Im Herbst wird es wieder so weit sein: Aus Schweden kommt die Kunde von den Trägern des diesjährigen Wirtschaftsnobelpreises. Medien werden sich daraufhin mühen, einem Laienpublikum das ausgezeichnete Werk zu erklären. Und Kritiker werden daran erinnern, dass der „Wirtschaftsnobelpreis“ eigentlich kein Nobelpreis ist, sondern der „Preis der Schwedischen Reichsbank in Wirtschaftswissenschaft zur Erinnerung an Alfred Nobel“: Denn im Testament des Stifters war von Medizin, Chemie, Physik, Literatur und Frieden die Rede, nicht aber von der Ökonomik. Mit Letzterer soll ihn eher Abneigung verbunden haben.
Wie man es auch mit jenem Preis und den Wirtschaftswissenschaften im Allgemeinen hält: Mit beidem gibt es interessantere Arten der Auseinandersetzung als die ritualisierte Publizistik im Herbst. Etwa das neue Buch des Ex-Investmentbankers und Autors Michael Lewis. In Aus der Welt. Grenzen der Entscheidung oder Eine Freundschaft, die unser Denken verändert hat erzählt er die Geschichte Daniel Kahnemans: Aufgewachsen im von den Deutschen besetzten Frankreich, startete er 1946 von Jerusalem aus seine Wissenschaftskarriere in Israel und den USA. 2002 wurde er in Stockholm gekürt, heute ist er auf der Internetseite des Reichsbank-Preises Erster der Liste mit den beliebtesten Gewinnerprofilen.
Kahnemans Geschichte ist zugleich die von Amos Tversky, 1937 in Haifa geboren und 1996 im kalifornischen Stanford an Krebs gestorben. Die „Freundschaft, die unser Leben verändert hat“ ist die der zwei Psychologen. „In jeder Hinsicht mit Ausnahme der Sexualität“ seien sie „Geliebte“ gewesen, schreibt Lewis über ihre Beziehung; zugleich galt: „Amos konnte einfach nicht anders, als Daniel zu verletzen, und Daniel konnte nicht anders, als sich verletzt zu fühlen.“ So intellektuell-innig sie erst miteinander waren, so atemlos beim Lesen macht die Entzweiung, die ihnen später widerfuhr.
Verändert haben Kahneman und Tversky unser Leben, indem sie den Umgang menschlichen Denkens mit Ungewissheiten erforschten, unsere „kognitiven Verzerrungen“. Die These von der Fehlbarkeit der Menschen mag für Nichtökonomen eine banale Erkenntnis darstellen. Für die Disziplin hatte deren Beweis brachiale Folgen.
Heute geht manche grundlegende Kritik an der Ökonomik immer noch davon aus, dass jene ausnahmslos am Bild des rationalen, nutzenmaximierenden Individuums festhält. Doch das vernachlässigt die Rolle, die dort Tverskys und Kahnemans Erwartungstheorie heute spielt. Richard Thaler, infolge des Werks der beiden einer der Begründer der Verhaltensökonomik, erinnert sich an seinen ersten, zunächst so gut wie nie zitierten Aufsatz über jene Theorie: „Die Leute wollten sie nicht zur Kenntnis nehmen. Alte Ökonomen ändern ihre Ansichten nie.“ 2010 schon war der Text der zweithäufigst zitierte der Wirtschaftswissenschaft. 2016, so Lewis, „verfolgte jeder zehnte Fachartikel einen verhaltensökonomischen Ansatz und hatte zumindest Anklänge an die Arbeit von Daniel und Amos“.
Der Aufstieg der Verhaltensökonomik und ihrer Modellierungen menschlicher Irrationalitäten macht sicher nicht die Kritik an den Wirtschaftswissenschaften obsolet. Ignorieren sollte man aber nicht, dass etwa in den USA unter Barack Obama Erben Kahnemans, Tverskys und Thalers ins Weiße Haus einzogen. Ihre verhaltensökonomisch motivierte Politik hatte unter anderem zur Folge, dass nun 40 Prozent mehr arme Kinder in den Genuss von kostenlosen Schulmahlzeiten kommen als zuvor.
Info
Aus der Welt Michael Lewis Jürgen Neubauer, Sebastian Vogel (Übersetzung), Campus 2017, 359 Seiten, 24,95 €
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