Building a Billion

Ideologie Was sich die lesende Arbeiterin weiterhin fragt und der arbeitende Leser und der kundige Müßiggänger auch

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Der Hohlspiegel, die bekannte Sammlung von textlichen Fehlleistungen auf der jeweils letzten Blattseite des Hamburger Nachrichtenmagazins, präsentierte in der vorvorletzten Ausgabe an oberster Stelle einen Satz aus der FAZ.
Er lautet:

Mehr als die Hälfte der Milliardäre hat ihr Vermögen komplett selbst aufgebaut, vier Viertel zumindest teilweise.

Nach gängiger Lesart verdankt sich der Abdruck des Satzes natürlich der in ihm enthaltenen abgedrehten Mengenaussage, etwa so wie in der immer weiter und weiter kolportierten Aussage eines Fußballers zu Vertragsverhandlungen: "Ein Drittel mehr Geld? Nee, ich will mindestens ein Viertel."

Es ist aber die negative Wucht der Zentralaussage, die einen umhaut.
Die lautet nämlich, dass tatsächlich die Hälfte aller Milliardäre komplett, also ohne irgendwelche weitere Faktoren in der Lage wären, dieses ihr Vermögen völlig allein aufzubauen. Da muss der Blick der Leser imaginär auf die Hände, den Körper des Milliardiärs wandern, auf den Kopf und die Stirn als symbolischer Ort, wo ertragreiche Ideen ausgebrütet werden können. Dann müssen die Gedanken weitergehen zu möglichen Werkzeugen, die der phänomenale Milliardär ersonnen und dem Boden, der Natur abgerungen hat, um derlei möglich zu machen, denn dieser bewerkstelligt ja alles vollständig allein - und die Leser müssen sich doch fragen, wie das möglich sein soll, in den Cafés bestimmter Stadtteile bestimmt weniger als in den leider verschwindenden Eckkneipen.
Aber selbst in den Bars der Finanzdistrikte würde das Wort vom Selfmade-Millionär leichter über die Lippen kommen als die vom Selfmade-Milliardär.
Schließlich ist der Schritt zwischen diesen Phänomenen nochmals beachtlich.
Denn angenommen, der phänomenale Vermögensbilder wäre in der Lage, innerhalb eines Jahres ein Kapital von einer Million anzuhäufen, wozu er, ganz auf sich gestellt, vermutlich mindestens 24 Stunden pro Tag tätig wäre, so müsste er bei linearer Entwicklung und Anstrengung doch 1000 Jahre weiterschaffen, um den Milliardärsstatus zu erreichen.

Kurz - von Akkumulation und Mehrwert, von Unternehmereinkommen und Thesaurierung und derlei Dingen muss nicht geredet werden, um dies hier zu inspizieren - die zitierte Satzaussage zeichnet sich durch ein Höchstmaß an Ideologie bei korrespondierender kompletter Bewusstlosigkeit darüber aus, was Kapital-, meinetwegen Vermögensbildung angeht, und damit das ökonomische Procedere.

Immerhin gefällt mir der spekulative Gedanke ganz gut, dass die Hohlspiegel-Verantwortlichen dies, neben dem offensichtlichen Kalauereffekt, mitbedacht haben. Vielleicht holt man dort das bei den Hauptressorts verloren gegangene Terrain zurück.

Der Satz wurde sozusagen beim Wort genommen, ohne weitere Suche nach der Textumgebung.
Es gab die kurze Überlegung: Würde die Satzumgebung etwas ändern können, etwa weil dort die Rede wäre vom Milliardär X, der es mithilfe seines Glaubens oder der Software FiBu S21 BER geschafft hat im Gegensatz zu Milliardär Y?
Aber nein, auch dann steht die Satzaussage für sich.

Quelle:
Spiegel Nr. 40 v. 29. September 2014, Hohlspiegel, S. 154 l. Sp.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Rüdiger Grothues

Musiker, Jurist, Autor

Rüdiger Grothues

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