Ran an die Superwurst

Porträt Reiner Haseloff ist Sprachrohr der Ost-CDU und nun in Euphorie – wegen der Sondierungen im Bund
Ausgabe 03/2018
Wohin es nach Merkel mit der CDU gehen könnte, davon zeugt das Verhältnis zur AfD in Sachsen-Anhalt
Wohin es nach Merkel mit der CDU gehen könnte, davon zeugt das Verhältnis zur AfD in Sachsen-Anhalt

Foto: Hoffmann/Imago

Die von der SPD servierte Currywurst soll einigen Unions-Leuten ja nicht gemundet haben, Reiner Haseloff hingegen will sich nicht beklagen, „super“ habe sie geschmeckt. Und nicht nur der Pausensnack, die Sondierungsgespräche insgesamt haben Sachsen-Anhalts CDU-Ministerpräsidenten euphorisiert. „Danke fürs Kommen!“, sagt er zu Ende der am Freitagmittag einberufenen Pressekonferenz in der Landesvertretung Sachsen-Anhalts in Berlin-Mitte. „Schönes Wochenende! Alles wird gut in Deutschland!“

Es ist nicht auszuschließen, dass Haseloff, 63, das ernst meint, gleich am Vormittag der Sondierungseinigung hatte er in die Fernsehkameras vor dem Willy-Brandt-Haus hinein verkündet: Diese 28 Seiten Einigungsprotokoll, die solle man „nicht nur von vorne bis hinten lesen, sondern auswendig lernen“. Demnach wäre der seit 2008 zum CDU-Bundesvorstand zählende Haseloff um seinen unerschütterlichen Optimismus beinahe zu beneiden. Wer dem Pessimismus zuneigt, denkt an Sachsen-Anhalt, an 24,3 Prozent für die AfD bei der Landtagswahl und die dadurch erzwungene Koalition aus CDU, SPD und Grünen. Zwischen Altmark und Harz sind sie vielleicht einfach schon weiter als im Bund, wo das, was einmal „Große Koalition“ hieß, es nun immerhin noch auf 399 von 709 Sitzen im Parlament bringt.

Bei den Sozialdemokraten sei anfängliche Skepsis der „fachlichen Vorfreude“ gewichen, meint Haseloff festgestellt zu haben. Er saß in der Sondierungsgruppe zu „Kommunen/Wohnungsbau/Mieten/ländlicher Raum“ und hält die Evaluierung der Mietpreisbremse 2020 wohl für einen sozialdemokratischen Verhandlungserfolg. Mit ihm am Tisch saß der NRW-SPDler Michael Groschek, der inzwischen tatsächlich vom Rhetoriker der Skepsis zu einem der wichtigsten Organisatoren für den schwarz-roten Kurs von Martin Schulz mutiert ist. Es muss ein hartes Ringen gewesen sein, bis die Einigung auf die Förderung von privatem Wohnungsbau und das läppische Versprechen von 1,5 Millionen neuen Wohnungen stand. „Wer sagt, Union und SPD seien nicht mehr unterscheidbar, der hat die vergangenen Tage nicht erlebt“, ruft Haseloff.

Vier weitere Jahre mit der braven SPD und ohne Minderheitsregierung oder ähnlichen Firlefanz, Angela Merkel kann erst einmal im Amt bleiben – nicht nur einem Getreuen der Kanzlerin wie Haseloff erscheint das als bestmögliche aller derzeit möglichen Optionen: Beim Neujahrsempfang der Industrie- und Handelskammer neulich in Magdeburg hielt deren Präsident seine Rede, tosenden Applaus habe es nur nach dem Satz „Wir brauchen endlich eine Regierung“ gegeben, sagt der Ministerpräsident. Haseloff, von 2002 an Staatssekretär, zwischen 2006 und 2011 Minister für Wirtschaft und Arbeit in Sachen-Anhalt, schlussfolgert: „Da hat man gemerkt: Das deutsche Unternehmertum ist nicht gern unterwegs ohne politische Führung.“

Er trat 1976 der Blockpartei CDU bei, promovierte 1991 in Physik und war vorher wissenschaftlicher Mitarbeiter einer Außenstelle des Instituts für Umweltschutz in seiner Heimatstadt Wittenberg, deren Arbeitsamt er dann zwischen 1992 und 2002 leitete. Nach Stanislaw Tillichs Rücktritt in Sachsen ist Haseloff nun das prominenteste Sprachrohr der ostdeutschen CDU-Landesebene, und als solches kann er nach den Sondierungen immerhin diese vier Zeilen Sondierungsergebnis vermelden: „Der Bund wird schrittweise einen höheren Anteil bei den Erstattungen an die Rentenversicherung für die Ansprüche aus den Sonder- und Zusatzversorgungssystemen der ehemaligen DDR übernehmen und damit die ostdeutschen Bundesländer entlasten (AAÜG).“ Es geht um Rentenansprüche, die 1990 nicht genau administrativ zuzuordnen waren und großteils den Ländern aufgebrummt wurden, obwohl sich der Bund zum Rechtsnachfolger der DDR gekürt hatte. Und wohl weil sich DDR-Erwerbsbiografien als komplexer denn gedacht entpuppten, ist das Volumen dieser Ansprüche nicht abgeschmolzen wie geplant, sondern gewachsen, Sachsen-Anhalt zahlt 430 Millionen Euro jährlich, vier Prozent des Landeshaushaltes. Um wie viel und wann der Bund seinen heute 40-prozentigen Anteil an den Kosten aufstocken würde, ist zwar noch völlig unklar, aber: die ein oder andere Million mehr für ostdeutsche Landeshaushalte in Aussicht, immerhin.

Ob Haseloff die dann noch selbst ausgeben kann? Die Grünen überlegen gerade, wie sie damit umgehen, dass der Ministerpräsident ihre Umweltministerin Claudia Dalbert im Streit über den Bau einer Seilbahn für ein Skigebiet im Harz an die Kandare genommen und für das Durchwinken eines von ihr gestoppten Flächentauschs gesorgt hat. Und nun, am Wochenende, sprachen sich auch noch die Delegierten der Sozialdemokraten beim Landesparteitag in Wernigerode gegen eine Koalition mit der Union im Bund aus.

„Wir sind alle in einem Alter, ich auch, wo es zu unserer Verantwortung gehört, dafür zu sorgen, dass es mit der CDU auch nach uns weitergeht“, hat Haseloff im vergangenen Herbst gesagt und Merkels Staffelstabübergabe in dieser Legislaturperiode angemahnt. Weil er aber so wenig wie Merkel selbst weiß, ob sich deren Machtpragmatismus in anderer Person – Annegret Kramp-Karrenbauer oder Peter Altmaier etwa – in der Union verlängern lassen wird, hofft Haseloff um Zeitaufschub durch eine treue, staatstragende SPD.

Er weiß ja selbst, wohin es manchen seiner eigenen Parteifreunde drängt. In Magdeburg nimmt bald die Enquete-Kommission zur „Untersuchung von Linksextremismus in Sachsen-Anhalt“ die Arbeit auf, die AfD hätte sie allein einrichten können, große Teile der CDU-Fraktion stimmten dennoch mit. Reiner Haseloff hatte sich enthalten, immerhin.

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Geschrieben von

Sebastian Puschner

stellvertretender Chefredakteur und Ressortleiter Politik

Sebastian Puschner studierte Politik-, Verwaltungswissenschaften und Philosophie in Potsdam und wurde an der Deutschen Journalistenschule in München zum Redakteur ausgebildet. Bei der taz arbeitete er als Redakteur im Berlin-Ressort. 2014 wechselte Sebastian Puschner zum Freitag, wo er den monatlichen Wirtschaftsteil mit aufbaute. Seit 2017 ist er verantwortlicher Redakteur für Politik, seit 2020 stellvertretender Chefredakteur. Er interessiert sich besonders für Politik und Ökonomie von Hartz IV bis Cum-Ex sowie für Fragen zu Geopolitik, Krieg und Frieden.

Sebastian Puschner

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