"Wir brauchen jetzt Druck von außen"

SPD Die Gegner der Großen Koalition haben das Mitgliedervotum verloren. Einer von ihnen, der Bundestagsabgeordnete Marco Bülow, kündigt die Gründung einer neuen Plattform an

66 Prozent für die nächste schwarz-rote Koalition, 34 Prozent dagegen, 78 Prozent der SPD-Mitglieder haben sich beteiligt. Die Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten stimmen mit ihrem Mitgliedervotum für die Fortsetzung einer Koalition mit der Union unter Bundeskanzlerin Angela Merkel, welche bei 399 gegenüber 310 Bundestags-Sitzen nicht mehr allzu "groß" ausfällt.

Foto: Susie Knoll/Presse

Marco Bülow, 46, ist seit 1992 Mitglied der SPD und vertritt seit 2002 Dortmund als Abgeordneter im Deutschen Bundestag. Er bloggt in der Freitag-Community

Gegen dieses Bündnis hat der Dortmunder Bundestagsabgeordnete Marco Bülow nicht erst in den vergangenen Wochen gekämpft. Bülow hat seine Stimme im Parlament in der Vergangenheit immer wieder bestimmten schwarz-roten Vorhaben verweigert, der Teilprivatisierung der Autobahnen durch die Ausweitung öffentlich-privater Partnerschaften (ÖPP) etwa. Ende 2017 schrieb er: "Ich möchte nicht mit einem Wahlverein darum bangen, ob wir unser kümmerliches Ergebnis vielleicht noch verteidigen, sondern mit einer sozialen und modernisierten SPD das nächste Mal darum kämpfen, stärkste Partei zu werden."

der Freitag: Herr Bülow, zwei Drittel für die Fortsetzung von Schwarz-Rot: Hatten Sie mit einem knapperen Ergebnis gerechnet?

Marco Bülow: Ja. Es erstaunt mich jedes Mal wieder, wie viele der nicht-aktiven Mitglieder sich am Ende doch wieder so entscheiden.

Wen meinen Sie? In den vergangenen Wochen ging es doch meist um all die aktiven, all die neuen Mitglieder, um lebhafte Debatten in den Diskussionsveranstaltungen.

Ja, aber 80 Prozent der Mitglieder gehen eben nicht in Versammlungen, sind nicht im Ortsverein aktiv und haben sich über das Mitgliedervotum vor allem aus den Medien und dem sehr einseitigen Drei-Seiten-Schreiben, das der Parteivorstand verschickt hat, informiert. Und ganz viele von denen haben nun für diese Koalition gestimmt, während es bei den Aktiven meinem Eindruck nach sehr knapp war. Im Ruhrgebiet, denke ich, war eine Mehrheit der Aktiven gegen Schwarz-Rot. Aber das hilft nun nicht. Ich frage mich, wie weit die SPD noch abstürzen muss, damit es eine Einsicht gibt.

Werden Sie Angela Merkel zur Kanzlerin wählen?

Ich kann diese Frage noch nicht beantworten. Ich habe mich sehr auf die anstehende Oppositions-Arbeit konzentriert und auf die Erneuerung der Partei. Dann kam der Schwenk zur GroKo, und es ging darum, gegen diesen zu kämpfen. Ich hoffte, dass eine Mehrheit in der Partei das auch so sieht. Das Ergebnis des Mitgliederentscheids muss ich jetzt erstmal verdauen und verarbeiten. Ich habe im Wahlkampf versprochen, keine GroKo zu unterstützen, ich habe das auch den Mitgliedern bei meiner Aufstellung als Kandidat versprochen. Darum würde ich von meinem Gewissen her sagen: Ich kann Angela Merkel nicht meine Stimme geben. Aber ich muss auch das Mitgliedervotum meiner Partei zur Kenntnis nehmen.

Ihr kommissarischer Parteichef Olaf Scholz hat nach er Ergebnisverkündung gesagt, die SPD sei durch das Mitgliedervotum "weiter zusammengewachsen".

Teils hat er sogar recht. Allein, dass es diese lebendige Debatte gab, dass wir uns nicht von diesem Mitgliedervotum haben abbringen lassen, zeigt, dass da noch doch ne Menge Potential in der SPD steckt. Zugleich hat das Ganze gezeigt, welch unterschiedliche Einschätzungen in der Partei existieren, was man denn machen soll. Weiter so als Reparaturbetrieb des Neoliberalismus, mit der Union machen, was geht, so sehen es die einen. Wirkliche Reformen, wirkliche Veränderungen, das wollen die anderen. Dieses Spektrum bildet sich aber nicht im Parteivorstand ab, und es wird wohl auch nicht in der Bundesregierung abgebildet werden. Dort verengt sich immer alles auf das jetzt vielleicht Machbare. Das war schon vor fünf Jahren das Problem. Die 25 Prozent, die damals gegen den Koalitionsvertrag stimmten, wurden nicht mitgenommen. Und die große Gefahr ist, dass das mit dem einen Drittel jetzt genauso geschehen wird. Dann ist das kein Zusammenwachsen der Partei.

Geht es mit der SPD jetzt zu Ende?

Es geht nicht nur um die SPD, sondern um die Demokratie, um die soziale Demokratie. Eine Große Koalition auf Dauer stärkt sowohl Unzufriedenheit als auch den rechten Rand. Das sehen wir ja eindeutig, etwa auch in Österreich.

Wie gefährlich ist die nun faktische Rolle der AfD als stärkste Oppositons-Fraktion?

Für mich war das ein Grund, aber nicht der wichtigste, um für ein Nein beim Mitgliederentscheid zu werben. Gefährlicher als die Rolle der stärksten Oppositions-Fraktion ist eben, dass Große Koalitionen auf Dauer zu einer Stärkung des rechten Randes führen. Und die nächste schwarz-rote Koalition im Bundestag führt nicht dazu, dass diese Gefahr kleiner wird. Wir sind auf dem Holzweg, wenn wir glauben, allein durch großartige, kämpferische Reden im Bundestag, die sich dabei komplett auf Duktus und Sprache der AfD einlassen, diese erfolgreich bekämpfen zu können. Die stärkste Waffe gegen die AfD ist es, die Politik wirklich an den wahren Herausforderungen auszurichten: Riesiger Reichtum auf der einen Seite, zunehmende Armut auf der anderen. Obdachlosenheime und Tafeln, die dem Bedarf nicht mehr nachkommen. Diese Ungleichheit bringt Zukunftängste hervor und zerstört Perspektiven. Wenn wir das in den Mittelpunkt stellen, brauchen wir uns vor einer rechten Partei nicht zu fürchten. Und darum kann es jetzt auch nicht einfach um die Erneuerung der SPD gehen, sondern es muss um die Frage gehen, wie wir es schaffen, Ungleichheit, Armut und soziale Gerechtigkeit endlich ins Zentrum zu stellen. Das muss der Angriffpunkt sein.

Momentan reichen viele Debatten nicht viel weiter als bis zur Abschaffung des Solidaritätszuschlags oder der nächsten Erhöhung des Kindergeldes. Wie kann man diesen Diskurs verändern?

Jedenfalls nicht nur mit einer Erneuerungsdebatte innerhalb der SPD. Wir brauchen ein breites Bündnis in der Zivilgesellschaft, Menschen aus den Parteien, aber auch aus Verbänden und anderen Zusammenhängen. 50 Jahre nach 1968 ist wieder jede Menge Druck von außen nötig, damit wir uns nicht in Einzeldebatten verhaken und dann die Rechten kommen und sagen: Das machen alles die bösen Flüchtlinge.

Hat sich die Debatte nicht schon so verhärtet, dass sich ein Gegensatz gar nicht mehr wegbekommen lässt – der zwischen den Befürwortern offener Grenzen und Befugnisverschiebungen auf die supranationale Ebene hier und denen, die sich auf den Nationalstaat konzentrieren, dort?

Man muss jedenfalls konstatieren, dass es nicht mehr allein um links gegen rechts geht. Ich würde eine neue, zusätzliche Konfliktlinie eher so fassen: Strukturkonservativ-hierarchisch hier, progressiv dort. Wir brauchen eine progressive Bewegung, weil sich diese Positionen sonst sehr einseitig verhärten werden. Das ist eine große Gefahr. Jetzt blicken und setzen alle sehr stark auf die SPD, auf Bewegung in der Partei und in der Bundesregierung. Aber das allein wird nicht ausreichen.

Der Linken-Abgeordnete Fabio de Masi hat am Sonntagvormittag bereits angeboten: Seine Partei stehe bereit, "mit all jenen, die einen sozialen Aufbruch wollen, etwas Neues zu beginnen".

Im Augenblick geht’s mir darum, was in- und außerhalb der SPD machbar ist. Ich bin bereit, mit jedem zu sprechen, aber nicht über irgendwelche derartigen Angebote. Mir geht es um eine Zusammenarbeit progressiver Kräfte gerade außerhalb des Bundestages und der Parteien. Darum werden wir eine entsprechende Plattform gründen.

Mit wem konkret, wie, wozu, in welcher Form?

Das werden alle kommende Woche erfahren.

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Geschrieben von

Sebastian Puschner

stellvertretender Chefredakteur und Ressortleiter Politik

Sebastian Puschner studierte Politik-, Verwaltungswissenschaften und Philosophie in Potsdam und wurde an der Deutschen Journalistenschule in München zum Redakteur ausgebildet. Bei der taz arbeitete er als Redakteur im Berlin-Ressort. 2014 wechselte Sebastian Puschner zum Freitag, wo er den monatlichen Wirtschaftsteil mit aufbaute. Seit 2017 ist er verantwortlicher Redakteur für Politik, seit 2020 stellvertretender Chefredakteur. Er interessiert sich besonders für Politik und Ökonomie von Hartz IV bis Cum-Ex sowie für Fragen zu Geopolitik, Krieg und Frieden.

Sebastian Puschner

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