Ein dubioses Duo: Wolfgang Schäuble (links) und Peer Steinbrück
Montage: der Freitag; Material: AFP/Getty Images, Tomograf/iStock
Die Frau ist die einzige Person im Raum, der Peer Steinbrück an diesem Montagnachmittag einen freundlichen Blick schenkt. Die Bundestagsmitarbeiterin bringt ihm ein Papier nach dem anderen in den Zeugenstand: Briefe, Vorlagen, Protokolle. Sie muss das tun, denn Steinbrück sitzt ein Halbrund aus Abgeordneten gegenüber, der Cum-Ex-Untersuchungsausschuss, und alle stellen sie Steinbrück Fragen, die mit diesen Papieren zu tun haben. Nicht eines davon fasst Steinbrück an, würdigt die bedruckten Seiten keines Blickes. Kommt die Frau wieder, um die Papiere zurück in die Aktenordner zu räumen, dann nickt er ihr leicht zu und sagt höflich: „Danke“.
Einmal beginnt der CDU-Mann Christian Hirte zu zitieren, aber bevor er fertig ist, antwortet Ste
wortet Steinbrück bereits. Da sei ja jemand „bestens vorbereitet“, lächelt Hirte etwas hilflos und senkt den Kopf wieder in seine Akten. Natürlich ist Steinbrück vorbereitet, er hat sich die Akten im Bundesministerium der Finanzen (BMF) heraussuchen lassen, dem er von 2005 bis 2009 vorstand. Er weiß, was ihm die Abgeordneten vorhalten werden, und er weiß, dass sie ihm rechtlich nichts anhaben können. Mit der politischen Verantwortung verhält es sich etwas anders.2005 bis 2009 – das war die Zeit, in der der größte Steuerskandal der deutschen Nachkriegsgeschichte allmählich das Licht der Öffentlichkeit erblickte: Cum-Ex. Vermögende, Banken und Berater zockten den Staat dreist ab. Auf zwölf Milliarden Euro schätzen Steuerrechtler und Finanzpolitiker den Schaden, doch keiner weiß, ob das reicht. Landauf, landab ermitteln die Staatsanwaltschaften, laufen die Verfahren, akzeptieren Beschuldigte Rückzahlungen und Strafen – die HypoVereinsbank musste dem Fiskus 150 Millionen Euro überweisen; in Hamburg wurde die Privatbank Warburg durchsucht, in Frankfurt ging die deutsche Filiale des kanadischen Maple-Instituts wegen der Höhe der Steuerrückforderungen pleite – bei ihr hatten zahlreiche Bundesländer und Kommunen Geld angelegt. Bei der WestLB widmete sich eine eigene Abteilung mit zehn Leuten dem „Dividendenstripping“, andere Landesbanken und die nun teilstaatliche Commerzbank ließen sich Profit auf Kosten der Steuerzahlenden ebenso wenig entgehen wie internationale Großkonzerne vom Format HSBC oder JP Morgan.Dabei schoben sich Banken und Fonds mittels Leerverkäufen Aktienpakete zu, mit und ohne Dividenden, cum und ex. Auf erstere wurde Kapitalertragssteuer gezahlt, auf letztere nicht. Durch eine Lücke im Gesetz aber erhielten alle Beteiligten Bescheinigungen über bezahlte Kapitalertragssteuer, um sich diese auf die Einkommens- oder Körperschaftssteuer anrechnen und erstatten zu lassen – auch die Leerkäufer, von denen der Fiskus nie einen Cent gesehen hatte. Eine einmal gezahlte Steuer holten sich die Profiteure zwei-, vier- oder achtfach vom Staat zurück. Im Grunde bestand ihr Kniff darin, dass sie simulierten, eine Aktie habe zwei, vier oder acht Besitzer gleichzeitig.„Was richtig Geiles“Für Deutschlands Reiche war dabei die Bank Sarasin aus der Schweiz die erste Adresse. Sie warb offensiv für ihre „Sheridan“-Fonds, wohl ohne deren Geschäftszweck offenzulegen – Cum-Ex. 50 Millionen Euro fordert Drogerie-Unternehmer Erwin Müller heute zurück. In Ulm steht er deshalb von April an vor Gericht, als Kläger gegen Sarasin.Das Kapitel hat Carsten Maschmeyer schon hinter sich, ein Vergleich mit Sarasin sicherte ihm die Rückzahlung des Großteils von 40 eingesetzen Millionen. „Mal was richtig Geiles“, hatte er von seinem Kumpel, dem Bankchef Eric Sarasin, verlangt. Als Maschmeyer dem Ausschuss im November von „acht, zehn, zwölf Prozent Rendite“ ohne jede detaillierte Produktberatung bei angeblich umfänglicher Ausfallversicherung erzählte, da waren die Ausschussmitglieder im Sitzungsraum E 400 des Paul-Löbe-Hauses etwas unschlüssig: acht bis zwölf Prozent Rendite, war das damals, um 2010 herum, eigentlich „richtig geil“ oder nur normal geil? Jedenfalls war es wohl geil genug: 7 Millionen setzte Maschmeyer ein, 20 Millionen durfte sein damals 21-jähriger und 10 sein da „ja noch nicht mal“ 18-jähriger Sohn in den Pott werfen, 2 Millionen kamen von Maschmeyers Ex-Frau, dagegen nur eine halbe Million von seiner heutigen Gattin Veronica Ferres, mit 500.000 war auch der Fußballtrainer Mirko Slomka im Boot.Sarasin, das war die Bank, bei der Anfang Dezember 2012 der designierte SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück unverdrossen eine seiner Vortragsreden halten sollte. Die er dann plötzlich doch absagte, weil es bei Sarasins Razzien gegeben hatte – wegen Cum-Ex.Vier Jahre später sitzt der Ex-Minister im Untersuchungsausschuss, die Mundwinkel weisen konstant nach unten, der Blick ist ernst bis finster. In der Sitzungspause hat er sich eben noch mit dem SPD-Obmann über die Buchvorstellung unterhalten, die er gerade in dessen fränkischem Wahlkreis hatte; Vertagte Zukunft ist zwar bereits vor zwei Jahren erschienen, ausverkauft war es trotzdem beim Bamberger Literaturfestival, 300 Besucher.In der Sitzung dann sagt Steinbrück einiges, aber eigentlich lässt es sich alles auf diesen einen Satz reduzieren: „Wenn ich damals das gewusst hätte, was ich heute weiß, dann hätte man sich anders aufgestellt.“ Er kann so nur argumentieren, weil er zugleich keinen Hehl daraus macht, dass sich ein Finanzminister nicht in solch komplexe Niederungen wie die eines Jahressteuergesetzes 2007 begibt.Mit jenem hatte die Exekutive erstmals versucht, Cum-Ex zu stoppen. Zum Einsatz kamen dabei vom Bundesverband deutscher Banken gelieferte Textbausteine – und die nächste Gesetzeslücke gleich mit: inländischen Instituten war Cum-Ex nun unmöglich, über ausländische aber startete jetzt erst der ganz große Reibach. Erst im Mai 2009 will Steinbrück selbst durch einen Aktenvermerk von Cum-Ex erfahren und sogleich hierzu mehr Informationen angefordert haben; aber es waren die letzten Monate der Legislatur, der Bundestagswahlkampf begann.Placeholder image-1„Mir waren die Netzwerk-Strukturen damals nicht bewusst“, sagt Steinbrück. Diese waren sicher auch nicht der nordrhein-westfälischen Landesfinanzbeamtin Ilona Knebel bewusst. Trotzdem hätte Knebel in jenen Jahren dem Bankenverband eine Abfuhr erteilt für dessen Vorschläge. Niemand aber hörte auf ihre Stellungnahme im Rahmen eines langen, föderalistischen Gesetzgebungsprozesses, dessen Stationen in Bund und Ländern Steinbrück jetzt im Ausschuss referiert, am Ende steht: das Parlament, welches ja jenes Jahressteuergesetz verabschiedet hat: „Ich kann mich nicht erinnern, dass da irgendjemand den Finger gehoben und ‚Vorsicht an der Bahnsteigkante‘ gerufen hat“, sagt Steinbrück.Dabei hat etwa der damalige Finanzexperte der CSU im Bundestag, Georg Fahrenschon, heute Präsident des Deutschen Sparkassen- und Giroverbands, durchaus gerufen – wenngleich erst kurz nach dem Inkrafttreten des Gesetzes. Doch für solche Fälle gab es im BMF Arnold Ramackers. Der implementierte erst die Ideen des Bankenverbandes und wimmelte dann Fahrenschons Warnungen ab. Der Düsseldorfer Finanzrichter Ramackers war als Verstärkung an das Ministerium abgeordnet worden und wurde für dieses bald in wechselnden Beschäftigungssituationen tätig. Mal ließ er sich beurlauben und von Banken bezahlen, mal agierte er unentgeltlich aus dem Ruhestand heraus, mal verschickte er wie Hillary Clinton von seinem privaten Postfach aus E-Mails, darin Gesetzesentwürfe für Bankenvertreter, vorab und vertraulich.Ein Bundesfinanzminister aber kann doch nicht auch noch seine Referenten aussuchen und sich um deren Beschäftigungssituation kümmern, sagt Steinbrück sinngemäß. Er hat damit nicht unrecht. Aber liegt hier nicht ganz grundsätzlich etwas im Argen, wenn Gesetze von der Lobby direkt per Copy-and-paste gezimmert werden? Regiert diese Lobby dann nicht direkt mit? Das hält Steinbrück für eine „völlig übertriebene“ Darstellung. „Expertise von außen ist notwendig“, sagt er, entweder verpflichte man also selbst Experten oder man beauftrage Beratungsfirmen.Keine RazziaLetztere hatten bei Cum-Ex Vielseitigkeit zu bieten: Erst attestierten sie den Modellen in Gutachten rechtliche Unbedenklichkeit. Dann, als die Praxis langsam ruchbar wurde, warnten sie vor Rechtsrisiken, je nach Mandant und Großwetterlage.Vielseitig agierte etwa die Kanzlei Freshfields: An der Bundesfinanzakademie, der Ausbildungsschmiede des Ministeriums, schulten ihre Referenten zu Steinbrücks Zeiten angehende Beamte. Inzwischen will der Untersuchungsausschuss Unterlagen von Freshfields sehen, deren Herausgabe die Kanzlei unter Verweis auf das Geschäftsgeheimnis verweigert. Einen Antrag auf Durchsuchung der Geschäftsräume stellte der Ausschuss daraufhin beim Bundesgerichtshof – eine Premiere in der Geschichte des Bundestages, ein Zeichen sollte das sein: gegen Finanzmarktakteure geht der Staat jetzt mit allen Mitteln vor. Der BGH aber hat den Antrag gerade abgewiesen, er folgte der Rechtsauffassung des von Freshfields beauftragten Gutachters: Die Durchsuchung ziele auf das mögliche Fehlverhalten von Privatpersonen, was herauszufinden nicht die Aufgabe des Ausschusses sei.Nicht die Aufgabe des Ausschusses – auf dieses Argument könnte sich auch Wolfgang Schäuble zurückziehen, wenn er an diesem Donnerstag im Ausschuss aussagt. Das gilt zwar nicht für die Frage, warum Schäuble nach seinem Antritt als Finanzminister im Herbst 2009 weitere zwei Jahre brauchte, um den längst öffentlich bekannten Cum-Ex-Raubzug zu stoppen. Doch die jüngste Volte in dem Themenfeld spielte sich nach Einsetzung des Untersuchungsausschusses und somit außerhalb von dessen Auftrag ab. Die Rede ist vom Cum-Ex-Geschwisterchen: Cum-Cum.Auch hier geht es um Profite auf Kosten der Steuerzahlenden, diesmal mit Wertpapier-Leihgeschäften, die ebenfalls das Konstrukt bemühten, eine Aktie könne gleichzeitig mehrere Eigentümer haben. Dem Modell will das BMF mittlerweile auch den Garaus gemacht haben; tatsächlich aber musste sein entsprechender Gesetzentwurf im vergangenen Juni 24 Änderungsanträge im Finanzausschuss des Bundestages über sich ergehen lassen; die SPD-Fraktion erklärte hernach, womöglich würden auch hiermit „noch nicht alle Gestaltungsmöglichkeiten unterbunden“.Zur Zeit beschäftigt sich eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe mit der Frage, wie mit Cum-Cum-Fällen aus der Vergangenheit umzugehen sei: Kann der Fiskus sich Steuerausfälle, die Schätzungen zufolge allein zwischen 2013 und 2015 eine Milliarde Euro jährlich betragen sollen, zurückholen? Am 11. November 2016 hat Schäubles Haus dazu ein Rundschreiben an die Obersten Finanzbehörden der Länder geschickt. Es lege nahe, so der Mannheimer Steuerrechtsprofessor Christoph Spengel, „dass Cum-Cum-Geschäfte im Bankenbereich mit Wirkung für die Vergangenheit trotz eines Steuerschadens im Milliardenbereich nicht aufgegriffen werden sollen“. Somit befinde sich Deutschland trotz eindeutiger Gesetzeslage und höchstrichterlicher Rechtsprechung „im Zustand einer steuerlichen Cum-Cum-Bananenrepublik“.Eine Mehrheit der Landesfinanzminister hat das BMF-Schreiben angefochten, vor allem Nordrhein-Westfalen unter Norbert Walter-Borjans kämpft in laufenden Gesprächen dafür, die Banken für ihre Abzocke bezahlen zu lassen. Kein optimaler Zustand für CDU-Mann Wolfgang Schäuble, der sich im Wahlkampf als oberster Verfolger von Steuervermeidung gerieren will. „Der von ihm angekündigte Kampf gegen Steuerumgehung findet, wenn es um deutsche Banken geht, nicht statt“, sagt der Grünen-Obmann im Untersuchungsausschuss, Gerhard Schick.
×
Artikel verschenken
Mit einem Digital-Abo des Freitag können Sie pro Monat fünf Artikel verschenken.
Die Texte sind für die Beschenkten kostenlos.
Mehr Infos erhalten Sie
hier.
Aktuell sind Sie nicht eingeloggt.
Wenn Sie diesen Artikel verschenken wollen, müssen Sie sich entweder einloggen oder ein Digital-Abo abschließen.