Die Trumpsche Depesche

G7-Tweets Genau betrachtet enthüllen die "Wut-Tweets", dass das Herz des US-amerikanischen Präsidenten ganz weit links schlägt

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Zur Erinnerung an Susan Sontag fand am vergangenen Freitag im Frankfurter Mousonturm eine Veranstaltung statt, in deren Rahmen die Literaturwissenschaftlerin Elisabeth Bronfen Sontag vermisste als die Person, die "dem Twitterer Trump etwas entgegenzusetzen hätte".
Zwei Tage später nun machte der amerikanische Präsident nach dem Verlassen des G7-Gipfels via Twitter seinem Unmut Luft, und nun schlägt die mediale Öffentlichkeit die Hände über dem Kopf zusammen und schließt unter anderem die angeblich kriegsauslösende Emser Depesche aus dem 19. Jahrhundert als -auch politische- Kommunikationsform mit dem Trumpschen Twitter-Gewitter kurz (Hans Hütt in der FAZ).
Ein unvoreingenommener Blick auf die Tweets enthüllt jedoch Erstaunliches, wenn nicht Sensationelles.

Schauen wir uns das ganz genau an. Der Präsident schreibt: "Basierend auf [...] dem Fakt, dass Kanada den amerikanischen Bauern, Arbeitern und Firmen massive Zölle berechnet, habe ich unsere US-Unterhändler angewiesen, die Abschlusserklärung nicht zu unterstützen..."
Gut, fangen wir mit dem Wermutstropfen an: Hier fehlt es sicherlich noch an dem erforderlichen Internationalismus.

Aber sonst? Welcher Regierungschef, weiblich oder männlich, Ost oder West, hat denn in den letzten Jahrzehnten die Arbeiter und Bauern an die allererste beziehungsweise zweite Stelle gerückt, und die Firmen, also auch die global operierenden Konzerne, an die allerletzte?
Kann sich jemand vorstellen, dass die Kanzlerin, wiewohl in einem Arbeiter- und Bauernstaat aufgewachsen und ausgebildet, diese Prioritäten setzte, anstatt die "marktkonforme Demokratie" auszurufen, die ja nicht Teilhabe der Bevölkerung am Entscheidungsprozess meint, sondern Ausrichtung an den Interessen der marktbeherrschenden Kräfte - und dass May, Trudeau, Juncker, Macron oder Scholz hinsichtlich ihrer politischen Absichten Arbeiter und Bauern an die erste Stelle setzten? Wohl kaum.

Donald Trump mag es in der Vergangenheit gut verborgen, gar das Klischee des garstigen Kapitalisten abgegeben haben, aber er hat die Camouflage nicht aufrechterhalten können.
Nun hat er sich verzwitschert - da schlägt das Herz eines Sozialisten, und die Geschichte muss neu erzählt werden, wenn nicht von Susan Sontag, dann eben von anderen.

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Geschrieben von

Rüdiger Grothues

Musiker, Jurist, Autor

Rüdiger Grothues

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