Tod durch Asylrecht

Deutsche Asylpraxis Die Zwillingsbrüder Victor & Denis aus Honduras suchten in Deutschland ein menschenwürdiges Leben und fanden eine Bürokratie, die so mal eben Todesurteile verhängt......

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Die Zwillingsbrüder Victor & Denis aus Honduras suchten in Deutschland ein menschenwürdiges und fanden – im Fall von Victor - Herrn P., den Sacharbeiter einer Bürokratie, die sich ironischerweise "Zentrale des Bundesamts für Migration" nennt und ganz unironisch in einer ehemaligen Nürnberger SS-Kaserne residiert. Das blieb Denis erspart, er flüchtete vor der AOK. Nun ist der eine erwartbar tot. Beim anderen könnte das Todesurteil schon feststehen.

Die Geschichte der beiden wird im aktuellen ZEIT-Magazin erzählt. Hier nur ein Überblick.

Denis bekam durch seine in Deutschland lebende Ex die Chance, 2006 illegal nach Hamburg zu kommen und fand dort eine Arbeit mit Krankenversicherung. 2007 konnte er Victor nachholen. Und für beide sah es so aus, als ob sie nach zerstörter Kindheit, Bandenmitgliedschaft und Knast nun ein normales bürgerliches Leben würden führen können.

Dann wurde bei Victor 2010 Tuberkulose festgestellt und er war gezwungen, einen Asylantrag zu stellen. Abgelehnt. Er tauchte ab. Dann die finale Falle:

Am Abend des 17. August 2011 bringen Freunde ihn in die Asklepios-Klinik im Hamburger Stadtteil St. Georg, wo Kardiologen eine Entzündung an der Innenwand des Herzens diagnostizieren. Eine seiner Herzklappen schließt nicht mehr richtig. ... Noch in derselben Nacht öffnen die Ärzte seinen Brustkorb und ersetzen seine Aortenklappe durch eine 23-Millimeter-Platte aus Karbon.

In den ärztlichen Bulletins, die ab diesem Tag die Akte füllen, heißt es, dass eine künstliche Herzklappe, wie Victor sie nun trägt, eine lebenslange Therapie erfordere. Unter diesen Umständen könne eine Abschiebung bedrohlich sein, weniger wegen des langen Fluges, sondern vor allem weil in einem armen Land wie Honduras die medizinische Versorgung nicht gesichert sei.“ [Hervorhebung von mir]

Und hier kommt der Herr P. aus der Nürnberger Behörde ins Spiel, der vielleicht etwas von Paragraphen versteht, sich aber auch anmaßt, die medizinische Versorgungslage in Honduras abschließend beurteilen zu können und ex cathedra entscheidet, dass es in Victors Heimatstadt

eine Klinik gibt, an der nicht nur Kardiologen praktizieren, sondern die auch die notwendige Blutgerinnungsuntersuchung macht. Der Blutverdünner, den die Apotheken in La Ceiba führen, schreibt er, sei zwar ein anderer als in Deutschland, aber dafür sei er günstig. Da das jährliche Pro-Kopf-Einkommen von Honduras laut Website des Auswärtigen Amtes bei 2070 Dollar liege, dürfte das Beschaffen der Tabletten kein Problem darstellen.“ Und "angesichts der Behandlungsmöglichkeiten" könne nicht davon ausgegangen werden, dass sich Victors Gesundheitszustand bei einer Rückkehr "wesentlich oder sogar lebensbedrohlich verschlechtert".

Man muss schon ziemlich dämlich, krank oder böswillig sein, um solch einen Dreck zu schreiben. Und das scheint man bei den zuständigen Stellen genauso gesehen zu haben. Anders jedenfalls kann ich mir nicht erklären, wieso nach der Beantragung der Wiederaufnahme des Asylverfahrens die gründlich-deutsche Abschiebemaschinerie ein ganz eigentümliches Rechtsstaatsverständnis zeigte:

Am 21. Juni, während der Antrag in Nürnberg noch bearbeitet wird, stellt ein Amtsarzt bei einer Untersuchung fest, dass "keine Bedenken" bezüglich Victors Flugtauglichkeit bestehen. Vier Tage später, der Antrag ist noch immer nicht abgelehnt, bucht das für Victors Abschiebung zuständige Landesamt für Innere Verwaltung Mecklenburg-Vorpommern bereits einen Flug nach Tegucigalpa, Economyclass, 976,83 Euro. Für den 18. Juli, den Tag der Abschiebung, wird ein Lunchpaket bestellt. Die Bundespolizei wird informiert, dass in dem Flüchtlingsheim, wo Victor sich nun wieder regelmäßig aufhält, ein Mitarbeiter der Malteser bei der Festnahme behilflich sein könnte.

...[Der Anwalt]...wartete noch immer, als ein Mitarbeiter des Landesamts für Innere Verwaltung den Sachbearbeiter P. in einer Mail bat, die Ablehnung des Antrags frühestens am Tag von Victors Abschiebung dem Anwalt zukommen zu lassen. So konnte der nicht mehr reagieren.“ [Hervorhebung von mir]

Nach Einschätzung der Vereinten Nationen ist Honduras das zweitärmste Land in Lateinamerika. „Die Hälfte aller Einwohner lebt von weniger als einem Euro pro Tag. Auf 1.000 Honduraner kommen 0,7 Krankenhausbetten, in Deutschland sind es zehnmal so viele.“

Laut ZEIT gibt es eine einzige Kardiologin in Victors Heimatstadt und bei der kostet eine Sprechstunde 50 Euro. „Auf den Monat hochgerechnet, wäre dies ein Vielfaches von dem, was Victor als Schweißer hätte verdienen können, wenn er dazu körperlich in der Lage gewesen wäre.

Und Marcumar, das Victor in den Apotheken selbst zu kaufen versucht, gibt es nicht. Das entsprechende Medikament heißt Aldocumar, aber das hat Herr P. Ihm nicht gesagt. Fällt schließlich nicht in seine Zuständigkeit. [Hervorhebung von mir]

Zehn Monate und 25 Tage nachdem ihn Deutschland abgeschoben hatte stirbt Victor an Herzinfarkt, den Zuständen in Honduras und dem deutschen Asylverfahren.

Weder das Bundesamt für Migration noch das Landesamt für Innere Verwaltung möchten sich detailliert äußern. Konfrontiert mit den Ereignissen, schickt das Landesamt nur eine Stellungnahme, in der man bedauert, dass "Victor Osório Turcios nach seiner rechtmäßigen Abschiebung in Folge seiner Herzerkrankung im Juni 2013 starb". Das Bundesamt teilt mit, dass die "rechtlich richtige Entscheidung", Victor abzuschieben, "nicht im Zusammenhang mit dem bedauerlichen Ausgang seiner Krankheit" gestanden habe.“

Nun ja, das kennen wir ja aus früheren Zeiten. Man hat es zwar getan, aber entweder trotzdem nichts gewusst oder nur seine Pflicht erfüllt oder ….. Jedenfalls ist ein deutscher Sachbearbeiter per definitionem nie an irgendetwas schuld. … Und das ist das eigentliche Problem, nicht die „Asylanten“.

Und Bruder Denis? Der lebt noch. In Honduras. Ohne Mitwirkung des Herrn P. Denn als er gerade erfolgreich wegen Lungenkrebs behandelt wurde, „stellte die AOK plötzlich Fragen nach seiner Aufenthaltsgenehmigung. Die Kosten waren explodiert. Denis ….wusste, es würde alles auffliegen. …. Er packte seinen Rucksack und fuhr zum Flughafen, ohne die Ergebnisse der letzten Untersuchung abzuwarten.“ …...

Die ganze lesenswerte Geschichte, auf die hier nur aufmerksam gemacht werden soll, gibt es online hier: http://www.zeit.de/zeit-magazin/2015/03/asylbewerber-honduras-abschiebung

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

seriousguy47

Anglophiler Pensionär und Flüchtlingsbetreuer aus Stuttgart.

Wehrdienst, Studium ( Anglistik, Amerikanistik, Empirische Kulturwissenschaft, Sozialpädagogik) , Praktikum ( Primärtherapie), Lehramt, Flüchtlingsbetreuung

seriousguy47

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden