Deutsche Solidarität kennt ihre Grenzen

Anti-AfD-Proteste Alle zusammen gegen den Faschismus! - aber nur für Weiße, bitte.

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Deutschland steht gemeinsam und entschlossen gegen den Faschismus. 100.000 Menschen in Berlin, 50.000 in Frankfurt und so viele mehr in Hamburg, dass die Demo wegen Überfüllung abgebrochen werden musste. Sie alle demonstrieren gegen die Deportationspläne der AfD, gegen den wachsenden Faschismus, gegen Nazis. Es würde mich ja schon fast zu Tränen rühren, wenn es nicht so eine absolute Heuchelei wäre.

Ich wurde in der letzten Woche eines Besseren belehrt, Deutschland kann Solidarität aufbringen und das in Massen. Aber nur, wenn diese Solidarität abstrakt genug ist, wenn sie namenlos genug ist und wenn sie nicht nur andere, sondern auch sich selbst betrifft. Wenn es nicht um echte Abschiebungen, um echte Anschläge, sondern erstmal nur um Pläne geht. Deutsche Solidarität kennt eben ihre Grenzen, geographisch sowie emotional.

In den letzten 30+ Jahren hatten die Deutschen genug Möglichkeiten, gemeinsam dem Faschismus entgegen zu stehen und Rückgrat zu beweisen, doch davon war jedes Mal nichts zu sehen.

Die NSU-Morde - Faschismus live in action - keine Massenproteste.

Solingen - Faschismus live in action - keine Massenproteste.

Mölln - Faschismus live in action - keine Massenproteste.

Chemnitz, Kassel, Ludwigshafen, Lübeck, Stuttgart, Halle, Hamburg, München, Hanau und so viele weitere rechtsradikale Anschläge mit Todesopfern, mit Namen, mit Geschichten und Familien - Keine Massenproteste. Und ganz aktuell: Gaza - Faschismis in seiner extremsten Form mit den unschuldigsten aller Opfer, Kinder - Keine Massenproteste. In Leipzig wurden Pro-Palästina-Demonstranten von den AfD-Demonstranten mit Schneebällen abgeworfen. Demonstrieren wir nicht alle gegen dasselbe? Eben nicht. Wir demonstrieren für andere, Deutsche demonstrieren für sich selbst. Es reicht ihnen nicht, wenn wir sterben, es reicht ihnen nicht, wenn unsere Häuser angezündet werden und wir von Nazis durch die Straßen gejagt werden. Es reicht ihnen nicht, wenn in Gaza Menschen, die aussehen wie wir, die zum Teil dieselbe Sprache sprechen wie wir, zum Teil dieselbe Religion haben wie wir, von einem faschistischen Staat seit drei Monaten pausenlos bombardiert werden, bis jede Spur von ihnen ausgelöscht ist. Aber sobald die eigene ach so heilige Demokratie in Gefahr ist, sobald ihre heißgeliebte Meinungsfreiheit und ihr Dönerteller in Gefahr ist, dann reicht’s dem Alman. Dann muss etwas dagegen getan werden.

Also ganz ehrlich, ist das deutscher Humor, denn ich verstehe den Witz nicht? Für uns Menschen mit Migrationshintergrund ist das, was in der letzten Woche in Deutschland stattfand und stattfinden kann, wenn es die Richtigen betrifft, nicht nur ein schlechter Witz, es ist schon fast eine Beleidigung.

Ich bin keine Linguistik-Expertin, aber nach meinem Verständnis hat Solidarität per Definition relativ wenig mit einem selbst zu tun. Das, was wir hier sehen, ist keine Solidarität, sondern pures Eigeninteresse. Deutsche demonstrieren genauso wie sie Urlaub machen - nur da, wo Deutsche sind. Ob im Hotel oder auf der Straße, weiße Menschen haben diese tiefsitzende Angst, sich jemals in der Minderheit wiederfinden zu müssen.

Was den Genozid in Gaza betrifft, müssen die Leute schon über Tiere reden, über Auswirkungen auf das Klima, um die Weißen dazu zu bewegen, sich für das Leid zu interessieren, denn für Solidarität und Empathie für einen Menschen in Gaza, für ein Kind in Gaza reicht es eben leider immer noch nicht. Was in Gaza passiert ist das Non-Plus-Ultra der Brutalität, der Gewalt, des Faschismus. Und all das passiert mit unserem Geld und unseren Bomben. Deutschland versucht sich das jüdische Blut an seinen Händen mit palästinensischem Blut reinzuwaschen. Es hat sich zum Übernazi hochgearbeitet, zum Mentor, zum Vorbild und zum stolzen Vater, der sieht, wie sein Kind Israel nun ganz nach ihm kommt. Herzzerreißend.

Sie schreien alle “Alle gemeinsam gegen den Faschismus” und “Nie wieder ist jetzt”. Nie wieder ist eigentlich schon seit 106 Tagen, aber anscheinend nicht für alle.

Gegen den Faschismus sind sie eben nur in der Theorie und nicht, wenn es drauf ankommt. In Gaza passieren weitaus schlimmere Dinge als Abschiebungen, und was für die meisten von uns daraus folgen würde. Ein Faschismus kommt selten allein. Wer ihn in Deutschland nicht haben will, kann ihn nicht an einem anderen Fleck der Erde zulassen. Das macht Deutschland nicht antifaschistisch, das macht Deutschland zu Heuchland.

Wo waren all diese stolzen Antifaschisten bei Scholz’ “Wir-müssen-im-großen-Stil-abschieben”-Spiegel-Titelstory? Nach Baerbocks harter Abschiebepolitik, was genau dasselbe in grün ist? Oder lassen wir’s da durchgehen, weil es Bio-Abschiebungen sind? Mich überraschen weder die Remigrationspläne, noch geben mir diese Proteste irgendeinen Funken Hoffnung.

Ich sehe die Bilder von den Demos - die meisten weiß und blond und in bunten Schals. Keine Polizeigewalt, keine Verhaftungen, keine Bedrohungen. Ich sehe die Bilder von den weltweiten Gaza-Demos. Die wenigsten von ihnen weiß und blond. Polizeigewalt, Massenverhaftungen, Körperverletzungen und gewaltvolle Repression. Demos werden nicht wegen Überfüllung abgebrochen, sie werden gewaltvoll von der Polizei abgebrochen. Finde den Fehler.

In Berlin wurde der Palästina Block von der Polizei davon abgehalten, an der Demo teilzunehmen. Demonstranten, die Keffiyehs trugen, wurden geschubst, bedroht und angespuckt.

Wenn du gegen Faschismus demonstriert und Palästina dabei nicht sichtbar machst, verstehst du nicht, worum es geht. Dann war das keine Demo gegen Faschisms sondern ein süßes Open Air Event im Winter. Mit live Musik und Falafel. Denn die Falafel darf rein, aber die Menschen, von denen es kommt, müssen draußen bleiben. Ach ja, der gute, alte Multikulturalismus in Deutschland.

Nehmt eure AfD-Proteste, eure Schilder, euer „Alle zusammen gegen den Faschismus“ und bastelt euch damit ein Clownskostüm, denn Fasching steht schon fast vor der Tür.

Deutschland genauso wie deutsche Solidarität ist und bleibt eben nur “den Deutschen”.

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