Es grünt im schwarzroten Beton (2)

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Konnte man bislang als SPD-Stammwähler noch hoffen, dass die Schmiedel-SPD im Südwesten nur ein peinlicher Ausrutscher in einem demokratisch zurückgebliebenen politischen Entwicklungsland war, so wurde mit dem Scheitern von Rot-Grün in Berlin und dem „sozialdemokratischen“ Nachhall dazu offenbar, dass das primitive, teilweise faschistoid anmutende S21-Geschwätz der Südwestfunktionäre der SPD nicht die peinliche Ausnahme, sondern die Offenbarung des wahren politischen Mainstreams in der SPD-Führung ist. Lebenslangen Stammwählern, in deren Familien teilweise über Generationen hinweg SPD gewählt wurde - in der unhinterfragten Annahme, es handele sich um eine Arbeiterpartei, deren Ziel die Verwirklichung eines sozialen und demokratischen Rechtsstaates sei -, müsste spätestens jetzt dämmern, dass sie einem Trugbild nachgejagt waren, nicht der Realität. „Benzin im Blut“ und „Wo ein Bagger steht, da geht es uns gut“ sind mittlerweile die Primitivst-Parolen der vermeintlich sozialdemokratischen Partei, nicht das einst sozialliberale „Mehr Demokratie wagen“ eines Willy Brandt- das diesem offenbar ohnehin ursprünglich von Günter Grass in den Mund geschoben wurde.

Primitiv-kapitalistisch scheint mittlerweile die angemessenere Bezeichnung für diese Partei, nachdem Helmut Schmid den sozial-demokratischen Anspruch einer vermeintlichen Wirtschaftskompetenz geopfert hatte, und diese dann von der tatsächlichen Kompetenz eines Karl Schiller über Helmut Schmid und Gerhard Schröder zur Baggerlyrik eines Claus Schmiedel heruntergekommen ist, die Sozialpolitik mit Wirtschaftswachstum gleichsetzt und jenes mit Prestigeprojekten der Immobilienbranche. Nichts anderes meint doch die angemaßte Bezeichnung „Infrastrukturpartei“. Mit Sozialdemokratie hat dies und haben zumindest diese Funktionäre der Partei nichts mehr zu tun.

www.n-tv.de/politik/Die-Strasse-mein-Feind-article3177351.html

www.wiwo.de/politik-weltwirtschaft/galerien/die-neuen-maechtigen-in-baden-wuerttemberg-1792/3/claus-schmiedel.html

www.bwbs.de/UserFiles/File/PDF/Regierungserklaerung691028.pdf

www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/0,1518,790586,00.html

www.kontextwochenzeitung.de/newsartikel/2011/09/geisterfahrer/

www.freitag.de/community/blogs/seriousguy47/stuttgart-21-mir-gaebbat-nix

Ob die Grünen, die dies auf der Konferenz thematisierten, den Sozialstaat besser können, bleibt abzuwarten. Dass Kretschmann in seiner Regierungserklärung vom 25.05.2011 vom„Musterland guter Arbeit“sprach, zu dem er Baden-Württemberg machen wolle und beispielhaft – neben Carl Benz – Robert Bosch als einen Unternehmer ansprach, der unter den gegebenen Bedingungen einen sozialen und ökologischen Kapitalismus versucht habe, weist schon einmal die Richtung, in die es möglicherweise geht.

Und in einem anderen Punkt sieht es schon ganz gut aus. Das „Wir wollen mehr Demokratie wagen...darauf hinwirken, das....jeder Bürger die Möglichkeit erhält, an der Reform von Staat und Gesellschaft mitzuwirken.“ (Link siehe oben), das Willy Brandt in seiner Regierungserklärung vom 28.10.1969 als Signal eines neuen Aufbruchs formulierte – und das die SPD nie umsetzte –, klingt nach vielen Jahren „alternativloser“ „Basta“-Politik in Winfried Kretschmanns grüner Regierungserklärung wieder auf. Formulierungen wie „Wir wollen eine Bürgerregierung sein!“ und man wolle eine „Politik des Gehörtwerdens“ praktizieren meinen dasselbe, drücken es aber sehr viel näher und konkreter aus als der abstrakte Höhenflug Willy Brandts. Gute Politik wächst von unten, echte Führungsstärke entspringt der Fähigkeit zuzuhören. Diese Regierung wird eine Politik des Gehörtwerdens praktizieren. Sie wird den Bürgerinnen und Bürgern im Dialog gegenübertreten, zuhören und dann entscheiden“, formuliert es noch nachvollziehbarer. Und auf der Delegiertenkonferenz wurde es nochmals bekräftigt.

www.charlotte-schneidewind.de/wp-content/uploads/2011/05/110525_Regierungserklaerung_Kretschmann_Protokollfassung.pdf

Es scheint nach dieser Konferenz der Geschlossenheit und der Aufbruchsstimmung also möglich, dass die Grünen sich tatsächlich zu der Volkspartei entwickeln, die Brandt, Grass u.a. wollten und die Schmid & Co aktiv verhinderten. Es gebe dann, neben den schwarzen Lobbyisten des Kapitals und den kapital-hörigen, angemaßten Vertretern eines schwindenden Restbestandes an platten Proleten, eine Partei für den unabhängigen und kritischen (Bildungs)Bürger in der gesellschaftlichen Mitte, der sich bei politischen Entscheidungen nicht länger an seiner Herkunft oder sozialen Zugehörigkeit orientiert, sondern an dem, was ihm sachlich richtig und notwendig erscheint. Beim Widerstand gegen die Atomindustrie und gegen Stuttgart 21 scheint dies bislang beispielhaft gelungen. Der Widerstand gegen S21 jedenfalls scheint mir von Hartzern, Bildungsbürgern, Gewerkschaftern, Unternehmern, Freiberuflern, Rentnern, Jugendlichen usw. gleichermaßen und auf Augenhöhe getragen. Ausgehend von linken und grünen Aktivisten hat er sich zu einem breiten Bündnis entwickelt, in dem sich mittlerweile alle politischen Farben wiederfinden. Eine grüne Volkspartei könnte hier ihre politische Basis haben. Mal sehen, ob Kretschmann und die Seinen es können.

Korrekturen und Update am 11.10.2011, 21:42 Uhr

Videos mit den Redebeiträgen auf der Landesdelegiertenkonferenz der Grünen in Aalen gibt es jetzt bei fluegel.tv

www.fluegel.tv/beitrag/2147

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

seriousguy47

Anglophiler Pensionär und Flüchtlingsbetreuer aus Stuttgart.

Wehrdienst, Studium ( Anglistik, Amerikanistik, Empirische Kulturwissenschaft, Sozialpädagogik) , Praktikum ( Primärtherapie), Lehramt, Flüchtlingsbetreuung

seriousguy47