Wagner hat gute Argumente, von der Förderung der heimischen Radwirtschaft bis hin zur Unterstützung von sanftem Tourismus. Sein bestes aber lautet: Profitieren würden die, die sich ein Auto nicht leisten können.

Keine Frage: Dieses Konjunkturpaket wirft all jene fiskalpolitischen Grundsätze von Sparsamkeit und Schädlichkeit jedweder Kreditaufnahme, die in Deutschland so bleiern lange wie ein Mantra galten, über Bord. In die Krisenabwehr – von 2009 un den Folgejahren übertreffendem Ausmaß – springt der Staat ein, um den volkswirtschaftlichen Schock zu dämpfen.

Die sich vertiefende Spaltung der Gesellschaft in Arm und Reich aber geht er dabei nicht an. So bleibt die Forderung nach einer sofortigen Erhöhung der Regelsätze bei Hartz IV wie Altersgrundsicherung um 100 Euro pro Kopf und Monat weiter unerhört. Dabei sind die Preise für lagerbare Lebensmittel wie Nudeln zuletzt um 20 Prozent, für Obst um 11 und für Gemüse um 6,5 Prozent gestiegen. Gleichzeitig sind die wahren Kosten für billiges Fleisch aus deutschen Schlachthöfen so sichtbar geworden wie nie zuvor – die ökologischen Folgen sind da noch nicht einmal eingerechnet. Der Ernährungssatz eines Hartz-IV-Berechtigten aber verharrt bei 150,60 Euro monatlich.

Derweil ist die Zahl derer, die Einkünfte von mindestens einer Million Euro haben, laut Statistischem Bundesamt zuletzt um 1.700 Steuerpflichtige auf 22.900 gestiegen. Im Durchschnitt nehmen sie 2,7 Millionen ein – und hätten sich über die von CDU und CSU angepeilte Abschaffung des Solis für die einkommensstärksten zehn Prozent sicher gefreut. Entsprechende steuerliche Maßnahmen, oder auch eine Vermögensabgabe, stehen ebenso wenig in Aussicht wie die strikte Kopplung von Staatshilfen für Konzerne an Transparenz und Regeln in Sachen Steuern – dabei haben alle 30 im Aktienindex Dax gelisteten Firmen Tochterunternehmen in Steueroasen.

Derlei Gebaren gibt es bis hinunter auf die kommunale Ebene: Reiche Städte und Gemeinden locken gern Unternehmen mit Dumping-Steuersätzen an – und werden noch reicher. Indessen können arme Kommunen bisher gar nicht erst in hygienisch zumutbare Schultoiletten, den Ausbau von Radwegen oder eine dezentrale, bürgernahe Energieversorgung investieren – weil ihre Mittel in die Bezahlung von Altschulden und Überbrückungskrediten fließen und ihnen das Personal fehlt, um solche Projekte anzugehen. Jetzt drohen auch noch Gewerbesteuerausfälle von 12 Milliarden Euro und pandemiebedingt erhöhte Aufwendungen für Sozialleistungen angesichts steigender Arbeitslosigkeit.

Die Gunst der Stunde auszunutzen und das Konjunkturpaket mit einem Schuldenschnitt für notleidende Kommunen zu verbinden, wie Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) dies versucht hat, wäre hier die beste Lösung gewesen. Dass der Bund nun 75 statt wie bisher 25 Prozent der Kosten für die Unterkunft bei Sozialleistungen übernimmt, das ist die kleinere Lösung – doch auch sie verschafft den Kommunen Luft zum Atmen und Freiraum zum Investieren. In diesem tatsächlich vor allem der SPD zuzurechnnenden Ergebnis liegt die vielleicht größte Chance des Konjunkturpakets: Kommunen und damit die den Bürgerinnen und Bürgern näheste Ebene in die Lage zu versetzen, endlich massiv in die Zukunft zu investieren. Auf keiner anderen Ebene ist derzeit die Möglichkeit eines wirklich nachhaltigen Morgens greifbarer, etwa in Gestalt der Bezirke in Berlin, die die Pandemie nutzten, um Autospuren in Radwege umzuwandeln, und zwar nicht nur vorübergehend.

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Geschrieben von

Sebastian Puschner

stellvertretender Chefredakteur und Ressortleiter Politik

Sebastian Puschner studierte Politik-, Verwaltungswissenschaften und Philosophie in Potsdam und wurde an der Deutschen Journalistenschule in München zum Redakteur ausgebildet. Bei der taz arbeitete er als Redakteur im Berlin-Ressort. 2014 wechselte Sebastian Puschner zum Freitag, wo er den monatlichen Wirtschaftsteil mit aufbaute. Seit 2017 ist er verantwortlicher Redakteur für Politik, seit 2020 stellvertretender Chefredakteur. Er interessiert sich besonders für Politik und Ökonomie von Hartz IV bis Cum-Ex sowie für Fragen zu Geopolitik, Krieg und Frieden.

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