"Schmähsatire", eingebettet und abgefeiert

Jan Böhmermann Anmerkungen zur Qualität eines Satireversuchs, der zu einem Politikum geworden ist

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Zugegeben, die mit "Schmähkritik" betitelten Zeilen, die den Kern der jetzt so im Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit stehenden Performance von Jan Böhmermann bilden, werden nicht durchgängig für gut befunden, teils auch als rassistisch bewertet. Dennoch geht der öffentliche Resonanzboden ganz mehrheitlich schnell über diese Zeilen hinweg, um auf eine angebliche Metaebene, einen Überbau zu hüpfen.

Das Gedicht jedoch, um ein solches handelt es sich der Form nach ja, mäandert unter jedem Niveau daher, es ist in der untersten Schublade vertäut, wie man hören kann, und darauf ist augenscheinlich viel Energie verwandt worden. Das sollte festgehalten werden.
Versuche, schon auf der Ebene des reinen Wortlauts andere Aspekte einzubeziehen wie etwa den, die Schmährede spiegele doch nur die Usancen des Shitstorms, gehen fehl: Es spielt doch keine Rolle, ob ich die Verbalinjurien auf der Straße oder im Internet aufgesammelt habe. Auch die Einlassung des Medienwissenschaftlers Bernhard Pörksen, bei dem Gedicht handele es sich um einen Hybrid, einen Zwitter aus Satire und Schmähkritik ("Schmähsatire"), ist in und zwischen den Zeilen nicht zu erkennen: Kein Schmäh weit und breit, nur billigste Schmähung. Vermutlich hatte der Mann aber schon die Einbettung, die Metaebene und den ganz großen medialen Hebel im Blick.

Wie ist es also damit bestellt?
Hilfreich erscheint es, einen Begriff aufzugreifen, der eher im Zusammenhang mit dem Moderator der Sendung Neo Magazin Royale fällt: das Pennälertum.
Böhme und sein Ping-Pong-Mann, ein aus dem US-Fersehen entlehnter Part, bauten eine Art Vorbehalt ein, die Auslotung der Grenze zwischen Satire und Schmähkritik als Ansage, vor allem aber die Feststellung, das Vorgetragene dürfe nicht vorgetragen werden.
Und damit sind wir auf dem Schulhof gelandet, wo der eine Schüler, Aggressor und Schlaumeier zugleich, einem anderen sagt, er sei wohl ein Arschloch und sein Vater ein Ziegenficker, aber das dürfe er nicht sagen, denn das sei verboten. Es handelt sich um die altbekannte Figur, das, was dann doch kundgetan wird, in die Verkleidung zu packen, dass man es nicht kundtun dürfe.
Ist nun irgendein Twist, eine sublime Querstrebe, eine Volte erkennbar, die den Unterschied zwischen Fernsehstudio und Schulhof ausmachte? Nein, die Interventionen im Studio bleiben auf Pennälerniveau ("das darf man nicht machen", "nicht klatschen", "das dürfte man jetzt in Deutschland nicht").

Bleibt zu hoffen, dass der verstaubte wilhelminische Der-Schah-war-da-Paragraph (§ 103 StGB) nicht zur Anwendung kommt, und es bleibt das deprimierende Gefühl, dass sich die Grenzen verschoben haben, dass eine krasse Schmähung kaum mehr als solche benannt wird, sie scheint schlicht nicht der Rede wert. Bezeichnenderweise war in einer Hamburger Wochenzeitung von "Spottversen" die Rede. Und es bleibt die Verblüffung, dass jetzt, von der platten Performance angestoßen, die Realsatire ins Rollen kommt, und das alles von einem Tiefpunkt der Satire aus.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Rüdiger Grothues

Musiker, Jurist, Autor

Rüdiger Grothues

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden