Redaktion Südkurier zu S21: Ein Dokument des Grauens

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Als ob sie einen Kontrapunkt zu dem vorbildlichen Journalismus setzen wollten, auf den ich in meinem vorhergehenden Beitrag verwiesen habe, hat die Redaktion des Südkurier das verdienstvolle Experiment gewagt, ihr intellektuelles Innenleben zum Thema S21 öffentlich zu machen. Zusammen mit dem anderen Pol ein historisches Dokument über den Zustand des deutschen Journalismus im Jahr 2011.

www.freitag.de/community/blogs/seriousguy47/s21-informative-videos-zur-lageund-ein-exkurs-nach-rechts-

www.suedkurier.de/region/kreis-konstanz/konstanz/SUeDKURIER-Redakteure-diskutieren-ueber-Stuttgart-21;art372448,5243803

Es ist in Teilen ein Dokument des Grauens. Und ich kann mich in meiner langjährigen Beschäftigung mit Medien nur an zwei Sachen erinnern, die noch schlimmer waren: als ein Oskar Fehrenbach in dem Zeitungsimitat Sonntag Aktuell am 26.05.1996 unter dem Titel „Laßt uns Schwarzsehen“ gegen den Sozialstaat wütete. Und als dortselbst am 2. Februar 1997 ein Thomas Satinsky seinem Parteigenossen [Leider nicht mehr verifizierbar] Westerwelle unter dem irreführenden Titel „Interview“ solcherlei „Fragen“ stellte: „Junge Menschen...werden...sagen: Dieser Generationenvertrag ist sittenwidrig, weil er zu Lasten Dritter, in diesem Fall der jüngeren Generation geht. Das ist doch so?“

.Filbingers Sonntag-Mittag-Kommentare im SWF oder CSU-nahe Kommentare zum Putsch in Chile will ich mal beiseite lassen....

Hier nun einige, zum Zwecke der Polemik einseitig ausgewählte Kostproben:

Ich bin für Stuttgart 21, denn Bahnfahren in Baden-Württemberg und in ganz Deutschland ist zur Zeit nicht besonders attraktiv. Ich denke, dass es mit Stuttgart 21 besser, schneller und auf lange Sicht auch billiger wird. Stuttgart 21 bildet den Knotenpunkt für den gesamten Bahnverkehr nicht nur für Stuttgart, sondern für das ganze Land, damit auch für Südbaden.“

Belege? Nicht nötig. Reine Glaubensfrage. Engpass 21? Regierungsinterne Umwidmung von Geldern für S21? Schlichtung? Nicht-Stress-Test? Nö, wozu Fakten: Die Partei, DIE Partei, die hat immer recht.....

…. „Knoten“. Eigentlich ein interessantes Wort ....Mehr dazu vom Fachmann hier:

www.schwaebische.de/region/allgaeu/leutkirch/stadtnachrichten-leutkirch_artikel,-S-21-Stresstest-ist-Makulatur-_arid,5166852.html

…..

„..... In der Beurteilung eines solchen Großprojektes darf der Blick des Einzelnen nicht nur vor der eigenen Haustür schweifen, er muss sich auf das übergeordnete Ganze richten. Stuttgart 21kann in vielem dazu beitragen, dass es in Baden-Württemberg langfristig infrastrukturell nach vorne geht.“

Ach, die Gegner, Winne Hermann, die Interessenvertreter der Bahnkunden schauen nicht aufs Große Ganze, nicht auf die viel wichtigere Rheinschiene, auf den Güterverkehr, auf das Hinterland, auf die Möglichkeit eines integralen Taktverkehrs, sondern nur vor die eigene Haustür – wo doch eigentlich Grubes „Geschenk“ liegt? Und die S21-Immobilienfetischisten vertreten nicht den eigenen Profit, sondern ganz und gar selbstlos nur das pure verkehrsmäßige Gemeinwohl? Hat der Mann schwarze Stöpsel in den Ohren und schwarze Augenklappen vor den Augen und einen schwarzen Kurzschluss im neuronalen System, wenn er sich ans Recherchieren macht? Falls überhaupt....

…...

Die Provinz wird doch nicht abgehängt. Im Gegenteil, Stuttgart 21 wird die Bahn zwingen, Gäubahn und Südbahn schnell auszubauen und zu modernisieren. Stuttgart 21 ist die Initialzündung fürs Bahnfahren in Baden-Württemberg.“

Also, Dürr, Teufel & Co starteten das IMMOBILIEN-Projekt S21, als in Berlin der Bauboom tobte und man Angst bekam, als Hauptstadt in der Provinz prestigemäßig abgehängt zu werden. Glaubt irgendjemand im Ernst, irgendein Befürworter hier hätte auch nur das geringste Interesse dafür, was außerhalb der mit Minderwertigkeitskomplexen und Futterneid gegenüber München und Berlin behafteten Provinzmetropole im Hinterland abgeht? Dass die prestigesüchtigen Spießer in Stuttgart auf das wohlige Gefühl verzichten werden, sich noch etwas unter sich zu erhalten, das noch viel provinzieller ist? Dass Versprechungen an die Provinz kein Verfallsdatum zum 28.11.2011 haben?

Könnte es vielleicht auch so sein, dass die ziemlich sichere Kostenexplosion das Land irgendeinmal „alternativlos“ zwingt, erhebliche Mittel zu Lasten anderer Projekte locker zu machen, um die Bauruine 21 zu beseitigen, weil die Bahn sich einen Dreck darum schert?

Aber klar: die Erde ist eine Scheibe und der Hase ein Wiederkäuer. Wozu sich informieren, wozu kritisch nachdenken und nachfragen, wenn die Hohen Priester Grube & Co vor dem goldenen Kalb doch so bequem ihre Glaubenssätze verkünden, die man dann nur noch tippen muss?

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... Ich habe die Diskussion um das Großprojekt Expo 2000 in Hannover intensiv miterlebt – dramatische Widerstände, nicht wirklich transparente Finanzierung, aber am Ende fand die Veranstaltung statt und sie war erfolgreich. Sie hat dazu geführt, dass sich in der ganzen Region wahnsinnig viel bewegt hat, auch mit infrastrukturellen Veränderungen, die bis heute wirken. ...“

Wenn du schon glaubst, es geht nichts mehr, kommt irgendwo ein Beispiel her, das beweist, dass dieser ganze Rechtsstaats- und Demokratiekram doch nur stört und die Welt halt nun mal ohne einen Führer nicht auskommt, der sagt, wo es wirklich lang gehen muss....
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Man kann diese Vorteile doch nicht in Euro und Cent hin und gegen rechnen. Was ist es denn wert, wenn in Stuttgart satte 100 Hektar einer grauenhaften Gleiswüste freiwerden und verschwinden und wenn dort ein neuer innerstädtischer Stadtteil entsteht? Mit Wohnungen, mit Kaufhäusern – für viele Bürger. Ich sage: Davon profitiert ganz Stuttgart, so wie Hannover von der Expo.“

Mal abgesehen davon, dass der bereits real existierende Einzelhandel davon garantiert nicht profitiert: Schon mal vom folgenden etwas gehört oder nur gesagt „Meine Ohren hören nicht, was der Herr von Herrmann spricht?

Egal ob Stuttgart 21 gebaut wird oder nicht, das Gleisvorfeld wird auch in Zukunft ein Gleisvorfeld sein: Die Stuttgarter Netz AG hat angekündigt, dass sie den bestehenden Kopfbahnhof weiter betreiben will. Daran haben die Privatbahnen ein großes Interesse, denn der bestehende Bahnhof ist weitaus leistungsfähiger (56 Züge pro Stunde) als der geplante Tunnelbahnhof – und die Stuttgarter Netz AG hat einen gesetzlich festgeschriebenen Anspruch, den Kopfbahnhof samt Gleisvorfeld zu übernehmen. Das hat inzwischen selbst die Bahn eingeräumt; das Verfahren läuft (siehe stuttgarter-netz.de).

Die von der Stadt Stuttgart für viel Geld gekauften Flächen sind also kein Bauland und es besteht keine Aussicht, sie zu Bauland zu machen. Stuttgart wäre nicht die erste Stadt, die einen solchen Prozess verliert und am Ende gezwungen ist, im Immobilienwahn gekaufte Bahninfrastruktur als Bahninfrastruktur zu betreiben. Das Gleisvorfeld ist außerdem durch Fliegerbomben und jahrzehntelangen Bahnbetrieb schwer belastet. Die Bahn hat ihre 750 Mio. EUR Rückstellungen für die Sanierung dieses Geländes aufgelöst – die Verantwortung dafür liegt jetzt bei der Stadt Stuttgart als Eigentümerin...“

www.bei-abriss-aufstand.de/2011/11/24/presseerklarung-schulsanierung-statt-s21-lugenbriefe-herr-schuster/

Muss man nicht glauben. Kann man kritisch hinterfragen. Kann man selbst nachrecherchieren: Sollte man aber wenigstens in Betracht ziehen. Sonst ist man kein Journalist, sondern Propagandist.

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Das ist für mich eine vorgeschobene Argumentation. Die meisten Menschen und auch ich haben nicht vor, auf dem Bahngelände zu bauen oder ein Ladengeschäft zu kaufen. Was man gewinnt durch den neuen Bahnhof, ist etwas Wertvolles: Zeit. Das heißt, dass die Bahn noch attraktiver wird und in ernsthafte Konkurrenz zum Fliegen treten kann. Wer heute noch von Friedrichshafen nach Berlin fliegt, kann künftig die Bahn benützen. Das ist ökologisch ein Vorteil, den man nicht in Euro ausrechnen kann.“

Haben Sie das jetzt auswendig heruntergesagt oder aus dem Werbeprospekt abgelesen?

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Die SPD war auch dafür.“

Genau. Und Gottes Segen haben sie auch gleich mitgebracht. Dass die SPD gespalten ist, kann man vernachlässigen. Hauptsache die „Guten“ sind dafür. Die kriegen später dann von der Lobby auch was ins Töpfchen. Vielleicht nicht gerade Gasprom, aber vielleicht DB, ENBW, LBBW, ETC.

…...

Was mich ärgert und verwundert, ist, dass jetzt so getan wird, als sei Geißler nie in Stuttgart gewesen. Kein Mensch redet mehr über diese Moderation am runden Tisch. ….“

So verkürzt bin ich ganz bei Ihnen. Mich stört es auch, wie Sie daher reden, als ob es die damals vorgetragenen Fakten nie gegeben hätte....

Ja, ich habe nur das Üble herausgepickt und den qualifizierter argumentierenden, kritischen Rest unterschlagen. Aber erstens tut das die Presse genauso. Und zweitens legt die reale existierende Berichterstattung den Schluss nahe, dass ich genau diejenigen zitiert habe, die am Ende die Richtung oder zuminddest die Überschriften vorgeben.

Beim Gedanken daran, dass solche Leute darüber mitbestimmen, was in der Republik gedacht und gemeint wird..... nein, ich will es mir jetzt lieber nicht ausmalen.

Ein Kommentar von ironie2011 vom 24.11.2011, 09:39 Uhr bringt es einigermaßen auf den Punkt:

Haarsträubend mit was für einem Wissensstand hier einige Redakteure argumentieren...unfassbar!! Den Oberknaller dazu liefern Alexander Michel und Uli Fricker : "Stuttgart 21 ist die Initialzündung fürs Bahnfahren in Baden-Württemberg.".. [Kleine Korrekturen von mir]

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

seriousguy47

Anglophiler Pensionär und Flüchtlingsbetreuer aus Stuttgart.

Wehrdienst, Studium ( Anglistik, Amerikanistik, Empirische Kulturwissenschaft, Sozialpädagogik) , Praktikum ( Primärtherapie), Lehramt, Flüchtlingsbetreuung

seriousguy47

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