Die Versuchung

Spotify Premium Letztes Jahr verführte Spotify viele seiner Nutzer*innen mit einem lukrativen Angebot zur Premium-Version ihres Streaming-Dienstes. Das Resümee eines Selbstversuchs

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Ende Dezember analysierte ich noch in jugendlicher, nur scheinbar cleverer Manier, wie mich der Musikstreaming-Riese aus Stockholm ja lediglich anfixen wolle, wie ein Dealer den späteren Heroinabhängigen. Und doch bestellte ich das lukrativ klingende Angebot „3 Monate Premium für nur 0,99€!“, welches Spotify Ende letzten Jahres bis Silvester anbot. Natürlich las ich alle AGBs und wiegte mich in Sicherheit. Ich hätte bloß pünktlich vor Ablauf der 90 Tage zu kündigen und das Angebot wäre erfolgreich genutzt ohne der kapitalistischen Verführung und Falle zu erliegen. „Ich gehe denen nicht auf den Leim!“, redete ich mir ein, "Ich nicht!"

Doch der Tag rückt näher: 30. März. Spätestens an dem Tag muss ich es tun. Kündigen! Aah! Ich hatte mich auf die Schwierigkeit dieses Tages vorbereitet. Keine Frage. Doch ich hatte etwas Entscheidendes unterschätzt: Die Sogkraft des Komforts. Ich bin süchtig. Süchtig nach Einfachem, ohne störende Werbung, nach meinen dutzenden Playlists, die in den letzten Wochen entstanden sind, in denen ich exakt wiederfinde, was ich hören möchte oder was Spotify mir einflößt, hören zu wollen. Hauptsache keine im 30-Minuten-Takt erklingenden Stimmen, die mich wahlweise zum ethischen Bio-Burger-MC-Donalds-Konsumenten, zum ambitionierten BMW-Fahrer oder im schlimmsten Falle zum Diener Deutschlands machen wollen. Alles nur das nicht!

Doch was tu ich? Natürlich kündigen. Es geht nicht anders. 10€ im Monat! 120€ im Jahr! Und wenn ich dann in die Dreißiger gehe, habe ich bereits weit über 1400€ meines Geldes rausgeworfen. Nein. Das kann ich nicht zulassen. So viel Geld – nur weil es komfortabler, einfacher, ja müheloser erscheint.

Noch letztes Jahr nutzte ich einen alten MP3-Player, mir 1 GB Speicher bietend, welchen ich im Alter von 8 Jahren bekomme hatte, was man ihm auch nicht wenig ansah. Doch ich war zufrieden. 1000 MB reichten völlig. Etwa monatlich tauschte ich die ältesten Lieder gegen neuere, mühsam aus gekauften Alben und YouTube-Downloads zusammengesammelte, aus. Klar: Wenn ich nach Alligatoah Michael Jackson und dann die Söhne Mannheims hören wollte, bedurfte es nicht selten über 100 Klicks auf der immer schwerfälliger reagierenden Taste, die dann den alten Apparat ein Lied weiter springen ließ. Aber es tangierte mich in keinster Weise. Ich kannte es nicht anders. Demütig nahm ich die Situation an und erfreute mich daran, endlich beim gewünschten Lied angekommen zu sein.

Ein Smartphone besaß ich zwar schon länger, so richtig vermochte mich das Musikhören dort jedoch nicht anzusprechen. Ich weiß nicht, ob aus purer Nostalgie oder wirklicher technischer Präferenz des alten MP3-Players. Jedenfalls lehnte ich mein Handy als Musikanlage ab.
Doch auf dem Heim-PC nutzte ich Spotify schon länger. Ich war hin und hergerissen zwischen Begeisterung für die faktisch fast unendliche Auswahl an Musik und den Werbesequenzen, welche ich mit zunehmender Nutzung immer weniger vermochte in stoischer Ruhe auszuhalten.

Das mit Mathematikfähigkeiten eines Erstklässlers zu errechnende, mögliche gesparte Geld von 29€ über diese 3 Monate, verleitete mich dann doch. Und plötzlich verschwand mein MP3-Player in der Ecke. Die klassischen Effekte der Gewöhnung und des Komforts setzten ein bis sie mich letztlich diesen Artikel hier schreiben ließen. Ich ringe mit mir.

Wer weiß, wer gewinnt. „Wenn es mir so gut gefällt, warum dann nicht 10€ monatlich dafür ausgeben?“, dachte ich anfangs noch. Doch ich versinke in Eitelkeit und meiner persönlichen Würde.
Ich kann sie, die Marketingstrategen der Welt, nicht gewinnen lassen. Der MP3-Player schielt mich an. Zeit für neue Musik, denke ich.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Steven Hartig

Freier Journalist und Autor

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